Citroën 11 CV 1953 – Gangsters Paradise

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Wenn Werner Hammer zum Geigenkasten greift, holt er auch die Gangsterlimousine raus – als solche wurde der Citroën 11 CV berühmt. Dabei ist das innovative Auto viel mehr das Missing Link vom überalterten zum modernen Auto. Auch wenn er heute nicht mehr so aussieht

Es gibt Autos, die muss man einfach mit einem Geigenkasten kombinieren. Klingt merkwürdig, ist aber so, besonders bei der „Gangsterlimousine“ – Fachbegriff „Citroën 11 CV“ oder auch „Traction Avant“. Ein Auto, das zwischen den 30er und 60er Jahren dank seines innovativen Vorderradantriebes als so schnell, fahrsicher und zuverlässig galt, dass besonders Verbrecher (mitsamt in Geigenkästen versteckten Schusswaffen) darauf standen sowie darin fuhren, um sich ausreichend schnell der Judikative zu entziehen.
Klar, dass auch Walter Hammer (60) nicht ohne Geigenkasten startet, wenn er seinen 11 CV BL anwirft. Und logisch, dass er auch das passende Outfit dazu hat, das er hin und wieder anlegt. Zum Beispiel, wenn er auf Klassik-Rallye geht, wie seine bevorzugte Sunflower-Rallye im Mecklenburgischen. Oder zum Foto-Shooting mit TRÄUME WAGEN.

Hammers Auto hat ein bewegtes Leben hinter sich: 1953 wurde es als Typ 11 BL im Pariser Citroën-Werk Quai de Javel gebaut. In Frankreich fuhr es mit der Zulassungsnummer 652 AC 41, bis es nach Deutschland kam. Der Adendorfer Kaufmann entdeckte es vor genau 30 Jahren an einer Tankstelle in Stelle.
Preis: 5.000 Mark inklusive seltenem Bakelit-Federspeichenlenkrad von Quillery. „Ich hatte gerade ein gutes Geschäft gemacht und konnte nicht widerstehen,“ gibt Hammer zu, und so kaufte er das Fahrzeug (damals noch in Grau), von dem er  hatte, was es eigentlich war. Zwei Jahre lang fuhr er es, bis ihn sein Beruf zu sehr beanspruchte. Er stellte das Auto in einer Garage unter – und holte es erst sieben Jahre später wieder hervor: „Aus der hinteren Sitzbank wuchsen schon diverse Baumtriebe,“ erinnert er sich heute.

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Überschaubares Interieur: 1953 war man noch nicht so anspruchsvoll. Das weiße Bakelit-Lenkrad ist eine originale Option. Interessant die hölzernen Sonnenblenden Da hätte sich auch Al Capone wohl gefühlt: An Platz mangelt es im Fond nicht

Doch statt das Projekt zu beerdigen entschloss er sich zu einer Vollrestauration – inklusive Umlackierung auf Schwarz („So ein Traction Avant muss einfach schwarz sein…“). Vor zwei Jahren ließ er Motor, Kupplung und Vergaser überholen, und auch das Getriebe ist relativ neu – nachdem er das Auto einem Freund überließ und der den ersten Gang reinrammte, als das Auto noch rollte. „Geht gar nicht,“ weiß Hammer, „der erste Gang ist nicht synchronisiert und darf nur bei völligem Stillstand eingelegt werden.“

Auch sonst besitzt ein 11 CV ein paar Eigenarten. So ist zum Beispiel das Gaspedal ein kleiner Stummel im Fußraum. Die Fronttüren sind an der B-Säule angeschlagen, also so genannte „Selbstmördertüren“, die Heizung funktioniert durch einen (bei Hammers Auto nicht vorhandenen) Schlauch, der vom Kühler in den Fahrerfußraum führt. Aber sonst ist ein 11 CV ein echter Hammer: Nur wenige Autos aller Zeiten vereinen so viele Innovationen auf einmal.

