Dodge Challenger R/T SE 1969 vs. SRT Hellcat 2015

Muscle Cars waren nie wirkliche Sportwagen. Sie wurden und werden gebaut, um ihren Besitzern einfach nur eine sündige und  unverhältnismäßige Portion Kraft unter den Hintern zu geben. Damals wie heute: Wir definieren die Begriffe „sündig“ und „unverhältnismäßig“ am Beispiel eines klassischen Dodge Challenger R/T SE und eines aktuellen Challenger SRT Hellcat

Macht ihn wie damals. Aber macht ihn auch heute so geil, dass er den fettesten Camaro und den wildesten Mustang stehen lässt…“ So ähnlich muss es wohl im Lastenheft der „Street and Racing Technologies Division“ (SRT) von Dodge gestanden haben, als sie mit dem neuen Challenger beauftragt wurden. Einer der leitenden Ingenieure in den Staaten muss wohl seine Seele verkauft haben, jedenfalls ist das Ergebnis nicht von dieser Welt. Aber himmlisch ist der Dodge Challenger Hellcat auch nicht.

Mit wie viel Retro darf so ein Auto kommen? Oder definieren wir gerade einen neuen Stil aus zeitlosem Geschmack und technischem Fortschritt? Das rote Auto scheint leicht zu glühen, als es in Hamburg an der Hafenkante steht und da-rauf wartet, bewegt zu werden. „Hellcat“ – ein guter Name.

Long nose, short deck. Immer noch geil

Heute mal keine Kalauer über Wildpferde, Wölfe im Schafspelz oder britische, zum Sprung bereite Raubtiere. Einfach nur „Höllenkatze“. Punkt. Nicht chinesisch kopiert, sondern amerikanisch interpretiert. Kaum ein aktuelles Mus-cle Car ehrt seine Vorfahren so gelungen wie dieser Po-wer- Chally und würzt sie dabei mit allem, was heute technisch-mechanisch möglich – nein, sorry, eigentlich unvorstellbar ist.
Haube auf: ein 6,2-Liter-Hemi-V8. Gar nicht so ungewöhnlich, hinge da nicht ein Kompressor dran, der den Brennräumen pro Minute 30.000 Liter Luft zuschaufeln kann. Die Benzinleitungen haben einen Durchmesser von 1,3 Zentimetern. Und dann diese 717 PS. Haube schnell wieder zu, das ist mir unheimlich, das macht ein bisschen Angst.

Klassisch, sportlich, wertig. Super Sache

Immerhin so etwas wie Seitenhalt, die Sitze sind gut

Innen ist es schon etwas vertrauter, ein schmissiges Cockpit mit zwei Rundinstrumenten in Wagenfarbe, ein Infotainment-Bildschirm (den wir heute gar nicht brauchen) und statt einer dicken Mittelkonsole eine kleine Wanne mit ein paar Knöpfen und dem Wahlhebel der Automatik. Die Sitze sind straff und bequem, die Gurte so höllenrot wie das Auto und die Instrumente. Luzifer guckt um die Ecke und mahnt, sie anzulegen. Ja doch, gleich. Wir treffen uns erst mal mit dem Urahnen dieses Dings. Der ist nicht rot sondern blau, genau 45 Jahre älter und gullert soeben aufs Gelände.

TECHNISCHE DATEN

Dodge Challenger
SRT Hellcat
Baujahr: 2015
Motor: V8
Hubraum: 6.166 cm3 (376 cui)
Leistung: 527 kW (717 PS) bei 6.000/min
Max. Drehmoment: 881 Nm bei 4.000/min
Getriebe: Achtgang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.028/1.923/1.450 mm
Leergewicht: 1.887 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 4 s
Top-Speed: 330 km/h
AEC Listenpreis: ab 99.900 €
www.aeceurope.com

