Enzos Vermächtnis: Ferrari F40

Die Begegnung mit einem Ferrari F40 hinterlässt Spuren – sowohl auf dem Asphalt als auch auf der Seele. Enzo Ferrari bezeichnete das Supercar als „den besten Ferrari, den es je gab“. Das galt umso mehr für die brachiale LM-Version

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Maranello, Italien, Juli 1987. Ein weißhaariger alter Mann steht am geöffneten Fenster seines Büros. Er überhört das leise Klopfen an der Tür, ist in seine Gedanken versunken. Gleich wird Enzo Ferrari, genannt „Commendatore“, anlässlich des 40. Jubiläums seiner Firma Sammlern, Kunden und Journalisten einen spektakulären neuen Sportwagen präsentieren, den Ferrari F40. „Den besten Ferrari, den es je gab“.

Enzo Ferrari wusste, dass dieser Wagen in die Automobilgeschichte eingehen würde. Nach den goldenen Zeiten der 1950er-, 60er- und frühen 70er-Jahre, in denen Ferrari alles gewann, was es zu gewinnen gab, hatte Ferrari das Feld der Sportwagenrennen Porsche überlassen und sich fortan dem Grand Prix gewidmet. Doch dann wurde das Reglement für die neue GT-Gruppe in der Gruppe B geändert, und Ferrari ging 1984 überraschend mit dem 288 GTO zurück ins (Sportwagen)Rennen. Größter Konkurrent: der Porsche 959. Ferraris Antwort war kurz und prägnant – F40 – und sie ließ keine Fragen offen. Der Ferrari F40, ebenso wie der F40 LM, sind das ultimative Gedenken an Enzo Ferraris Lebenswerk, im wahrsten Sinn des Wortes. Nach seinem Tod nur ein Jahr später schnellten die Preise für den F40 in ungeahnte Höhen. So wurde am 11. November 1989 bei einer Auktion von Christie‘s in Monaco ein F40 für die Rekordsumme von umgerechnet 2,7 Millionen Mark versteigert.

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Der F40 war der schnellste Ferrari seiner Zeit und hängte sowohl den 288 GTO als auch den aktuelleren 512 TR locker ab. Und für einen Straßenwagen war er fast zu schade. Da überraschte es nicht, dass Ferrari 1987 einmal mehr Giuliano Michelotto ins Boot holte, um den F40 für die Rennstrecke, genauer die 24 Stunden von Le Mans, aufzurüsten (obwohl die FISA bereits angekündigt hatte, die Gran-Turismo-Kategorie ganz einstellen zu wollen sowie die Teilnahme an der Sportprototypen-WM strenger zu kontrollieren). Michelottos Rennstreckenvariante wurde naheliegend „F40 LM“ benannt. Unser Foto-Exemplar gehört zur letzten Baureihe und rollte 1991 aus Maranello.

Optisch wie technisch ganz klar eine Weiterentwicklung des 288 GTO Evoluzione, verfügt das Chassis des Jubiläums-Geschosses über die klassische Ferrari-Struktur mit Stahlrohrrahmen, der im Vergleich zum Vorgänger aber kräftig abspecken musste. Zwar besteht das Fahrgestell nach wie vor aus der bewährten Stahlrahmenkonstruktion, sämtliche Bauteile aber, die beim 288 GTO noch aus Stahlblech gefertigt waren, wurden beim F40 durch Kevlar und Karbon ersetzt. Karosserie und Chassis sind dadurch extrem leicht und doch verwindungssteif. In gleicher Weise mit der Rahmenkonstruktion verbunden wie bei den Grand-Prix-Ferraris, erhöht das die Stabilität des Fahrgestells um das Dreifache derer eines herkömmlichen Modells und bringt gleichzeitig eine Gewichtsersparnis von 20 Prozent. Mit einem Leergewicht von gerade mal 1.220 Kilo war der F40 damit effektvolle 350 Kilo leichter als sein derzeit härtester Konkurrent, der Porsche 959. Der enorme finanzielle, technische und zeitliche Aufwand dieser Bauweise zahlte sich aus.

