Von Turboloch und Spiegelschrift: BMW 2002 turbo 1973 (E20)

Der BMW 2002 turbo war 1973 eine Revolution – rotzfrech, provokant und mehr als nur halbstark. Er kam allerdings just zu Krisenzeiten auf die Straße und lebte deshalb nicht lange. Nico Gasparatos hat sich einen der raren Bayernhammer gesichert.

 

Die Zeiten, in denen sich die SPD über Autos öffentlich aufregte, sind lange vorbei. 1973 aber monierte ein Abgeordneter im Bundestag die „zu sportliche Aufmachung mancher Automobile“. Im Blick hatte er dabei eine Neuvorstellung, die jedem Halbstarken das Benzin im Mund zusammenlaufen ließ: den BMW 2002 turbo. 170 PS stark, mit angeschraubten Kotflügelver- breiterungen und einem auf dem Frontspoiler in Spiegelschrift angebrachten Aufkleber „2002“ und „turbo“ – eine Warnung. Der inoffizielle Bayern-König Franz-Josef Strauß hielt vor Lachen sein Wamperl, war er doch nicht nur bayerischer Politiker, sondern auch passionierter Gasgeber.

Kein Wunder, dass der weiße Blitz schnell zum Liebling der Halbstarken wurde – die wenigsten konnten sich allerdings um die 20.000 Mark für diesen bayerischen Haudrauf leisten. Heute findet man kaum noch Exemplare im Internet – die wenigen, die dort angeboten werden, taxieren um 100.000 Euro und sind verbastelt.

So eine Pseudo-Kiste wollte der Hamburger Nico Gasparatos nicht. Vor drei Jahren suchte er aus reiner Freude an dem Auto ein Modell, so originalgetreu wie möglich. Dazu muss man wissen: Gasparatos hat beste Kontakte weltweit. Der Hamburger Saab-Profi sucht und findet für Kunden Autos nicht nur schwedischer Provenienz – so entdeckte er den 2002 turbo in Japan. Ein befreundeter Auktionator hatte ihn im Angebot – „für 25.000 Euro“, wie Gasparatos noch genau weiß. Mit Zoll und Gebühren wurden daraus 32.000 Euro, aber Gasparatos hoffte schon damals, dass das Auto bald wesentlich mehr wert sein würde. Doch als er ihn kurz darauf für 45.000 Euro anbot, interessierte sich niemand dafür. Gasparatos’ Sohn Elias (heute 15) war derjenige, der seinem Papa die letztlich nachhaltige Frage stellte: „Warum berätst du immer Leute, mit welchen Autos sie garantiert und schnell Geld machen und hältst dich nicht selber dran?“ Der Papa dachte kurz nach und gab seinem Filius recht – somit war beschlossen, dass der Wagen in der Familie bleibt. Und Sohnemann durfte dran schrauben und reparieren, was in gewissem Maße nötig war.

Die Historie ist lückenlos: 1974 lieferte ein BMW-Händler in Münster das gute Stück an einen Deutschen aus, der sich vom Händler noch ein paar Extras einbauen ließ – BBS-Felgen mit 195/50R15-Schlappen vorn und fetten 225/50R15-Pneus hinten, schwarzer Alpina-Auspuff und Recaro-Sitze. 1977 wurde der BMW nach Japan verkauft, wo er bis vor drei Jahren nur einen einzigen Besitzer hatte. Der gab ihn letztlich in die Auktion, was in Japan üblich ist – der Verkäufer tritt auf diese Weise gar nicht in Erscheinung.

Das Auto trägt stolz Patina. Die Aufkleber sind stellenweise rissig, der Lack ist gebraucht. Dinge wie Radlager oder Sitzinnereien müssen gemacht werden. Aber der gerockte Fußbodenteppich bleibt genauso drin wie das milchig gewordene Glas der Ladedruckanzeige. Obwohl Ersatzteile kein Problem sind: Vieles hat BMW sowieso noch für die 02er-Reihe im Regal, Spezialfirmen wie Walloth & Nesch besorgen alles andere.