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Das ist hauptsächlich einem jungen Ingenieur namens André Lefèbvre zu verdanken. Der Techniker wechselte im Mai 1931 von Renault zu Citroën und fand in Firmenchef André Citroën einen Mann, der genauso Technik versessen war und ihm seine genialen Eskapaden finanzierte. So packte Lefèbvre im Nachfolger des Citroën Rosalie die großen Gewichte „Motor“ und „Getriebe“ nach vorne. Dann konstruierte er die Vorderräder als Antriebs-räder, was dank der Ideen des Gerolamo Cardano möglich war. Der Italiener hatte bereits im 16. Jahrhundert das Problem gelöst, wie man mit Hilfe eines geeigneten Gelenks eine Drehbewegung gleichförmig übertragen kann bei zwei in veränderlichem Winkel zueinander stehenden Wellen. Voilà: Der „Traction Avant“ durfte dank Kardangelenken leben.

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Unter Lefèbvre machten sich der Designer Flaminio Bertoni, der Karosseriebauer Raoul Cuinet, der Fahrwerksspezialist Maurice Julien und der Motorkonstrukteur Maurice Sainturat an die Arbeit – und schon am 24. März 1933 stellten sie den Wagen als „7 A“ den vierzig wichtigsten Citroën-Vertragshändlern vor. Ein geplantes Automatikgetriebe ließ André Citroën aufgrund klammer Verhältnisse fallen, das Standardgetriebe wurde in nur zwei Wochen entwickelt und gebaut. Die französische Presse war ganz aus dem Häuschen – die Tageszeitung „le Journal“ schrieb zum Beispiel: „Dieser Wagen ist so neu, so gewagt, so reich an neuen Lösungen, so anders als alle anderen bisherigen Autos, dass er die Bezeichnung `sensationell´ verdient.“

Schon der Frontantrieb („Traction Avant“) mit dem im Motor integrierten Differenzial und dem vorne am Motor angeflanschten Getriebe war genial – vor 1933 waren die meisten in Großserie gebauten Autos mit Hinterradantrieb ausgestattet. Damit hatte es der Ingenieur auch gleich geschafft, das Gewicht nach vorne zu bringen für besseres Fahrverhalten. Nahezu revolutionär war ebenfalls die selbsttragende Karosserie, womit das Rahmenchassis früherer Modelle passé war. Dadurch sank der Schwerpunkt des Autos im Vergleich zum Vorgänger Rosalie um satte 20 Zentimeter. Das erlaubte Bertoni auch, eine neuartig designte Karosserie mit einem strömungsgünstigen Flachprofil zu entwerfen – der Traction Avant ist der erste Großserienwagen, dessen Aerodynamik systematisch untersucht wurde.

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Das Ersatzrad nimmt viel Platz ein im Kofferraum. Für ein paar Geldbündel reicht es trotzdem noch Klimaanlage auf die einfache Art: Einfach am Rad drehen, und die Frontscheibe löst sich unten aus dem Rahmen

 

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Damit nicht genug: Lefèbvres Mannschaft ersetzte die sonst 
übliche Blattfederung durch eine Einzelradaufhängung mit 
Drehstabfederung. Vorteil: Keine Reibung, keine rostenden Federblätter, weniger Gewicht, besserer Komfort. Die Lenksäule unterteilten die Ingenieure dank Kreuzgelenk in zwei nicht mit-
einander fluchtende Wellen – somit kann sie bei einem Unfall nicht tief in den Innenraum eindringen (wahrscheinlich ist diese Lösung beim Traction Avant aber eher technisch bedingt und nicht direkt als Sicherheitsfeature gedacht). Lefèbvre ersetzte die übliche, aber ungenaue Schneckenlenkung durch die exaktere Zahnstangenlenkung. Andre Citroën genehmigte beim Traction Avant zudem die besten Vortriebsvernichter, die damals zu haben waren: hydraulische Lockheed-Bremsen, die gegenüber üblichen Kabelzugbremsen gleichmäßiger und sanfter arbeiteten.

Auch beim Motor – anfangs ein 1.303 cm3 großer Vierzylinder mit 32 PS (französische Steuerleistung: 7 CV) – gab es keine Kompromisse. Sainturat entwickelte für den 7 A eine Konstruktion mit Kipphebeln und auswechselbaren Laufbüchsen aus Spezial-Schleuderguss. Gegenüber herkömmlichen Antrieben mit Seitensteuerung wurden die Wartung vereinfacht, der Wirkungsgrad gesteigert und das Gewicht gesenkt. Zusätzlich lagerte das Team den Motor elastisch dank „Pausodyne“-Aufhängung, bei der flexible Federn normale Gummipuffer ersetzten.

