Corvette C3 1969 – Coke Bottle Rochen

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Die mutige dritte Generation von Chevrolets Kunststoff-Sportwagen wird gern zusammen mit dem Design einer Colaflasche oder den ausladenden Hüften einer Frau in einem Satz genannt: Koffein für ein rasendes Herz und Formen für lüsterne Blicke bietet sie reichlich. Und noch einiges mehr: Wir haben einen 1969er Stachelrochen durch den Weserhafen gejagt

Nehmen wir die Dachhälften raus?“ Ja, na klar. Wusste gar nicht, dass das geht. Die Sonne steht hoch oben hinter Schlierenwolken (oder ist das Smog?) und lässt dieses goldene, respekteinflößende Gerät matt und wachsam schimmern. Die Metapher mit dem auf der Lauer liegenden Tier ist allerdings aus mindestens zwei Gründen nicht angebracht. Zum einen ist sie ausgelutscht und abgegriffen („der Jaguar setzt zum Sprung an“ – gähn – „der Cougar wetzt die Krallen“ – schnarch), zum anderen steht hier zur Abwechslung mal nicht ein Vertreter der ausklingenden Muscle-Car-Ära, der erstnamentlich der wilden Fauna zuzuordnen wäre: Corvette. Einfach so.

Amerikas erster Nachkriegs-Großserien-Sportwagen stand in seiner Urversion 1953 schon in den Startlöchern, als noch immer hunderte Menschen Namen für das Straßenschiff vorschlugen. Der Zeitungsfotograf Myron E. Scott machte mit seiner Idee das Rennen, indem er den Jungs bei General Motors die historische Bezeichnung von schnellen, wendigen Kampfbooten auf den Tisch legte. Die französische Kriegsmarine entging schon in den 1670ern mit ihren kleinen „Corvetten“ dem trägen Kanonenfeuer der Kriegsschiffe, und im zweiten Weltkrieg wurden seitens der Briten schnelle, wendige Corvetten gegen die fiesen, aber trägen deutschen U-Boote eingesetzt. In Amerika gab es nur acht Jahre nach dem Krieg eine Menge Veteranen, die sich noch gut an diese Zeiten erinnerten, und der Name schlug dementsprechend ein wie eine Unterwasserbombe.

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Schon die zweite Baureihe von 1962 bis 1967 bekam dann doch einen fischigen, animalischen Beinahmen, nach ihrem Aussehen mit der breiten Haube und dem geteilten Heckfenster nannte man sie „Sting Ray“, übersetzt „Stachelrochen“. Diese Bezeichnung sollte leicht anders geschrieben in die folgenden Generationen übernommen werden, auch wenn das stachelrochige Äußere nicht mehr nachzuvollziehen war. Im Gegenteil. Das schon 1965 von Chevrolet vorgestellte „Mako-Shark“ Showcar – oh je, noch ein Fisch – basierte in vielen Teilen auf einem Entwurf von Bertone aus den 50er Jahren und hatte derart sexy Linien plus eine höchst attraktive Taille, dass davon viele Elemente von Designer David Holls in die dritte Generation C3 übernommen wurden. Einiges nicht. Das futuristische viereckige Lenkrad zum Beispiel – man sollte ihm dafür heute noch dankbar sein. Als Fahrwerk diente in alter amerikanischer Tradition weitestgehend der robuste und bewährte Kram aus dem Vorgänger C2.

Die C3 ging in die Werksgeschichte ein als die Corvette mit der längsten Bauzeit. In den 15 Jahren (von 1967 – 1982) entstanden mehr als 540.000 Exemplare. Die fast schon übertriebenen Formen trafen den Geschmack der Muskelfans, die mit diesem Auto ein Stück amerikanisches Industriedesign erwerben konnten. Die Stingray (eigentlich ja „der“ Stingray, aber sorry, das Gerät ist definitiv weiblich) ging den meisten Menschen mit ihrer Höhe von nur 1,21 Metern gerade mal bis zum Gürtel und entwickelt, wenn man erst einmal in ihr drin sitzt, nahezu wollüstige Bilder im Kopf. Die Fachpresse unkte dementsprechend, man habe die praktische Seite eines Automobils zu sehr im Sinne des Designs vernachlässigt.