Pininfarina kleidete das Rennpferd in eine aggressiv-elegante Karosse nach allerneuesten aerodynamischen Erkenntnissen. Die kurze Nase verfügt über einen Spoiler unterhalb der drei Lufteinlässe. Zwei aerodynamisch optimierte Leitungen versorgen die Klimaanlage (das einzige Zugeständnis an Komfort) mit Frischluft. Die Fahrerkabine sitzt kompakt zwischen der tief liegenden Frontverkleidung und dem großzügigen Motorraum hinten. Das Herz des F40, ein längs im Heck montierter 90-Grad-V8, schlägt offen sichtbar unter der großen, mit Lüftungsschlitzen versehenen Plexiglas-Heckscheibe. Der V8 ist mit 2.936 Kubik ein wenig größer als der des 288, die Zylinder wurden von 80 auf 82 Millimeter aufgebohrt während der Hub von 71 auf 69,5 verkürzt wurde. Die Zylinderköpfe besitzen vier Ventile pro Zylinder mit zwei oben liegenden Nockenwellen pro Zylinderreihe. Die Fütterung des Raubtiers übernimmt eine elektronische Benzineinspritzung von Weber-Marelli. Zwei IHI-Turbolader mit eigenen Kühlsystemen und ein Motor-Management-System nach Formel-1-Standard sind ebenfalls an Bord. Mit einer Verdichtung von 7,7:1 lieferte der F40 stolze 478 PS bei 7.000/min. Das Top-Tempo lag bei seinerzeit astronomischen 324 km/h und der Wagen beschleunigte von 0-100 km/h in nur 4,5 Sekunden. Da kam selbst der allradgetriebene 959 nicht mit, der kurz zuvor noch mit seinen – für einen Straßenwagen – sagenhaften 450 PS Schlagzeilen gemacht hatte.

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Für die 19 LM-Modelle arbeitete Dino Cognolato, Restaurator für historische Automobile und Karosseriespezialist, sogar an einer verbesserten Chassisstruktur. Noch leichter sollte es werden und trotzdem steifer. Die Karosserie wurde mehrfach modifiziert: niedrigere Nasenflügel und Spoiler, zusätzliche Lufthutzen und Kühlschlitze, um Kühler- und Motorhitze abzuleiten und Luftdruck und Bremshitze in den Radkästen zu vermindern. Weitere Modifikationen betrafen Spurbreite, Wendekreis, breitere Felgen und Rennreifen. Das optisch charakteristischste Merkmal des F40 LM aber ist der justierbare Heckflügel sowie die Integrierung der ursprünglich separaten (Klapp)scheinwerfer in die da-runterliegenden Plexiglas-Compartements, die bisher nur Lichthupe und Blinker beherbergten.

Michelottos Motorüberarbeitung beinhaltete größere Kühlwasserleitungen sowie neue Rennkolben, Pleuelstangen (ab 1990 aus Titan) und schärfere Nockenwellen. Die Motorleistung des F40 LM wurde auf 760 PS erhöht und die Kurbelwellengeschwindigkeit um 500/min angehoben. Die Brembo-Bremsanlage musste entsprechend verstärkt werden, ebenso wie die Zahnräder des Getriebes vergrößert und gehärtet wurden, um der gestiegenen Motorleistung und dem höheren Drehmoment standhalten zu können. Die Höchstgeschwindigkeit des F40 LM beträgt 376 km/h gemessen und er beschleunigt von 0 auf 100 km/h in rasanten 3,1 Sekunden.

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Die Fahrerkabine des F40 ist spartanischer als jede Kloster-Zelle, man spart sich gewichtige Eleganz in Form von Anstrich oder Lackierung und blickt auf nackte Tatsachen: Karbon. So wiegen beispielsweise die „entkleideten“ Türen weniger als zwei Kilo. Bis auf einen schnöden grauen Stoffbezug auf Armaturenbrett, zentralem Getriebetunnel und den Dachverstrebungen ist der Innenraum des F40 völlig unbekleidet. Statt Fußmatten aus Velours gibt es Gummi und statt elektrischen Fensterhebern ein Schiebefenster aus Lexan. Auf Luxus jedweder Art wird bewusst verzichtet, so gibt es weder innenverstellbare Außenspiegel noch Zentralverriegelung. Die Türen haben innen nicht einmal Handgriffe, sondern lediglich Schlaufen. Hier wird auf den ersten Blick jeder Zweifel beseitigt, der F40 ist spartanisch sportlich – ein echter Rennwagen – der krasse Gegensatz zum Porsche 959, der mit allen für seine Zeit erdenklichen Luxusattributen ausgestattet ist. Die Sitze des Ferrari folgen in Form und Funktion den Rennsport-Anforderungen: hochlehnige, mit rotem Textil bezogene Kevlar-Schalen mit Schlitzen für die Hosenträger-Gurte. Einziger Bruch im durchgängigen Minimalismus-Konzept ist die Klimaanlage, allerdings das denkbar einfachste Grundmodell und eine reine Notwendigkeit angesichts der Temperaturen, mit denen der Twin-Turbo-V8 sonst die Insassen per Heißluft gart. Da wird die Not zur Tugend.