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Knapp 50 PS reichten einst für die Flucht vor der Polizei – heute reicht es für die Flucht aus dem Alltag

 

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Vom Siebener-Modell wurden von 1934 bis 1941 88.066 Stück gebaut – der 11 CV aber ist das am häufigsten gebaute Modell der Familie: Er entstand von November 1934 bis 1957 in 620.455 Exemplaren. Sein Leben begann, als der „7 Sport“ noch im Jahr 1934 in „11 Légère“ umbenannt wurde. Der Motor überzeugte später mit 1.911 Kubik Hubraum und 46 PS. Preis: 22.000 Francs. Die Konkurrenz zwang Citroën 1938, auch eine Sechszylinder-Version (15-six) anzubieten: Hubraum 2.867 cm3, 77 PS, 135 km/h Spitze. Inzwischen gab es das Auto und Unmengen von Karosserieformen – mit kurzem und langem Radstand, als Coupé und Cabriolet. 1934 wurden auch mindestens ein und höchstens 20 Prototypen eines Achtzylinder-Modells gebaut – die genauen Zahlen kennt niemand so genau.

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Und alle Exemplare gelten als verschollen. Die französische Armee machte einen großen Fehler, als sie den Traction Avant im Jahr 1939 ablehnte, weil das Auto „nicht den Vorschriften für motorisierte Fahrzeuge entspricht“. Andere freuten sich umso mehr: der französische Widerstand, die deutsche Armee, später auch die Polizei – und natürlich Verbrecher aller Art. Zwar war der Start des 7 A und 11CV wegen der Komplexität der Technik problematisch, es gab viele dringend nötige Nachbesserungen. Aber trotzdem verließ der letzte Traction Avant erst am 18. Juli 1957 das Band des Werks Quai de Javel in Paris, ein 11 D Familiale. Der Traction Avant erlebte also eine Produktionsrekorddauer von 23 Jahren, vier Monaten und 15 Tagen. Zwischen 1934 und 1957 entstanden genau 759.123 Stück.

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Wenn sich Werner Hammer ans Steuer setzt, tut er das manchmal im Anzug – wenn das nicht stilvoll ist…

 

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Mit gemütlichem Blubbern rollt Hammers Exemplar über die Landstraße – wir sitzen weich in typisch französischem Gestühl. Die Schaltung ist gewöhnungsbedürftig: Der erste Gang liegt rechts unten, der zweite links oben, der dritte links unten. Knapp 50 PS haben mit der einen Tonne Auto keine Mühe, aber Bäume ausreißen kann er auch nicht. Klasse ist die Klimaanlage: Die Frontscheibe wird über eine Schraube unten ausgestellt – fertig. Zeitgenössisch, aber nicht original ist das Wasserthermometer – alt, aber nicht zeitgenössisch, ist das Radio. Die Insassen haben gut Platz, das Gepäck weniger: Hinter der dünnen Heckklappe sind Werkzeug sowie Ersatzrad verstaut – und ein Grammophon: „Falls ich mal Musik beim Picknick brauche…“ sagt Hammer.

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Sein Auto war sogar mal Mittelpunkt einer Werbekampagne: Da standen fünf als Mafiosi getarnte Lüneburger Restaurantbesitzer um den Wagen herum und warben augenzwinkernd für ihre Speisen. Das Poster fand aber keine große Verbreitung: Just als die Kampagne laufen sollte, gab es in der vietnamesischen Gastronomiebranche vor Ort mächtig Ärger – leider mit echten Knarren. So kam die witzig gemeinte Kampagne zum falschen Zeitpunkt. Bleibt nur noch die Frage, was sich denn nun in Hammers Geigenkasten befindet. Ganz einfach:
„Eine Flasche Sekt für den richtigen Moment…“

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Die „Selbstmördertür“ lädt zum Entern des Volants ein. Auf der anderen Seite erleichtert sie schießwütige Angriffe
TECHNISCHE DATEN
Citroën 11CV BL „Traction Avant“
Baujahr: 1953
Motor: Vierzylinder
Hubraum: 1.911 cm3
Leistung: 34 kW (46 PS) bei 3.800/min
Max. Drehmoment: k.A.
Getriebe: Dreigang-Handschalter
Antrieb: Vorderräder
Länge/Breite/Höhe: 4.650/1.670/1.540 mm
Leergewicht: 1.060 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: k.A.
Top-Speed: ca. 120 km/h
Wert: ca. 20.000 Euro