AMC Pacer DX 1978

Entweder hassen oder lieben, konnte man schon damals nur den amerikanischen „Schrittmacher“: Der AMC Pacer sollte ein kompaktes Sicherheitsauto sein und wurde einer der schrägsten Vögel der Automobilgeschichte. Das extravagante 1,5 Tonnen-Ei mit der genügsamen Serientechnik bringt noch heute die einen zum Quietschen und die anderen zum Weglaufen

Das Nordamerika der Siebziger Jahre war geprägt von Gegensätzen. Ölkrisen kamen und gingen, Autos sollten sparsamer und auch sicherer werden. Muscle Cars, gerade noch die geilsten Hengste im Stall, sahen sich plötzlich bürokratisch geächtet. Aber als guter Amerikaner fuhr man im Land der mit dem Lineal gezogenen sechsspurigen Highways nun mal ein großes Auto. Wenn man einen Kompaktwagen bewegte war man entweder ein Nerd, ein Professor oder ein Architekt.

Wenn es nach AMC gegangen wäre, hätte der Pacer die Lösung aller Probleme bedeutet. Er generierte allerdings zum Blech gewordenen Widerspruch. Die meisten Europäer kennen diese unförmige Kristallkugel auf Rädern nur aus dem Film „Wayne’s World“ von 1992, in dem Mike Myers und Dana Carvey mit einigen extrem alkoholisierten Freunden eine sehenswerte Version von Queens „Bohemian Rhapsody“ skandieren. Aber sonst? Null, nada, nix. Den „kompakten“ Amerikaner sah und sieht man in Deutschland nicht.

Wobei kompakt schon wieder relativ ist, neben einem Fiesta oder einem Kadett wirkt der Pacer wie ein wuchtiger, aber leider gestrandeter Wal. Aber okay – neben einem Full-Size-Ford drüben auf dem Burger-King-Parkplatz ist er wiederum winzig. Alles eine Frage der Sichtweise.

Der kleine Konrad Post hatte als Kind ebenfalls seine Sichtweise auf die Welt. Er sammelte Matchbox- und Siku-Autos, 144 Stück wohnten bei ihm im Kinderzimmer, und er konnte sie fast alle benennen. Nur ein einziges nicht, und das verlor er in einer Sandkiste, bevor er lesen konnte. Aber der kleine Zinkguss-Knubbel ließ ihn nicht los, und in den späten 80ern war aus dem kleinen Konrad der große Konrad geworden. Der suchte nun nach seltenen Autos im Maßstab 1:1 und stolperte eher zufällig über einen – Pacer.

Einen was? Pacer? In Post wuchs die Ahnung, dass es sich dabei um das lange unidentifiziert gebliebene Matchbox-Auto handeln könnte, und er verabredete mit dem Verkäufer eine Probefahrt. Ja, das war er: Die Kindheit hatte ein Mysterium weniger. Aber noch während Post nach der Probefahrt, fasziniert von der Unförmigkeit und dem gediegenen Plüsch des seltenen Autos, auf dem heimischen Sofa über einen möglichen Erwerb vor sich hingrübelte, wurde der Wagen verkauft. Verdammt. Die Gedanken an einen Pacer sollten ihn die kommenden 15 Jahre nicht loslassen.

So wie Konrad Post ging und geht es fast allen, die einen AMC Pacer sehen. Die American Motors Corporation ging 1954 aus den Marken Hudson und Nash hervor und schluckte 1970 noch Jeep. Man war ambitioniert und wollte mit Design und Technik Nischen füllen, die den drei „Großen“ Ford, GM und Chrysler zu teuer oder zu blöd waren. Kompaktwagen zum Beispiel. Aber irgendwie fehlte immer Geld.

Mit dem superkompakten „Gremlin“ stellten die Jungs aus Wisconsin eine mehr als seltsame Karre hin, die nur aus Motorhaube und C-Säule zu bestehen schien. 1975 legte Designchef Richard A. Teague nach und entwarf den Pacer. Vorn Kleinwagen, in der Mitte Full-Size und hinten Goldfischglas. Die Werbung ging vom Slogan „Das erste kleine breite Auto“ bis hin zu „Limited Luxus“. Mit seinen Turbinenfelgen, Servolenkung, elektrischen Fensterhebern, Lederbänken mit dicken Armlehnen und dem plüschigen Teppich wirkte der Wagen innen wie ein Cadillac der Kompaktklasse. Dabei schafften es wohl nur die Amerikaner, echtes Leder im Finish so zu behandeln, dass es wie billiger Plastik aussieht. Aber das harmoniert perfekt mit den verchromten Plastikknöpfen und dem unechten Holz am Armaturenbrett. Cool.

Von allen anderen ambitionierten Ideen ist aus Kostengründen nicht viel geblieben. Der ursprünglich einst geplante Wankelmotor wurde durch einen schlichten Reihensechser mit 3,8 oder 4,2 Litern Hubraum aus dem Jeep ersetzt, der je nach Fahrweise 16 oder 18 Liter durchzog. Weniger war nicht möglich, mehr war wahrscheinlich. Die robuste Vorkriegskonstruktion entwickelte schon im Standgas eine Kraft, die einen Fiesta oder Kadett in Stücke gerissen hätte und drückte seine Newtonmeter träge auf die hintere Starrachse. Ursprünglich sollte es ein Frontantrieb werden. Später wurde ein übergewichtiger V8 nachgereicht, der bei ähnlichem Durst und gleichen Fahrleistungen nur noch ein bisschen mehr Platz benötigte. Kompaktwagen, wie? Revolutionär, was?

