LAST MAN STANDING: 50 Jahre Dodge Challenger


LAST MAN STANDING: 50 Jahre Dodge Challenger

In den letzten Tagen der Muscle Car-Kriege schickte Dodge einen Krieger auf das Schlachtfeld, der in der Lage gewesen wäre, das Geschehen nachhaltig zu beeinflussen. Tatsächlich aber blieb der „Herausforderer“ auf den Straßen weitgehend allein, und als er am Ende doch noch einen Gegner fand, erwies sich dieser als unbesiegbar…

 

Challenger. Dodge Challenger. Der kurze Mopar-Straßenkämpfer ist Zeit seines Lebens in etliche Schubladen gesteckt worden, die erklären sollen, woher er gekommen ist, gegen wen er antreten sollte, und warum seine Karriere bereits 1974 wieder vorbei gewesen ist. Lassen wir die Schubladen geschlossen, schauen wir uns den ganzen Schrank an.

Um 1955, da ist Chevrolets mächtiger „SBC“ V8 gerade auf dem Markt erschienen, entdecken die Hersteller in Detroit, daß sich „Performance“ hervorragend als Verkaufsargument eignet. Autofahren, sportliches Autofahren, ist ein beginnendes Phänomen, mehr oder weniger Zeitgleich entstehen Rundkursrennserien im Südosten und Beschleunigungsrennen im Westen, Pontiac-Chef Knudsen ruft „Racing“ sogar als neue Maxime der bislang biederen GM-Marke aus. Zwischen 1960 und 1964, einer Ära, die man später die „Horsepower Wars“ nennen wird, ist „Drag Racing“ schon ein etablierter Sport. Besonders Chevrolet, Pontiac und Dodge bekriegen sich auf den Drag Strips des Landes, bevor Pontiac den GTO von der Leine läßt, und sich die Auseinandersetzungen auf die öffentliche Straße verlagern.

Das Auftauchen des GTOs ist nicht der einzige Wendepunkt in der Automobilgeschichte der Mitt-Sechziger: 1964 stellt Ford den Mustang vor, ein kleines, leichtes „Sportcoupe“, das auf einen Markt zielt, den Ford mit dem Geist von Namensgeber Henry Ford verbindet: Fröhliche, moralische junge Menschen, interessiert an gutem, sauberen Autofahrspaß. Ford meidet die Nähe zu den zwielichtigen GM- und Mopar-Kampfmaschinen bewußt und unterstützt hauptsächlich sanktionierten Rundkurs-Rennsport – und weigert sich nebenher, eine 1965 in Kraft tretende gesetzliche Anforderung in Kalifornien zu erfüllen, die ein simples Abgasrückführsystem vorschreibt.

Ford ist auf dem Holzweg, gleich zweimal: Guter, sauberer Autofahrspaß ist nicht alles, was sich die jungen Menschen der „Baby Boom“-Generation wünschen, und die kalifornische Regelung wird ein Jahr später zum Bundesgesetz, noch ein Jahr später beschließt die US-Regierung sogar eine viel weitreichendere Veränderung: Per Gesetz wird quasi der (noch gar nicht erfundene) Katalysator verordnet, samt dem bleifreien Benzin, Stichtag 1. Januar 1975.

1966 weiß die Automobilbranche zwei Dinge mit Sicherheit: Die Mustang-Klasse hat erhebliches Potential, und – der Katalysator wird kommen, und mit ihm das Ende der Performance-Ära.

Jeder für sich beginnen die drei großen Konzerne, die verbleibende Zeit entsprechend zu nutzen: Der Chrysler-Konzern vereint die Kräfte seiner beiden Massenmarken Plymouth und Dodge, und setzt ab 1968 zum Generalangriff auf die Muscle Cars von Marktführer General Motors an. Chrysler schickt bis an die Zähne aufgerüstete „B-Body“-Midsizes gegen die „A-Body“-Midsizes des Marktführers ins Rennen, Plymouth Roadrunner gegen Chevrolet Chevelle, Dodge Coronet gegen Pontiac GTO, mit dem noblen Dodge Charger R/T als Universalwaffe gegen Oldsmobiles 442 und den Buick GSX.