Das Display bietet über 100 Einstellungen. Heute mal nicht

717 PS und mehr Druck als ein Jet. Der HEMI ist Wahnsinn

Dodge Challenger, erste Serie. Punkt.
Müssen wir viel über dieses Auto sagen? Das Muscle Car und sein gesamter breitbeiniger Auftritt sind selbsterklärend, schon damals im Jahr 1970. Heino Wilmerstädt aus Kiel hat diesen staubsaugerartig aussehenden Ersthand-Muskel in den letzten Monaten des vergangenen Jahr-
tausends aus der Schweiz geholt. Außen blau, innen blau und ein paar kleine Buchstaben hinter dem Namen, die ihn noch ein bisschen begehrenswerter machen: R/T SE. Das bedeutet 6,3-Liter-Magnum-V8 und eine gehobene Ausstattung. 335 SAE-PS, und das in einer Zeit, als die letzten verwirrten Hippies aus dem Sommer der Liebe noch nicht ganz zurück in ihre Kommunen gekrabbelt waren. So viel Bumms hatten damals nicht mal die Saturn-Raketen, und die sind erfolgreich der Erdanziehung entkommen. So viel Bumms war Wahnsinn, und wenn man mal ganz ehrlich ist – es ist auch heute noch Wahnsinn. Sexy verpackt von Carl Cameron als späte, vielleicht etwas zu späte Antwort auf Mustang und Camaro mit long nose und short deck, surfte der Challenger auf der gleichen Plattform wie der ‘Cuda die abklingende Welle der Pony-Cars erst recht erfolgreich, wurde aber nach fünf Jahren und gut 188.000 Exemplaren wieder vom Markt genommen. Über den Mitsubishi, der ein paar Jahre danach den Namen draufgeklebt bekam, schweigen wir. Erst seit 2008 steht wieder ein echter Challenger vor den Toren, auch wenn Chrysler (und damit auch Dodge) jetzt Fiat sind.

Ein wundervoll zitierter Arsch, das gefällt uns sehr, sehr gut

Blau oder Rot?
Die Schließklötzchen gewähren nicht etwa jeweils Einlass in die blaue Schüssel oder die rote Schüssel. Nein. Die blaue Schüssel von Wilmersdorf hat ihren eigenen Schlüssel, die rote Schüssel aber gleich zwei. Verwirrend? Seien Sie froh, dass wir diesmal nicht mit einem Schaubild der amerikanischen Modellbezeichnungen ankommen müssen. Der blaue Schlüssel der Hellcat ist der „zahme“. Mit dem werden rund 300 PS freigesetzt, quasi die Neuzeitparallele zum blauen Ur-Challenger. Genau richtig, um heute Abend noch beim Bio-Markt vorbeizufahren, um ein paar Sprossen und Keimlinge für den veganen Salat zu kaufen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Umweltschutz, Effizienz und Elektromobilität sind wichtige Faktoren in unserer Welt, die kontinuierlich mit einbezogen werden müssen. Aber nicht heute. Heute nehmen wir den roten Schlüssel.

Zwei Buchstaben machen den Unterschied. Damals war das eine Mordwaffe

Alles neu und frisch. So viel Blau ist fast sündig cool

Nicht viel Spökes, aber der SE hat immerhin Holz angetäuscht

Magnum, fett, drückt wie Sau. 1970 eine Ansage

TECHNISCHE DATEN

Dodge Challenger R/T SE
Baujahr: 1969 / Modell 1970
Motor: V8
Hubraum: 6.280 cm3 (383 cui)
Leistung: 246 kW (335 PS) bei 5.000/min
Max. Drehmoment: 570 Nm bei 3.200/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.840/1.900/1.300 mm
Leergewicht: 1.680 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 6,5 s
Top-Speed: 220 km/h
Preis/Wert: ca. 28.000 Euro

Der Startknopf ist ähnlich höllenrot wie einige andere Komponenten hier. Wenn man ihn drückt, flackert im Cockpit kurz ein böses Piktogramm der Höllenkatze auf – und der Hemi bellt kalt und aggressiv los. Jesus – ääääh, Teufel auch! Die Augen suchen unfreiwillig den Not-Aus-Knopf und finden ihn nicht. Jetzt den Wahlhebel auf irgendwas schieben, was nicht N oder R heißt und vooooorsichtig den Fuß von der Bremse nehmen. Die Hellcat kriecht geduckt los. Wilmersdorf folgt mit seinem Klassiker. Wir wollen rüber zum Baakenhafen, da stehen im Moment noch keine hippen Neubauten und Biomärkte, da ist viel Platz zum Spielen für erwachsene Männer und ihre Autos. Leichter Druck aufs Gas: Verdammt, ist das gut. Gleich noch mal: Hölle, Hölle, Hölle. Das Triebwerk unter der langen Haube setzt die 881 Newtonmeter so direkt frei, dass man fast nicht ohne durchdrehende Hinterräder anfahren kann, egal auf welchem Untergrund.

