Rallye LeJog – Britische Schlammschlacht

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Zu den letzten automobilen Abenteuern Europas zählt die Rallye LeJog: Im Winter geht’s durch Matsch und Wasser einmal quer über die britische Insel. Wer das erste Mal mitfährt, kommt nur an, wenn er seine Verzweiflung besiegt. Aber auch die Abgeklärten sind vor Fehlern nicht gefeit

Ob Iltis oder Jaguar, Deutscher oder Engländer, Limousine oder Cabrio, Pech oder Panne: Wer sich auf LeJog einlässt, kann mit allem rechnen – nur nicht mit der Garantie, problemlos anzukommen

Es gehört schon eine Menge Chuzpe dazu, den Holzboden eines durchaus gut erhaltenen MGA Coupé, Baujahr 1957, absichtlich zu perforieren. Und wenn man dann noch den Grund dafür erfährt, bekommt der durchschnittliche Oldtimerfan den Mund nicht wieder zu: Damit Wasser ablaufen kann. Und wie und wann kommt das Zeug da rein? Durch alle Ritzen. Bei der LeJog.

LeJog ist der Alptraum für alle Klassiker-Fans, die ihr Auto mit der Zahnbürste pflegen, und bedeutet das Paradies für alle Klassiker-Fans, die mit ihrem Auto mehr als nur cruisen und defilieren wollen. LeJog ist die Abkürzung für „Land’s End“ und „John o’Groats“, und diese beiden Namen stehen für jeweils Start- und Zielpunkt einer der wildesten europäischen Oldtimer-Rallyes unserer Zeit: etwa 2.500 Kilometer in drei Tagen von dem südlichsten Ende der britannischen Insel in Cornwall bis zur nördlichsten Spitze in Schottland. Und das jedes Jahr im Dezember – also normalerweise bei Schnee und Eis.

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Diese winterlichen Attribute blieben den 73 Teams wegen Plusgraden diesmal erspart, dafür hatte Tief Xavier seine Regenlast über der britischen Insel verloren und aus plätschernden Bächen reißende Flüsschen gemacht. Horst Pokroppa, Versicherungsmathematiker aus dem holländischen Vaals bei Aachen und Besitzer des gelöcherten MGA, weiß allerdings, wie man sich und sein Auto für so eine Tortur vorbereitet: „Am besten im Jahr mehrere tausend Kilometer mit dem Wagen fahren, um zu wissen, wo die Schwachpunkte sind,“ sagt der 55 Jahre alte MG-Fan, der zu Hause unter anderem auch noch einen MGTD, einen MGB und einen Midget hat. Er ist bereits das vierte Mal dabei und kennt die Tricks, die einen am Verzweifeln hindern – zum Beispiel „einem Gummi-Haushaltshandschuh die Fingerkuppen ahschneiden und damit Verteiler plus Kabel schützen“ – was aber nur bei einem Vierzylinder problemlos klappt.

Klar, die meisten Teilnehmer kommen aus Großbritannien und fahren englische Autos. Aber auch einige Deutsche, Italiener und weitere Mutige opfern sich und ihre Autos zwischen Land‘s End und John o‘Groats

Solche Tipps sowie die Erfahrung und ein großes Maß an Schraubertalent braucht jeder, der bei der LeJog vorne mitfahren will. Prokroppa und sein Copilot, der Luxemburger Physiotherapeut Kurt Wagner (66), mussten das auch erstmal lernen: „Bei unserer ersten LeJog im Jahr 2009 landeten wir im totalen Schneechaos. Und das ohne Winterreifen. Aber in Edinburgh mussten wir gar nicht aussteigen: Ein Reifenschnelldienst hat uns aufgebockt und in 15 Minuten alle vier Reifen gewechselt. Wegen Platzmangel haben wir ihnen die Sommerreifen dann geschenkt…“

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Wahrscheinlich wären sie nie angekommen, hätten sich nicht erfahrene LeJoger ihrer erbarmt und sie an die Hand genommen. Das waren bei Pokroppa die berühmten Walisischen Kiff-Brüder (John, Robert und Edward – die heißen wirklich so), die schon seit Ewigkeiten mittouren in ihrem aufgebrezelten 57er Käfer mit 1.6-Liter-Porschemotor (aus einem 356A). Das größte Problem bei LeJog: „Die Navigation ist mit keiner anderen Rallye zu vergleichen.“

Dazu gehört zum Beispiel ein „Roamer“, für den es nicht mal ein deutsches Wort gibt. Der Roamer ist ein durchsichtiges, etwas fünf mal fünf Zentimeter großes quadratisches Lineal mit Löchern (!) drin, um Distanzen und Koordinaten auf Landkarten zu übertragen.

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Das man so etwas braucht, hatten die beiden LeJog-Novizen Christian Hiemenz (54) und Michael Stehr (65), beide selbstständige Unternehmensberater aus Berlin, überlesen. Recht unbedarft hatten sie sich zu dem Abenteuer angemeldet. Das Auto: Ein Porsche 911 T von 1971. Der fing allerdings sechs Wochen vor der Tour an, zu zicken: Laute Fehlzündungen bei Lastwechsel, begleitet von einem netten Feuerschweif aus dem Auspuff, waren keine gute Vorboten für eine erfolgreiche Absolvierung der Rallye. „Aber zum Glück hat uns Pokroppa an die Hand genommen und uns Tipps gegeben,“ sagt der Matching-Numbers-Porsche-Besitzer Hiemenz. Was ihn und seinen Copiloten nicht davor bewart, gleich am ersten Tag von LeJogs Gnadenlosigkeit überrumpelt zu werden. Schon die erste Sonderprüfung direkt nach dem Start macht klar, dass dieses von HERO (Historic Endurance Rallying Organisation) veranstaltete Event keine Kaffeefahrt ist: „Durch einen Pylonenparcours hetzen,“ erinnert sich Hiemenz.