General Motors hingegen ist dem heftig attackierenden Chrysler-Konzern in den Verkaufszahlen sowieso 5:1 überlegen, und kümmert sich  deshalb zu erst um ein dringenderes Problem: Der erfolgreiche Ford Mustang wildert im GM-Midsize-Segment, kostet den kompakten Chevy II erheblich Stückzahlen und bedroht außerdem den Chevrolet-Exoten Corvair. 1967 stellt GM deshalb einen Mustangfänger vor, den  nagelneuen F-Body, ein leichtes Sportcoupe für Chevrolet und Pontiac, das ähnlich wie der Mustang auf einer etablierten Kleinwagenbasis aufgebaut ist. Camaro und Firebird, so heißen die F-Bodies, sind von vornherein auf agressives Auftreten und große Motoren getrimmt, ohne wie der Mustang von familienfreundlichen Werbeüberlegungen behindert zu werden. Der Camaro ist sogar mit dem 396 cui Mark IV-Bigblock lieferbar, der Firebird ist mit 400 cui zu haben (was am Ende doch vielleicht kein Marketingvorteil ist, denn Pontiac hat kein Smallblock-Bigblock-System).

Die Ford Motor Company sieht sich zusehends in den Performance-Boom hineingezogen – 1967 bekommt auch der Mustang einen Bigblock, um den GM F-Bodies die Stirn zu bieten. Der Ford FE-Bigblock mit 390 cui kann es zwar nicht mit  Chevrolets Mark IV aufnehmen, und erst recht nicht mit den feuerspeienden 440 cui RB-Bigblocks, mit denen Plymouth und Dodge die Straßen terrorisieren, funktioniert aber als Interimslösung, bis Ford 1968 den GM-Mann „Bunkie“ Knudsen abwerben kann, der Pontiac zum Performance-Image verholfen hatte, und der jetzt Ford auf die Sprünge helfen soll.

Dieses neue Schlachtfeld, F-Body gegen Mustang – man spricht inzwischen von der „Pony Car“-Klasse – wiederum zieht Chryslers Aufmerksamkeit auf sich. Die Chrysler Corporation hat sich schon einmal in der Mustang-Klasse die Finger verbrannt: 1964 hat der Konzern ein kleines, leichtes Sportcoupe vorgestellt, den A-Body Plymouth Barracuda. Der Barracuda hätte das Zeug zum Erfolg gehabt, aber Konkurrent Ford hatte das Geld, um den zwei Wochen nach dem Barracuda erschienen Ford Mustang in der Käufergunst mit einer beispiellosen Werbekampagne an Plymouth vorbeizubefördern, soweit vorbei sogar, das der Barracuda zur Fußnote in der Automobilgeschichte degradiert wurde, während der Mustang bereits im zweiten Modelljahr die Millionenstückzahl erreichte.

Dieses Risiko will Chrysler Ende der Sechziger nicht noch einmal eingehen, für den kleinsten der drei Konzerne steht bei solchen Unternehmungen das Überleben auf dem Spiel. Aber der Markt entwickelt sich gnadenlos weiter: Der Mustang altert, Chevrolet verpasst dem Camaro für 1969 ein spektakuläres überarbeitetes Erscheinungsbild, und Plymouth und Dodge, die außer den alten A-Bodies keine neues, heißes Produkt in der Pony-Klasse haben, schauen in die Röhre.

Über allem schwebt der dunkle Schatten der Ungewissheit: Der Katalysator wird kommen. Andere gesetzliche Sicherheitsvorschriften sind nur noch wenige Modelljahre entfernt. Niemand weiß, wie es weitergeht, niemand kann sagen, ob große oder kleine Autos Zukunft haben, und besonders nicht, ob Nischenplattformen angesichts der kommenden Herausforderungen überhaupt Bestand haben werden. Ford verschleppt den Modellwechsel des alternden Mustangs, erst mit einem, dann mit noch einem Zwischenjahrgang, Chevrolet entschließt sich, den fulminanten Camaro von 1969 nicht mehr zu überbieten – just in dem Moment, in dem Chrysler zum Angriff in der Ponyklasse übergeht.