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Bei einem Kraft-/Gewichtsverhältnis von beeindruckenden 1,44 Kilo pro PS ist das Thema Belastbarkeit unbestritten ein Hauptpunkt der Tagesordnung. Die außerordentliche Leistung des F40 fordert allerdings nicht nur in puncto Fahrgestell höchste Belastungsfähigkeit. Auch die Bremsen des F40 sind kraftvoller als die seines Vorgängers. Die Scheiben bestehen aus belüfteten Aluminiumkernen mit Eisenoberfläche, so lässt sich selbst bei höchster Belastungsfähigkeit noch Gewicht einsparen. Die Stoßdämpfer sind verstellbar und eine neue Generation von noch breiteren Reifen bringt sowohl mehr Grip als auch eine wesentlich bessere Bodenhaftung und eine stabilere Kurvenlage. Die Magnesiumfelgen im klassischen Fünf-Speichen-Renndesign von Ferrari sind mit ihren 42 Zentimetern Durchmesser ein echter Blickfang.

Trotz alledem ist der F40 ein durchaus brauchbarer Straßenwagen, wenn auch ein äußerst kompromissloser. Er verzichtet auf moderne Hilfsmittel wie ABS, Servolenkung oder Bremskraftverstärker und fordert daher von seinem Fahrer ein nicht geringes Maß an Fahrerfahrung und Konzentration. Gemäß der Ansicht des Commendatore beeinträchtigen derartige Hilfsmittel unnötig das Fahrvergnügen und nehmen dem Fahrer das Zepter aus der Hand. Die Federung des Renners ist gleich null, was allerdings durch die überraschend bequemen Schalensitze ein wenig abgefangen wird.  Der Lärmpegel innen dagegen ist fast am Anschlag – bei jedem Tempo.

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In den niederen Gängen ist der F40 sehr schwerfällig und kämpft trotz seiner 335 Millimeter breiten Hinterreifen in den ersten beiden Gängen mit starken Traktionsproblemen, was den vergleichsweise schwachen Beschleunigungswert bis 100 km/h erklärt. Im oberen Leistungsbereich spielt der F40 sein überlegenes Leistungsgewicht allerdings deutlich aus: So beschleunigt er in lediglich 6,4 Sekunden von 100 auf 200 km/h. Der Ferrari fliegt regelrecht über den Asphalt, der Rausch der Geschwindigkeit kribbelt in der Magengrube. 
Die perfekte Straßenlage, die Direktheit und Präzision der Steuerung, die reine, rohe Kraft der Beschleunigung sorgen für Unvergesslichkeit…

Nochmaliges Klopfen, die Tür öffnet sich einen Spalt breit. „Commendatore…? Scusi, però… vi aspettiamo…“ Der weißhaarige alte Mann am Fenster dreht ruckartig den Kopf. „Sto arrivando già!“ Er strafft die Schultern, dreht sich um und geht zur Tür, um die Welt mit „dem besten Ferrari, den es je gab“ bekannt zu machen. Für ihn selbst sollte es in der Tat der ultimative Ferrari sein, denn nur ein Jahr später starb Commendatore Enzo Ferrari im Alter von ereignisreichen 90 Jahren.
Die Legende aber lebt in seinen Autos weiter.

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TECHNISCHE DATEN
Ferrari F40 LM
Baujahr: 1991
Motor: V8, Mittelmotor
Hubraum: 2.936 cm3
Leistung: 760 PS bei 7.500/min
Max. Drehmoment: 706 Nm
Getriebe: Fünfgang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.535/1.980/1.150 mm
Gewicht: 1.100 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 3,1 Sekunden
100-200 km/h: 6,4 Sekunden
Top-Speed: 376 km/h