Corvette C1 1957 – Top, die Vette gilt!

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Wer „Corvette“ hört, sollte auch sofort an Marilyn Monroe denken: Die Grazie ließ sich gern mit dem Ur-Meter des amerikanischen Sportwagens ablichten. Heute verursacht jede Generation dieses klassischen Straßenrenners Gänsehaut, da benötigt es keine verführerischen weiblichen Formen. Aber fast hätte die Corvette ein viel zu früher Tod ereilt – ähnlich wie es mit der unglücklichen und sehr blonden Norma Jean passierte. Grund genug, mit der Corvette C1, der Variante nach dem rettenden Facelift, durch die wohlgeformten Hügel im Harz zu rocken

„Ja nun, dann bauen Sie doch mal einen Sportwagen mit einer sehr leichten Karosserie aus Fiberglas…“ Die Idee ist toll und lässt den Machern in Michigan vor ziemlich genau 60 Jahren viel Gestaltungsfreiraum, um den ganzen schon vorhandenen Baukasten-Teilekram aus den Chevrolet-Regalen unter der Kunstharzschicht preisgünstig zu verklappen. Die Presse ist begeistert von den aufregenden Formen, schließlich wirkt der erste echte amerikanische Sportwagen neben den ausladenden und behäbigen Dickschiffen der Nachkriegszeit bei seiner Präsentation im Waldorf Astoria wie ein zum Sprung bereiter Haifisch auf die Journalisten.

Man versäumt leider, diesem Hai auch einen bissigen Motor einzupflanzen. Der gemütliche Blue-Flame-Reihensechszylinder aus dem Chevrolet-Lkw-Programm mit 110 kW (150 PS) bringt den Wagen einfach nicht auf Sportwagenniveau, und die Vette ist erheblich teurer als die Image-Modelle von Jaguar und Cadillac. Außerdem gestaltet sich die Produktion der Kunstharzkarosserie aufwändiger als angenommen. Die anfangs begeisterten Fans reagieren verhalten und bestellen im ersten Jahr nicht einmal die Hälfte der produzierten Fahrzeuge. Der Fehlstart eskaliert regelrecht in roten Zahlen, als im zweiten Produktionsjahr statt der geplanten 10.000 Einheiten nur rund 3.600 Stück von den Bändern der neuen Produktionsstätten in St. Louis laufen, von denen wiederum 1.100 nicht einmal einen Käufer finden.

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Sachlich und schlicht, wie es sich für einen Sportwagen gehört. Die Farbe selbst ist allerdings nicht gerade zurückhaltend – eher schnell: Fragen Sie einen Stier Ihres Vertrauens…

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Vier Gänge und ein PS pro cui reichen, um den anderen davon zu fahren. Für ein Auto aus den 50ern ist die Corvette geradezu verboten schnell

Steigerung? Möglich, aber in die falsche Richtung. 1955 werden nur noch dramatische 700 Corvetten gebaut, und parallel bringt Konkurrent Ford den Thunderbird auf den Markt – von Anfang an mit V8. Und 3.500 verkauften Exemplaren allein in den ersten zehn Tagen (siehe TRÄUME WAGEN 9/13: „No Angry Birds“).

Sündiges Erdbeerrot

Der Aufschrei im Todeskampf ist nicht laut, aber er erreicht dennoch General Motors Automotive Executive Ed Cole und den neuen Chefingenieur, die Rennfahrerlegende Zorka Arkus-Duntov. Die Karosserie wird geglättet und „schneller“ gemacht, das Meisterwerk von Heckflossen-Erfinder Harley Earl bekommt ausgestellte Einzelscheinwerfer und in die sündigen Hüften integrierte Rücklichter, außerdem eine wild geschwungene Panoramascheibe ohne Seitenfenster. Die Kunden können erstmals eine Zweifarben-Lackierung ordern und endlich einen V8. Der Small Block mit 4,3 Litern Hubraum entwickelt 143 kW (198 PS), und das verhältnismäßig leichte Auto wird 1956 von Duntov selbst in Daytona auf 241 km/h beschleunigt – Hut ab.

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Der Funke entzündet ein Feuer: Die Entwicklung schreitet nun rasend schnell voran. Der Ritterschlag und der Einzug in die Hall of Fame der echten Sportwagen gelingt 1957 mit dem neuen 4,6-Liter-V8. Mit Benzineinspritzung kommt das Triebwerk auf 283 PS und leistet damit den magischen Wert von 1 PS/cui, das reichte für den Sprint von 0-100 km/h in sieben Sekunden. General Motors besitzt nun endlich den Sportwagen, den sie immer geplant hatten. Bis 1962 werden mehr als 69.000 Exemplare an den Mann und manchmal auch an die Frau verkauft, bis der Nachfolger C2 die Muskeln spielen lässt…

Es riecht nach frisch geschnittenem Heu und ein bisschen nach Superbenzin auf dem Hof von Weineck Motorenbau im Harz. Die Berge um die Werkstatt herum sind ähnlich wohlgeformt wie die Hüften der C1, die im Standgas leise, aber präsent vor sich hinbrabbelt. Ein fast 60 Jahre alter Sportwagen will behutsam angewärmt werden, bevor man die Pferde frei lässt. Ist unter dieser klein wirkenden Haube tatsächlich ein satter V8?