Chevrolet tritt zum Modelljahr 1970 mit reduzierter Kompression, weniger aggressivem Auftreten und durch die Bank vernünftigeren Zukunftsversprechen an. Selbst die mächtige Corvette, die Definition von „Ausnahmeerscheinung“ auf dem US-Automarkt, muß ihren unbezwingbaren 427 cui Mark IV abgeben. Für den Augenblick blendet Chevrolet die Käufer mit dem kompressionsreduzierten 454 cui Mark IV, der zwar auf dem Papier größer ist – was mehr Leistung suggeriert – den Sie sich aber in der Realität wie den größeren, aber dickeren und unsportlichen Onkel des 427 vorstellen müssen.

Ford, wo gerade mit der Anstellung von Bunkie Knudsen, dem BOSS-Mustang und der Übernahme von Shelby American endlich die Grundlagen für die Produktion ernsthafter Performance-Automobile geschaffen wurden, bäumt sich noch einmal auf, ist aber wie immer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ohnehin gezwungen, Chevrolet zu kopieren. Umgehend wirft auch Ford das Handtuch, und schickt den Mustang nach zwei Interimsjahrgängen mit einem völlig neuen Erscheinungsbild und zum letzten Mal mit echten Performance-Triebwerken in eine neue Modellgeneration – die sich aber an der großen, schweren „Landyacht“-Strategie orientiert, mit denen sich die FoMoCo für die Katalysatorjahre wappnet. Und da steht der Chrysler-Konzern, plötzlich allein auf weiter Flur, der endlich die ultimative Waffe für den Straßenkampf geschaffen hat, den Mustang-Schlachter, den Camaro-Jäger, das High-Performance Über-Sportcoupe.

E-Body heißt die neue Chrysler Corporation-Plattform, und Chrysler hat aus dem Vollen geschöpft: Wo der Mustang und der Camaro Kleinwagenteile vom kompakten Ford Falcon und dem kleinen GM X-Body verwenden, steht der neue E-Body auf einer MIDSIZE-Plattform, die kurzerhand in der Mitte gekürzt wurde, um den Größenanforderungen der Ponyklasse gerecht zu werden. Unter dem Blech, vom Kühlergrill bis zur Windschutzscheibe, ist der neue E-Body identisch mit dem Plymouth Roadrunner, dem Plymouth GTX, dem Dodge Coronet und dem Dodge Charger. Die richtungsstabile „Torsion-Aire“-Vorderachse von der B-Plattform hat er gleich mitübernommen, und die gehört, auch wenn das heute schwer vorstellbar ist, 1970 auf dem kurvenarmen nordamerikansichen Kontinent zum Populärsten, was die Hersteller zu bieten haben. Auch die Hinterachsaufhängung der E-Bodies stammt direkt aus dem Midsize-Segment – hier hat Chrysler nicht nur im Baukasten-Verfahren Kosten gespart, hier hat Chrysler auch konsequent den Weg für echte Performance geebnet: Während die Basis-Motorisierung der E-Bodies mit Basis-Technik auskommt, passen auch sämtliche Bauteile der legendären Muscle Car-Klasse ohne Schwierigkeiten in den E-Body, von Chryslers hochleistungsfähiger 8 3/4-Hinterachse bis hin zur den TF727-Automatikgetrieben oder dem A833 Viergang-Schaltgetriebe. Wer A32, A33 oder A34 auf dem Bestellzettel ankreuzt, kann sogar die gewaltige Dana 60-Hinterachse haben, die man definitiv nicht kaputtmachen, aber mit weniger als drei Mann auch kaum tragen kann.

Und während Chevrolet sich erst für 1969 endlich dazu durchringen konnte, den 427 cui Mark IV als optionales, genehmigungspflichtiges Zubehör im bis dato auf 396 cui Hubraum-beschränkten Camaro anzubieten, hat Chrysler seine E-Bodys von vornherein mit allem ausgerüstet, was das Chrysler-Arsenal zu bieten hat, einschließlich des 440 cui Bigblocks, der 440 3×2 „6 BBL“ (Plymouth) und „Sixpack“ (Dodge) Sechsfachvergaser-Bigblocks und dem mystischen 426 HEMI.