Vollgas geradeaus. Wilmerstädts Challenger macht Lust auf mehr

Dieses Coupé ist das stärkste Fahrzeug, was jemals die Bänder der SRT-Division verlassen hat: Der ur-amerikanische PS-Krieg ist wieder mal gewonnen, die Hellcat verweist mit ihren 717 Pferden die Konkurrenten Mustang und Camaro sowie den drüben populären Nissan GT-R klar in ihre Schranken.
Die lange Gerade unten am Kai ist gut geeignet, um mal das Gas kurz durchzutreten und dann –  *waaaaaaaaaaah* – sich völlig neu zu kalibrieren, was die Begriffe Kraft, Gleichgewichtssinn und Verträglichkeit anbelangt. Es gibt Autos, die bügeln einem die Falten aus dem Gesicht, aber die Hellcat lacht darüber. Die rammt einem die geballte Faust unvermutet in den Magen, während vorn im Reaktor mengenweise Superbenzin und Atemluft in schreiende Bewegungsenergie gewandelt werden.

Shake it like a Polaroid Picture. Donnergrollen auf der Brücke

Kaum hat das Herz wieder angefangen zu schlagen, ballert schon der ehrwürdige R/T von hinten heran, zieht vorbei und zeigt seinen sexy Hintern. Der Traum eines jeden jungen Amerikaners an jeder roten Ampel der 70er Jahre, heute eine seltene und begehrte Ikone und kontinuierlich dabei, in unerschwingliche Preiskategorien zu klettern.
Wilmersdorf hat das Fahrzeug damals von einem Bootsbauer erworben, der es als profanes Zugfahrzeug für seine schweren Trailer benutzt hatte. Entsprechend sah das Muscle Car von innen und außen aus, viele kleine Rempler und eine Menge Flecken vom Öl und der Schmiere. Davon ist heute nichts mehr zu sehen, und der Magnum-V8 donnert seine Melodie wie am Tag des Jüngsten Gerichts.

Damals war der Challenger R/T cool, heute ist er es auch. Die Hellcat ist heute ebenfalls cool, war aber damals unvorstellbar. Die Zeiten ändern sich, sie werden schneller, härter, teurer. Wir blubbern mit beiden Autos synchron zurück durch die Hafencity, auch im Cruising-Modus will man nie wieder aussteigen. Sportwagen? Nein, nicht wirklich. Muscle Cars hatten niemals den Anspruch, technisch perfekt ausgereifte Kurvenräuber zu sein. Wer ein Muscle Car fuhr und fährt, egal ob 1970 oder 2015, der erfreut(e) sich an der sündigen, krass übertriebenen Leistung vorne unter der Haube. Es reicht zu wissen, dass sie da ist und dass man sie gegebenenfalls abrufen könnte. Bloß nicht provozieren lassen, und wenn doch – dann tschüss Cayenne und Co. Zumindest wenn es geradeaus geht und die Reifen noch Grip kriegen, bevor der Zebrastreifen völlig wegradiert ist.

Ein gutes Gefühl in einer Zeit, in der alle nur noch in jeder freien Minute auf ihr Smartphone glotzen und in virtuellen Welten leben. Diese beiden Autos hier sind real, weitestgehend analog und zeitlos brutal. Ob man sie jeweils mag – das kann jeder für sich selbst entscheiden. Mal schauen, wohin die Kraft unter der Haube in weiteren 45 Jahren gegangen ist. Viel Platz auf der Skala ist da nicht mehr, wenn man auf dem Boden bleiben will. Also nutzen wir sie noch, die uns verbleibende Zeit, solange Benzin noch bezahlbar ist. Yeah.

Fotos: Nico Meiringer