Opel Rekord P2 Coupé 1961 – Ein Coupé zum Verlieben

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Mit „Teenager-Titten“, Vorkriegstechnik und Variantenreichtum auf Platz zwei der deutschen Zulassungsstatistik – wovon Opel heute nur träumen kann, gelang den Rüsselsheimern in den frühen 60er-Jahren aus der Hüfte. Den Opel Rekord P2 gab’s in vier Karosserieformen – Dieter Lange hat sich ins Coupé verguckt

Es ist gar nicht lange her, da gullerte der Kieler Dieter Lange mit seinem Commodore B GS/E durch den stürmischen Norden rund um die Förde, dicht gefolgt von seiner Frau Nadine im eigenen Manta A. Die Marke mit dem Blitz – für den Norddeutschen gibt es seit seiner Kindheit nichts anderes. Das Opel-Doppelglück schien perfekt und durch nichts zu erschüttern – bis Lange im Februar 2014 auf einer Messe sprachlos einem Rekord P2 Coupé gegenüber stand.

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Ob es der plötzliche Wunsch nach ein wenig Entschleunigung in der Mitte seines Lebens war, eine unerfüllte und unterdrückte Liebe über Jahrzehnte oder einfach ein „Das-ist-er-Gefühl“, ist nicht überliefert. Lange musste ihn haben. Der flache, langgestreckte Cremeschnittling wurde in den 60ern von Kiel nach Schweden verschifft sowie ausgeliefert und wurde dort über die Jahrzehnte von vier verschiedenen Besitzern gefahren. 2012 kam er nach Deutschland zurück und bekam TÜV und H-Abnahme, wurde aber nicht zugelassen. Er wechselte erneut den Besitzer, wurde aber dann in Bremen wieder nicht zugelassen. Der teilrestaurierte Zweitürer wanderte schließlich über mehrere Messen, und hier stand er nun.

Zwei Monate zähe Verhandlungen mit dem Vorbesitzer, dann wurde der geliebte Commodore in Zahlung gegeben und der treue Manta A von Frauchen verkauft. Weil der „Rasende Kofferraum“ (benannt nach den ungewöhnlichen Proportionen des Sportlers mit dem sehr langen Heck) in seinem Leben nur sehr wenig bewegt wurde, holte Lange ihn vorsichtshalber mit einem Trailer ab, stellte ihn sich vor die Haustür und sinnierte darüber, was er sich da eingebrockt hatte…

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Während 1960 ganz Paris noch zusammen mit Caterina Valente von der Liebe träumte, wurde Deutschland mutiger in seinen Ausdrucksformen automobilen Zeitgeistes, die Pressemitteilungen progressiv und blümerant. Als im damaligen August 200 geladene Journalisten, Reporter und Fernsehmacher in die Rüsselsheimer Markthalle gepfercht wurden, standen sie vor einem Auto, das zugleich neu und altbacken war. Der Opel Rekord P2 (das P stand stets für das Stilmerkmal „Panoramascheibe“) malte dem Publikum greifbare Bilder von Form und Fortschritt in die neugierigen Köpfe. Progressive Sicherheitsmerkmale wie gepolsterte Oberkante des Armaturenbretts und eine versenkte Lenkradnabe korrespondierten mit einer Karosserie, die um den Innenraum herum designed wurde. Alles noch beim P1 zu findenden, leicht knubbelige Rundlichkeiten wichen einer kantigen Trapezform mit der Betonung auf die Horizontale. Den Abschluss am Heck bildeten zwei herrlich amerikanisch wirkende kleine Doppellämpchen, die von der Presse umgehend den damals gewagten Spitznamen „Teenager-Titten“ bekamen.

Opel setzte auf Artenvielfalt. Die Limousine rollte mit zwei oder vier Türen vor die geputzten Schuhe der Anwesenden, die neueste Evolutionsstufe des Kombis (seit den 50er Jahren war man hier marktführend) stand als zweitüriger Caravan (ein Wortspiel aus „car and van“) oder als zweitüriger „Schnell-Lieferwagen“ ohne hintere Scheiben in der zweiten Reihe. Reporter krabbelten auf allen Vieren über die Pritschen und lobten wortgewaltig die umklappbare Rückbank.

 

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Für den sportlich ambitionierten Herrenfahrer, der Wert auf Komfort legt, hatte man das schnittige Coupé im Programm, eine zweitürige Limousine mit flacherem und hinten abgeschrägtem Dach. Wer es ganz extravagant wollte, konnte ein Cabrio bestellen, was bei Deutsch in Köln oder bei Autenrieth in Darmstadt aufgeschnitten wurde. Hier baute man auch bis August 1961 die Coupés, anschließend fertigte man das erfolgreiche Modell am heimischen Herd in Rüsselsheim. Auch das war eine kleine Sensation, zum ersten Mal in der Geschichte des Rekord ergänzte ein eigenes Werkscoupé die Modellpalette.