Und auch für die weniger Performance-orientierten Käufer hat Chrysler keine Details ausgelassen: Der Einsteiger-E-Body heißt Plymouth Barracuda, während Dodge den E-Body als Dodge Challenger anbietet. Der Unterschied? Der Challenger ist länger, dank einem leicht verlängertem Radstand und geänderten Überhängen. Diesen traditionellen Marketingkniff, der auf PKW-Klassenbezeichnungen aus den 30ern zurückgeht, hat Ford beim Mustang und dessem „großen Bruder“ Mercury Cougar schon mit Erfolg angewendet Im E-Body vereint er Vergangenheit und Zukunft, und tröstet all‘ diejenigen, die angesichts der radikalen Motorisierungen der Chrysler-Coupes um die alten Traditionen fürchten. Die Performance-Versionen der Basis Coupes heißen, in gewagtem Slang „Plymouth ‚Cuda“ und, wesentlich traditioneller, „Challenger R/T“. Letzterer stellt eine kleine Ausnahme im Dodge-Lineup dar: Obwohl das „R/T“-Emblem normalerweise immer auch gleichzeitig „440 cui“ bedeutet, ist der Challenger R/T schon ab 383 Four Barrel-cui aufwärts zu haben.

Und ganz nebenbei hat Chrysler sogar den sanktionierten Rundkurs-Rennsport im Griff, sowohl Plymouth als auch Dodge haben jeder eine Rennserienvariante ihres E-Bodys im Programm, Plymouth den ‚Cuda AAR, Dodge den Challenger T/A für die All American Racer- und Trans Am-Rundkursserien. 1970, ohne jeden Zweifel, haben Plymouth und Dodge den Pony-Markt unter Kontrolle. Fast 80.000 Dodges und mehr als 50.000 Plymouth E-Bodies setzt Chrysler im ersten Modelljahr ab, beachtliche Zahlen für Nischenhersteller Chrysler.

Aber die Zeiten, sie ändern sich. 1971 hat sich GM schon beinahe vollständig vom Performance-Markt disassoziiert, Ford hat mit dem Torino Cobra noch ein letztes Pferd im Rennen, der Mustang aber ist schon auf die Weide geschickt worden. Chryslers neue Straßenkämpfer bestreifen die Straßen der amerikanischen Städte allein, und treffen an den Ampeln höchstens auf andere E-Bodies. Statt Drag Racing-Widersachern tritt 1970 ein neuer Gegner auf, den die Automobilwelt schon halb erwartet hatte: Der US-Gesetzgeber hat sich nach mehr als 70 Jahren Zurückhaltung endlich aufgerafft, dem Automobilmarkt Sicherheitsvorschriften und Umweltschutzregularien aufzuerlegen.

1972 nimmt die US-Bundesregierung den Herstellern die Freiheit, Motorleistung nach Belieben anzugeben, 1973 beschränkt sie die Designfreiheit im Hinblick auf Stoßstangen und Karosserieteile, 1975 tritt die Katalysatorpflicht in Kraft. In der beginnenden totalen Orientierungslosigkeit der Siebziger bietet Dodge den Challenger zwar 1971 noch mit der gesamten Motorenpalette an, aber schon 1972 ist der E-Body nur noch als Sechszylinder oder mit verscheidenen Small Blocks erhältlich, die Cabrioversion wird ebenfalls 1972  – nach nur zwei Modelljahren – gestrichen, und die R/T-Option fällt gleich mit aus dem Programm. 1973 wird die Motorenauswahl von ehemals acht auf nur noch zwei reduziert, und beide sind kleine Small Blocks.

Dodge und Plymouth, einst Performance- und Designvorreiter der Branche, müssen zusehen, wie sich die immer weiter in ihrer Leistung beschnittenen und in ihrem Design regulierten E-Bodies in der Beliebigkeit verlieren, wie die Stückzahlen sich erst halbieren, um 1974 – als zu allem Unglück noch die Ölkrise über Amerika hereinbricht – auf bodenlose 11.000 Stück pro Marke abzustürzen, bevor Chrysler die Notbremse zieht und die Produktion der letzten Detroiter Straßenkrieger einstellt.

 

Autor: Sönke Priebe