Statt in eine Lücke zu passen wusste der Pacer nie so richtig, was er sein will – aber das mit Nachdruck. Von außen groß und schwer, von innen klein und kompakt. Gewagtes, fast tollkühnes Design mit Vorkriegstechnik. Der Pacer ist anders als die anderen. Aufgedonnert wie ein Großer, will er aber als Außenseiter, als Lückenfüller, nicht wirklich dazu gehören. In Amerika ist er klein. In Europa ist er riesengroß. Er ist nicht praktisch, hat aber die Rundumsicht eines Gewächshauses und ist ein bisschen edel. Genau genommen ist die Karre so verrückt, dass man sie als Kunst bezeichnen könnte. Jedenfalls ist ein AMC Pacer mehr Kunst, als dass er Auto ist.

Ausgerechnet auf einem Zahnarztstuhl, den Mund weit offen und einen sirrenden Bohrer in der Backe begegnet Konrad Post seinem nächsten AMC Pacer. Sein Zahnarzt hatte das Auto von dessen Vater geerbt und mochte ihn in gute Hände geben. Der Wagen wurde 1978 in Deutschland neu ausgeliefert, als selbst in den USA nur noch gut 7400 Stück verkauft wurden (in Deutschland waren es nur fünf oder so). Rostfrei, wenig gelaufen, volle Hütte mit blauem Plüsch. Den musste er haben.

Leider hatten die guten Hände, in die der Zahnarzt den Wagen gern geben würde, sich gerade mit dem Autoteilehandel PV Hansen selbständig gemacht, und es war definitiv kein Geld für so einen schrägen Exoten übrig. Aber Zahnärzte scheinen hartnäckig zu sein (Pacerfahrersöhne eben), und nach mehr als einem halben Jahr regen Mailverkehrs deutete der Dentist an, dass er wolle, dass Post den Wagen erhalte. Dieser machte daraufhin ein fast schon unmoralisches Angebot – und bekam das Auto.

Das war 2001. Der heute 46 Jahre alte Dipl. Ing. Fahrzeugbau kennt sich mit Autos aus und bewegte schon einige Klassiker durch den Alltag. Vom VW 411 und dem Karmann Ghia über einen 911 Targa und Mercedes W109 bis hin zu Citroën DS und Saab Cabrio. Der Pacer war voll fahrbereit, und so bewegte er ihn mehrere Jahre im Alltag. Hier und da, bevorzugt mitten auf großen Kreuzungen, gab der „Schrittmacher“ regelmäßig Spaß mit der bekanntermaßen bockigen Zündung des Knubbels. So ein AMC Pacer blieb eben gern mal einfach so stehen und ließ sich von Hand aufgrund des Gewichts nicht bewegen. Bald nannten ihn alle nur noch die „Diva“.

Als Posts Ehefrau erneut auf einer Kreuzung havarierte, hatte sie die Faxen dicke, stieg aus, stellte sich vor das zickige Auto und schrie es an: „Ich versuche es jetzt ein letztes Mal! Ich werde einsteigen und du springst an! Wenn nicht, lasse ich dich genau jetzt und hier stehen und gehe!“ Es ist überliefert, dass der Wagen seit dem Tag keine Mucken mehr machte.

Nach einigen Jahren wanderte er trotzdem in die trockene Scheune, weil sich der Benzinverbrauch nicht mit dem Alltagseinsatz vereinbaren ließ. Post dichtete während der stillgelegten Jahre vorsichtshalber den gerade mal eingefahrenen Motor neu ab, rüstete auf Transistorzündung um und ersetzte zwei Blattfedern. Die gut sichtbaren Passungenauigkeiten der Spaltmaße und besonders der Zierleisten sind absolut original und nicht zu ändern.

Und er läuft und läuft. Während Posts Töchter fröhlich auf dem Rücksitz des „Sicherheitsautos“ rumhüpfen (allein die beiden Türen sind gut 20 Zentimeter dick, was der Sicherheit, aber nicht dem Innenraum zuträglich ist) erweckt er den schlafenden Achtzylinder zu bockigem Leben. Nach einer kleinen Warmlaufphase geht es los, über die Landstraßen und rund um die Reithalle – eine Landschaft wie aus einem Prospekt des perfekten Autos für die heile Familie. Der Pacer grummelt träge, aber kraftvoll daher, vom Motor ist fast nichts zu hören. Vorn auf den plüschigen Sitzen ohne jeden Seitenhalt sitzen wir kommod, wundern uns über die optisch fehlende Motorhaube und lachen über die beiden Ladies, die ihre Beine in dem engen Fond zusammengefaltet haben. Ein wirklich extrem spezielles Auto. In jeder Hinsicht.

Aber es macht Spaß und gute Laune. Post weiß noch nicht so richtig, wie es mit dem Wagen weitergehen wird. Es war immerhin das erste Dienstfahrzeug seiner Firma in Ahrensburg, hergeben will er es nicht. Heute steht dort ein GS 400 Cabrio vor dem Geschäft – sparsamer ist der auch nicht, bringt die Menschen aber weniger zum Lachen.

Der Pacer hatte das ursprünglich auch nicht vor, aber mit seinen kleinen Macken und seinem schrägen Aussehen ist er heute wie ein nerdiger alter Freund, den man einfach gern haben muss.

AMC Pacer DX
Baujahr: 1978
Motor: Reihensechszylinder
Hubraum: 4.200 ccm (258 cui)
Leistung: 88 kW (120 PS)
Max. Drehmoment: 272 Nm
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.320/1.960/1.340 mm
Leergewicht: 1.445 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 14 Sek.
Top Speed: 170 km/h

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