Firmeninhaberin Nicole Keßler öffnet sie schmunzelnd, was alle Zweifel ausräumt. Die Ergebnisse der Frischzellenkur von Chefingenieur Duntov stehen hier leibhaftig und in gefühltem Neuzustand vor uns. Der Vorbesitzer, die Firma „Motor Sports Legend“ in Cleveland, Tennessee, hat das gesamte Fahrzeug in den Jahren 2007 bis 2008 restauriert und dabei nicht gespart. Der Motor, das Getriebe (mit neuem, präzisen Hurst-Shifter), der Unterbau und das Fahrwerk wurden komplett neu aufgebaut, bevor die Karosserie in den Originalfarben neu lackiert wurde.

Alle Gummis, Chromteile und Zierleisten wurden erneuert, neben einer neuen Frontscheibe bekam die Vette ein komplett neues Interieur in „Matching Red“ plus dem originalen Radio. Der Wagen steht auf den originalen Felgen mit Coker-Wide-Weißwandreifen und wartet mit verführerischem Blick darauf, die schmalen Asphaltpisten der Umgebung zu erobern.

Alles, aber auch wirklich alles ist rot im Inneren dieser Legende. Doch trotz der Assoziationen mit Marilyn Monroe wirkt der Sportwagen nicht plüschig, sondern versprüht einen zornigen, zähen Zeitgeist – ohne den Ansatz eines Seitenhaltes auf den Sitzen. Der Fahrer hat sich eben am dünnen, großen Lenkrad festzuhalten, der Beifahrer kommt schon irgendwie klar. Erster Gang rein und ab in die Hügel. Irgendwo hört man die Glocken läuten. Der Wind gibt einem schon bei geringen Geschwindigkeiten das Gefühl, an einem Rennen teilzunehmen. So muss sich ein Sportwagen anfühlen, die für ein Automobil biblischen Jahrzehnte sind in dieser Corvette nicht zu spüren.

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Kraftwerk: Aus 4,6 Litern Hubraum presst der kleine V8 satte 220 PS, für Volkswagen oder Opel sind das zu dieser Zeit Raketenwerte

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Verspielte Details inmitten von weiblich anmutenden Kurven. Doch wehe, wer die Vette nicht ernst nimmt

Kurventechnik

Der Motor, die Hüften, die Farben – das ganze Fahrzeug ist purer Sex in einer prüden Zeit, wo das automobile Maß der Dinge in den USA gewaltige Heckflossen hatte, fast sechs Meter lang war und mindestens zwei Tonnen wog. Ein Katzenhai im Walfischbecken. Die Rechnung für General Motors ging nachvollziehbar auf, und alles was nach dieser C1 kam, hat ihre Formen und den Grundgedanken aufgegriffen – und hier und da vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber das ist eine andere Geschichte.

Beim Aussteigen zittern die Knie ein wenig. Das liegt teilweise an der Begeisterung, ein bisschen aber auch an den mangelnden Griffen und der damit verbundenen leicht angespannten Körperhaltung auf den Sitzen. Geil.

Das Coupé, das auch mit dem mitgelieferten Hardtop immer noch sexy aussieht, brabbelt weiter im Standgas vor sich hin. Jetzt ist sie warm, die Vette, jetzt will sie eigentlich weitermachen und fragt sich wahrscheinlich, warum wir sie schon wieder geparkt haben.

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Für Liebhaber der schönste Hintern, den Chevrolet jemals erschaffen hat. Die Nachfolger wurden fetter und böser

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Rettender Geniestreich für Chevrolet: Fast 70.000 verkaufte Exemplare der ersten Serie dank der „Scharfmachung“ und dank Zorka Duntov

Die überarbeitete Urform des einzigen echten US-Sportwagens lässt in Haptik, Optik und Akustik keinen Zweifel an den Zielen, die Rennfahrer Duntov mit ihrer „Scharfmachung“ vor 60 Jahren verfolgte. Solche automobilen Sünden sind käuflich, aber sehr gefragt. Letzteres hat die C1 ebenfalls mit der Monroe gemeinsam. Aber wenn man erstmal dran ist, lässt sie einen nicht mehr los und beginnt, im Sparstrumpf zu klimpern. Für die allermeisten von uns vermutlich ohne Erfolg. Aber wer weiß schon, wohin einen die finanzielle Reise noch führt…

TECHNISCHE DATEN

Chevrolet Corvette C1
Baujahr: 1957
Motor: V8
Hubraum: 4.600 ccm (283 cui)
Leistung: 162 kW (220 PS) bei 6.200/min
Max. Drehmoment: 392 Nm bei 4.400/min
Getriebe: Viergang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.250/1.770/1.310 mm
Leergewicht: 1.305 kg
Beschleunigung: 0-100 in 7,5 Sek.
Top Speed: 169 km/h
Wert: ca. 50.000 Euro

Dank an:

Weineck Cobra u. Motorenbau UG
www.weineck-power.de

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Fotos: Jens Tanz