Die meisten Exemplare wurden früher wohl auch so richtig rangenommen. Das Fahrwerk unterschied sich vom 2002tii durch vergrößerte, innenbelüftete Scheibenbremsen vorne, eine vordere Federbeinachse mit Nachlaufversatz, Drehstabilisatoren vorne und hinten, Sperrdifferenzial und längere Hinterachsübersetzung, dazu Gürtelreifen der Dimension 185/70VR13. Unter der nach vorne öffnenden Haube wartete ein KKK-Turbolader mit bissigem Turboloch auf Ladedruck, was den Verbrauch auf gut 15 Liter trieb.

Standard waren im Innenraum lederbezogene Schalensitze, ein Dreispeichen-Lederlenkrad, Zusatz- instrumente auf der Mitte inklusive Ladedruckanzeige und die Hauptinstrumente auf dem knallroten Träger. Aufpreispflichtig waren „Vorsichts-Extras“, wie BMW sie nannte: Frontscheibe aus Verbundglas, heizbare Heckscheibe, Gurte hinten, ein zweiter Außenspiegel, Nebel- schlussleuchte, Scheinwerfer-Waschanlage. Das Chamonix-Weiß gabs ohne Extrakohle, für das Polaris-Silbermetallic musste extra geblecht werden.

Bei einem Gewicht von knapp mehr als einer Tonne schieben die 170 PS mächtig an – noch heute. Auch Gasparatos lässt es sich nicht nehmen, zu zeigen, was der alte Süddeutsche mit rund 87.000 Kilometern auf der Uhr noch so drauf hat. Damals markierte der Motor den stärksten Vierzylinder, den BMW jemals für die Straße und in Serie gebaut hat. Er brüllt, er tobt und er powert wie Strauß in seinen besten Tagen als bayerischer Ministerpräsident.

BMW bezeichnete die Eigenschaften des 2002 turbo als „komfortabel, sicher und umweltgerecht“. Mit Letzterem fuhren die Marketingexperten allerdings voll gegen die Wand: Die Sportlimousine kam just auf den Markt, als die erste Ölkrise dem Westen die Abhängigkeit vom schwarzen Gold aus dem Nahen Osten klarmachte. Im Januar 1974 begann die Auslieferung, und BMW warb mit der Aussage: „Das Beste, was man aus Abgasen machen kann, ist Leistung.“

Stimmt eigentlich – aber was soll man damit, wenn (wie ab 1974) auf fast allen deutschen zweispurigen Straßen ein 100-km/h-Limit gilt? Das Superbenzin kostete statt 73 plötzlich 84 Pfennige pro Liter, die Öffentlichkeit wetterte über den „Angeberwagen“. Zwar verzichtete BMW auf die Frontspoiler-Spiegelschrift vor der Auslieferung in Deutschland, aber die allgemeine Wirtschaftsrezession läutete das Ende des rassigen Zweitürers ein – begleitet von begeisterten Testberichten der Automagazine, die allerdings auch feststellten, dass die zu heiße Abgasanlage des „Donnerbolzens mit angenieteten Kunststoffblenden“, die „bastlermäßig angeflockt“ erschienen, gerne Gras in Brand setzte. Letztlich wurden nur 1.670 (oder 1.672, je nach Quelle) gebaut.

Vielleicht hat BMW zu früh aufgegeben. Denn kaum war der 2002 turbo nicht mehr zu haben, begann der Aufstieg des Porsche 911 Turbo. Und dessen Erfolgsgeschichte ist bekannt…

TECHNISCHE DATEN

BMW 2002 turbo

Baujahr: 1974
Motor: Vierzylinder mit Turbolader
Hubraum: 1.990 ccm
Leistung: 125 kW (170 PS) bei 5.800/min
Max. Drehmoment: 240 Nm bei 4.000/min
Getriebe: Viergang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.220/1.620/1.410 mm
Gewicht: 1.035 Kilo
Sprint 0–100 km/h: 7,0 Sek.
Top-Speed: 211 km/h
Preis (März 1974): 19.980 Mark
Wert: ca. 100.000 Euro

Text und Fotos: Roland Löwisch

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