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Die unter einer Abdeckung versenkten Scheibenwischer blieben bei Frost einfach, wo sie waren. Game over. Wenn‘s dagegen mal zu heiß wurde, bekamen die Motoren Kühlungsprobleme, weshalb heute viele C3-Fahrer dicke E-Lüfter nachgerüstet haben. Insgesamt ließ die Verarbeitungsqualität gerade der ersten Jahre zu wünschen übrig, aber das störte die Amerikaner nicht. Sie kauften die Corvette, als gäb‘s keine Alternativen. In dieser Preisklasse, und rechnet man noch einen gewissen Nationalstolz ein, stimmte das damals sogar.

Bis 1977 gab es, einzigartig bei Serienfahrzeugen, die herausnehmbaren Dachhälften. Dieses „T-Bar-Roof“ oder „T-Top“ machte aus dem Wagen fast ein Cabrio. Das als solches gab es ihn natürlich auch. Nach und nach wich aber der Spaßfaktor den weltweit anziehenden Sicherheitsbestimmungen, ab 1975 wurde das Vollcabrio nicht mehr angeboten. Auch das T-Top entfiel 1978 und wurde durch eine Art Fastback-Heck mit einer kuppelförmig gewölbten Glasscheibe hinter der B-Säule ersetzt. Was dem ziemlich geilen Aussehen der Corvette nur bedingt Abbruch tat. Im Gegenteil: Sie wurde sogar wieder etwas „rochiger“.

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Die Motorisierung begann anfänglich ganz unten mit dem aus der C2 übernommenen 5,3-Liter-V8-Small-Block, der aber auch seine 300 PS auf die Hinterachse legte. Die Messlatte wurde immer weiter aufgebohrt, zunächst mit dem 7-Liter-Big-Block und 390 PS. 1971 war das quasi eskalierende Traumjahr für Hubraum- und Leistungsfreunde, der 7,4-Liter-V8 (das sind mehr als 930 ccm pro Zylinder!) drückte 435 Brutto-SAE-PS auf den Asphalt und war der stärkste Motor in der Geschichte dieser amerikanischen Sportwagenlegende. Dann kamen die Ölkrise und dramatisch steigende Versicherungsprämien für leistungsstarke Kraftfahrzeuge, und die Jungs bei GM backten wieder kleinere Brötchen. Oder sie tricksten.

Wenn ein ansonsten drehfreudiger V8 in einem niedrigen Drehzahlbereich „nur“ 430 BHP leistet – gibt man die eben an. Bei insgesamt gerade mal zwei offiziellen Kunden soll sich dieser ZL1-Motor-Schummelklotz unter der lüstern geschwungenen Haube befunden haben. Im Kern werkelte hier ein L88-Aluminiumblock mit geänderten Anbauteilen, der in seinem möglichen Drehzahlbereich mehr als 550 SAE-PS entfachen konnte. Wusste halt sonst niemand. Understatement auf amerikanisch. So findet jeder seinen Weg.

 

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Michael Rafflenbeul hat seinen auch gefunden. Der Stingray in „riverside gold“ ist eine Inzahlungnahme und kommt ursprünglich aus Florida. Es ist eines dieser seltenen überlebenden Exemplare, an denen alles original ist und auch noch funktioniert. Während er durch einen Trichter im Tankdeckel dort, wo bei normalen Autos der Kofferraum ist, das gute Super reingluckern lässt, listet er die Vorgeschichte auf: Die Technik der Colaflasche wurde aufwändig und umfangreich überholt und dezent aufgewertet – der GM-Crate-V8 mit Edelbrock-Ansaugspinne, Fächerkrümmer und scharfer Nockenwelle mit Alu-Kipphebeln hat mehr als 400 PS. Für die saubere Abwicklung der Verbrennung sorgen (in order of appearance): ein neuer, groß dimensionierter Anlasser, eine komplett neue Zündanlage mit 120 Ampere-Lichtmaschine, ein dreilagiger Alukühler mit zwei E-Lüftern, ein neu gelagertes revidiertes Schaltgetriebe und die Raptor-Doppelauspuffanlage.