Die knorpelige, sprichwörtliche Nähmaschinen-Technik blieb so wie immer – wie gewohnt und wie bewährt. Die Vierzylinder-Vorkriegskonstruktion aus dem Opel Olympia von 1937 mit kurzhubigen 1,5 Litern Hubraum (50 PS) oder 75 Mark teureren 1,7 Litern Hubraum (55 bzw. 60 PS) galt als unverwüstlich und drehte kräftig genug für deutsche Straßen, auf denen der Traum von der Reise nach Italien oder Südfrankreich noch weitestgehend mit Isetta, Messerschmitt Kabinenrollern oder Käfern gelebt wurde. Vor allem die leistungsgesteigerte 60-PS-Variante in Verbindung mit einer Viergang-Lenkradschaltung ließ vor allem das Coupé abgehen wie unter der Regie von Stirling Moss oder Jack Brabham und machte aus dem Rekord einen Kandidaten für die linke Spur. Das kam an. Genau 786.411 Exemplare verkaufte Opel in nur drei Jahren Produktionszeit vom P2, bevor er vom Rekord A abgelöst wurde.

Außer ein paar neuen Benzinleitungen, einer neuen Benzinpumpe und einem neuen Heizungskühler lagen bei Langes Exemplar nur der obligatorische Ölwechsel und das regelmäßige Abschmieren der Achsen an. Der Segen der alten Technik, an die noch der „Olympia“-Schriftzug auf dem Handschuhfachdeckel erinnert, ist die robuste Überdimensionierung und die damit verbundene Unzerstörbarkeit.

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Man muss allerdings wissen, wie diese interpretiert werden muss. Auf der ersten großen Ausfahrt zum Alt-Opel-Treffen am 1. Mai im Schleswig-Holsteinischen Wedel ließ sich das Coupé plötzlich nur noch in den dritten und vierten Gang schalten. Leicht panisch manövrierte Lange den maladen Oldtimer quer durch Hamburg bis nach Dänischenhagen zurück, sah sich leidend in einer Welt voller roter Ampeln und knabberte unablässig an seinen Fingernägeln, weil ein befürchteter Getriebeschaden richtig ins Geld gehen würde. Aber nein – „Opel, der Zuverlässige“ hatte lediglich eine M6-Schraube am Schaltgestänge losgeschüttelt.

Danach wuchsen Vertrauen und Freude wie damals der begeisterte Käuferkreis, und Familie Lange fuhr den „Rasenden Kofferraum“ quer durch die Republik in den Sommerurlaub, fast wie damals in den südliebenden 60ern. Selbstverständlich pannenfrei. Zumindest was den Opel betrifft – Nadine trug als Beifahrerin einen akustischen Kollateralschaden davon: Lange hört in seinem Auto kein Radio, in dem Coupé wird ausschließlich dem Deutschen Schlager der 60er aus der Konserve gehuldigt. Und nach vielen 100 Kilometern können „Pack‘ die Badehose ein“ und „Junge, komm‘ bald wieder“ einen schon ein bisschen verändern… Beim Opel mussten lediglich die hinteren Bremsen nach mehr als 4.000 Kilometern in fünf Monaten erneuert werden, aber das müssen sie bei jedem anderen Auto, das gelebt und nicht nur angeguckt wird, auch. Und leben lässt es sich im Coupé auch heute noch ganz gut. Später selbstverständliche Extras waren damals Ausdruck einer gehobenen Klasse: Der P2 hatte immerhin ab Werk eine Frischluftheizung, Einzelsitze (statt einer Sitzbank) und Veloursteppiche (statt nacktem Metall oder Gummi), eine Lichthupe und ein Zweitonhorn sowie Rückfahrscheinwerfer.

Als besonderes Gimmick zeigt Lange noch das vom Armaturenbrett aus über einen Bowdenzug bedienbare Kühlerrollo, mit dem sich im Winter eine kleine Markise vor den Kühler ziehen lässt, die den kalten Wind fern hält. Einfach und sehr wirksam.

Aber vom kalten Winter in Kiel wird dieses Exemplar nicht viel mitbekommen. Der Slogan „Rekord Coupé – ein liebenswerter Wagen“ wird von Dieter Lange durchaus ernst genommen: Bei Schnee und Eis bleibt der Wagen zu Hause. Denn da ist es doch immer noch am schönsten, singt Mutti in der Küche…

Technische Daten

Opel Rekord P2 Coupé
Baujahr: 1961
Motor: Vierzylinder
Hubraum: 1.668 ccm (102 cui)
Leistung: 44 kW (60 PS)
Max. Drehmoment: 148 Nm
Getriebe: Viergang-Lenkradschaltung
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.433/1.616/1.490 mm
Beschleunigung 0-100 km/h: ca. 20 Sek.
Höchstgeschwindigkeit: ca. 140 km/h
Wert: ca. 17.000,- Euro

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Text und Fotos: Jens Tanz

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