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„OK“ bedeutet nur, dass es den Piloten gut geht. Der Wagen hat meistens einen Schaden. Doch die Organisatoren von HERO bekommen das wieder hin – wenn die Gestrandeten wirklich weiterfahren wollen

Vorgegeben ist ein Temposchnitt von 80 km/h – was natürlich nicht mal Semiprofis wie Pokroppa schaffen. Aber das ist gewollt und setzt nicht nur die rund zehn deutschen Teams auf die Strafpunkteliste, sondern alle. Es soll sich niemand zu sicher fühlen…

 

 

Und keine vier Stunden später stehen Hiemenz und Stehr mutterseelenallein in einem der vielen südenglischen Wälder und haben keine Ahnung, wo sie sind. Was unter anderem auch daran liegt, dass der neu eingebaute Wegstreckenzähler nicht so zählt, wie er soll. Unter lautem Fluchen suchen die beiden das nächste Dorf, um sich zu orientieren und um festzustellen, dass sie statt drei rund 30 Kilometer vom nächsten Kontrollpunkt entfernt sind. Leicht verzweifelt nehmen sie den direkten Weg ins Hotel, um dort um 23.30 Uhr anzukommen und bis 3.10 Uhr zu warten. Erst dann ist jemand da, um die eigentlich gegen 3.20 Uhr erwartete Ankunft der ersten Starter abzustempeln – die Voraussetzung, um am nächsten Morgen wieder starten zu dürfen.

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Der zweite Tag bedeutet nur 14 Stunden Rallye – fast ein Ruhetag. Wenn da nicht die vielen Wasserdurchfahrten wären. Prokroppa hat kein Problem dank Ablauflöcher im Wagenboden. Auch Hiemenz nicht: Er sieht einen Lancia absaufen und einen anderen Porsche aufschwimmen („Der bekam nur in den Wellentälern mal kurz Bodenkontakt“) und wählt unter Inkaufnahme von weiteren Strafpunkten eine nahe Brücke, um sich dann wieder in die Matsch- und Schlammschlacht zu werfen.

Der letzte Rallyetag fordert dann noch einmal alles: 26 Stunden Tortur – wenn man sich nicht verfährt. Sonst dauert es entsprechend länger. Von den 73 gestarteten Oldies in fünf Hubraumklassen sind schon längst nicht mehr alle dabei. Zwar gibt es immer mal wieder Ausrutscher mit Blechschäden, doch die werden von den HEROs meistens vor Ort gerichtet, so dass das kein Ausfallgrund ist. Häufiger sind es mechanische Probleme, bei manchen Teams auch physische und psychische.

Die Veranstalter scheuchen die Teams am Tag 3 durch Scheunen und über Flugplätze, aber am gemeinsten sind die engen schottischen Landstraßen bei Nacht: Schmale braune Wege, umgeben von halbvergammeltem braunen Heidekraut: „Die Straße war manchmal überhaupt nicht mehr zu erkennen,“ erinnert sich Hiemenz. Der Wind pfeift mit Stärke acht über die Highlands, und schleicht das Team noch über das erste „Cattle Grid“, werden die folgenden im Boden eingelassenen metallenen Viehstopper mit 100 km/h genommen.

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Einsamkeit überall: Nur selten treffen die Teilnehmer während der Fahrt auf Mitstreiter. Auch kein großer Bahnhof am Ziel: Ein Abwinker und ein eiserner Dudelsackschotte – fertig. Und zwar richtig fertig.

Vor querenden Tieren müssen sich die beiden Porsche-Insassen allerdings nicht fürchten: Ihr Wagen knallt so herzzerreißend dank der Fehlzündungen, dass sich nicht mal eine Maus vor die dünnen Winterreifen wirft.

Und weil das ja alles noch nicht schwierig genug ist, hat sich HERO noch eine kleine Gemeinheit ausgedacht: Die Teams müssen auf der gesamten Strecke so genannte „stumme Wächter“ finden. Das sind knapp 50 kleine Schilder an Pfählen mit Namen drauf. Die Hinweise in den Roadbooks zum Finden der stummen Wächter sind absichtlich sehr vage gehalten… Da macht es auch nichts mehr aus, dass in Schottland das berühmt-berüchtigte „Haggis“ gegessen werden muss: gequirlte Innereien in einem sezierten Schafsmagen.

Daran liegt es aber nicht, dass Prokoppa/Wagner die Rallye wieder nicht gewinnen – eher an der Tatsache, dass sie an einer dunklen und schlecht beschrifteten schottischen Tanke Diesel statt Benzin in den MG-Tank füllen. Top-Ten ist gut, aber sie wollen es verbessern. Natürlich im Dezember 2014.

Und wo landen Hiemenz/Stehr? Sie schaffen es tatsächlich bis John o’Groats – als 47. von 48 Teams, die ankommen. Und, nächstes Jahr wieder? „Na klar“, sagt Hiemenz, „aber mit besserer Vorbereitung.“ Was zum Glück nicht unbedingt bedeutet, dass er den Boden seines Porsche perforieren wird. Da gibt es auch noch andere Möglichkeiten…

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Fotos: ©Photo F&R Rastrelli. All rights reserved.