Und noch dies und das, aber Worte sind in dem Moment Schall und Rauch, wo Rafflenbeul den Schlüssel dreht und der Crate zum Leben erwacht. Der will. Und zwar mit Nachdruck. Das Verständnis von „Sportwagen“ war damals in den USA ein ganz anderes als in Europa. Hier wurde nicht um Drehzahlen gepokert und mit straffen Fahrwerken gepunktet – hier wurde einfach reichlich Leistung aus viel Hubraum generiert und vom Fahrer verlangt, dass er diese gefälligst zu beherrschen habe. Nix Hilfsmittel, nur die Information, dass da schon kurz über dem Standgas fast doppelt so viel Drehmoment an der Hinterachse zerrt wie bei einem aktuellen Golf GTI. Wer es handeln kann, hat einen Haufen Spaß. Wer nicht, hat in einer Corvette schlicht nichts zu suchen. Rafflenbeul weiß, was er tut. Ganz offensichtlich. Schon auf der Stadtumgehung hat der Kamerawagen Probleme, dran zu bleiben…

 

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Ein Auto wie eine junge, temperamentvolle Frau. Nicht nur von den Formen her, auch vom Verhalten. Raue Ansagen, zornige, fluchende Schimpftiraden aus den Auspuffrohren, heißblütig und schnell. Nun kommen doch wieder Tiermeta­phern in den Sinn, etwas mit wilden Viechern. Die Designer damals wussten schon, warum sie aus ihren Autos entweder Wildpferde, Pumas oder Antilopen machten – das sind eben keine reinen Kraftfahrzeuge mehr. Geil. Vor stahlverarbeitenden Betrieben, Kohlehalden und tuckernden Kümos auf brackwässrigen Kanälen wirkt die Corvette wie gerade erst aus den Elementen geboren. Sie hat noch so viel Energie, dass sie Begehrlichkeiten weckt. Nicht nur bei uns: Sie ist schon kurz nach der Fotosession verkauft worden und bullert heute durch Hannover…

Die vier Gänge knallen präzise in ihre Position, und immer haben die breiten Reifen Kontakt zum Asphalt. Die Sitze bieten keinen Seitenhalt, egal, irgendwo findet sich etwas zum Festhalten. Im besten Fall der Volant, an dem beherzt gerissen wird, um dem Stingray die Richtung zu weisen. Dieser Sound, diese Formen, diese Anstrengung in der Nähe des Grenzbereichs…

Wer das einmal selbst erfahren hat, wird verstehen, warum die Amis so auf diesen Wagen abgehen. Nach einem Ritt in einer Corvette sind wir alle ein bisschen Amerikaner. Wir ersetzen Hubraum nun – wenn überhaupt – durch noch mehr Hubraum, scheren uns nicht um den Durst der acht Töpfe und lächeln über den Rest der Welt. Zumindest für diesen Moment.

Vielen Dank an:
Classic Car Ranch
Petershäger Weg 211±
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Technische Daten

Corvette C3
Baujahr: 1969
Motor: V8 GM Crate
Hubraum: 5,7 Liter (350 cui)
Leistung: ca. 290 kW (400 PS) bei 4.400 /min
Max. Drehmoment: 650 Nm bei 2.800 /min
Getriebe: Vierganghandschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.635/1.750/1.205 mm
Gewicht: 1.660 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 6,0 Sek.
Top-Speed: 230 km/h
Wert: ca. 28.000 Euro

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Fotos: Jens Tanz