Chevrolet Camaro 1968 – Ein böses Tier, das Mustangs frisst

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Der Chevrolet Camaro ist nicht gleich verspoilter Ami-Manta, auch wenn er das am meisten umgebaute und getunte Auto der Welt ist – Camaro bedeutet für Chevrolet das, was der Mustang für Ford und der Charger für Dodge ist: die 
Anfänge der Muscle Car Ära vor 50 Jahren. Die Camaro-Modelle der ersten Serie sind in Europa wenig bekannt, dabei verkörpern sie den Grundgedanken der 
Pony Cars schlichter und ursprünglicher als alle Nachfolger

Die anwesenden Journalisten ahnten, dass gleich ein Satz für die Ewigkeit kommen würde. Und prompt taten ihnen 1966 die PR-Leute von Chevrolet den Gefallen: „Wir haben ein böses Tier erschaffen, das Mustangs frisst.“ Das saß. Es war die Geburtsstunde des Camaro, und er wurde mit Vollgas auf das konkurrierende Pony von Ford losgelassen.

Michael Rafflenbeul von der Classic Car Ranch in Minden setzt seine Sonnenbrille auf und liebkost den Türgriff. Camaro, klar – erste Serie, so selten in Europa. Und plötzlich so begehrt, sagt er. Cruisen? Oh ja, an der Weser entlang, das Wetter genießen. Geduldig wartet das weiße, geschichtsträchtige Erstserienmodell vor dem Showroom, als könnte es kein Flusswässerchen trüben. Kein Plastik der späteren Jahre, kein böser Blick, sondern ein klar definierter Männertraum in weiß wie ein klar definierter Bizeps. Schlicht und schön – aber gibt’s auch Bumms?

Das fast im Rentenalter angekommene Muscle Car ist ein bisschen wie ein Kunstwerk von Piet Mondrian. Während über den Durchschnittssofas der Republik die gefälligen Seerosen von Claude Monet hängen, bedarf es bei einem Mondrian ein wenig an Hintergrundwissen und Erklärungen, bevor er sich dem Betrachter eröffnet. Aber dann begegnet man ihm täglich mit Begeisterung, was bei den Seerosen schnell in glückselige Langeweile ausartet. Fertig? Erklären wir den Camaro.

Jedem Ami sein Pony und jedem Auto seine Muskeln. Als der Ford Mustang in der zweiten Jahreshälfte 1964 allen davon galoppierte und der neue Trend einen regelrechten Tsunami des Umdenkens durch alle amerikanischen Automobilkonzerne drückte, bekamen die Ingenieure ein nervöses Zucken in den Schrauberfingern. Das da noch eine Menge geht, hatte man auch bei Chevrolet in Detroit, Michigan, erkannt und wollte dem konkurrierenden Wildpferd unter Aufsicht der damals noch fett im Geschäft stehenden Konzernmutter General Motors schnell etwas entgegenschleudern.

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Das in amerikanischen Köpfen verwurzelte „schwerer-breiter-chromiger“ wich einer neuen Generation von relativ kleinen Autos mit oft viel zu großen Motoren – und ein Schelm, wer nicht gern von diesem PS-Kuchen naschen mochte.

Schnell und präzise stampften die Detroiter genau so etwas aus dem Boden und bedienten sich aus Zeit- und Geldgründen am großen Konzernbaukasten. Genauer gesagt an der damals neuen, biederen Chevy Nova Plattform, frisch gewürzt mit kräftigen Stahlträgern für einen geänderten Vorderwagen und von Anfang an darauf ausgelegt, von einem V8 angetrieben zu werden.

„Long hood, short deck“ (lange Haube, kurzes Heck) kommt auch fast 50 Jahre später immer noch bei der zumeist männlichen Kundschaft an und prägt die Bezeichnung „hemdsärmelig“ nun auch für Autos. Plüschige Sitzbänke und ausladende, Chrom beplankte Flanken gehörten der Vergangenheit an. Tiefe Einzelsitze, sachliche Armaturen und schnörkellose Linienführung 
galten als sportlich. Die Namensgebung wurde dann nicht ganz so bissig: Was ursprünglich als „Panther“ durch die Konzeptstudien schlich, wurde noch ganz kurz vor der Premiere in „Camaro“ umbenannt, was sich vom französischen „camarade“ ableitet und frei übersetzt „Freund“ oder „Kamerad“ heißt.

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Auf der Pressekonferenz 1966 schlug dann die animalische Metapher mit dem Mustangs fressenden Tier trotzdem ein wie eine Pranke mit scharfen Krallen. Und im Land der unbegrenzten Möglichkeiten stürzten sich die konfigurationsgeilen Amis sofort auf den Options-Katalog. Vom Produktionsstart an waren alle Motorisierungen vom kleinen „Sparmodell“ Reihensechser mit 3,8-Liter-Hubraum (230 cui) bis zum 6,5 Liter (396 cui) Big Block V8 mit insgesamt 80 Ausstattungsoptionen kombinierbar, als Cabrio oder Coupé. Auf Wunsch einiger nicht so kreativer Käufer wurden drei vorkonfigurierte Ausstattungspakete angeboten:

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• Als RS (Rallye Sport) erfuhr der Wagen vor allem optische Aufwertungen wie versteckte Scheinwerfer, modifizierte Rücklichter, eine Kriegsbemalung und ein verchromtes RS-Zeichen sowohl auf den äußeren Karosserieelementen als auch im Inneren

• als SS (Super Sport) bekam der Käufer neben ähnlichem Tuning für‘s Auge und Lufthutzen in der Haube noch ein Performance-Paket oben drauf, was einen Big Block und verbesserte Federungen beinhaltete. Beide Optionen ließen sich zu einem Camaro RS/SS kombinieren

• im Dezember 1966 entstand der erst später zu großer Bekanntheit gereifte dritte Option-Code Z-28. Camaros mit diesem anfangs nicht beworbenen Zusatz waren ursprünglich als eine Homologationsserie für die SCCA „Trans-Am“-Rennen geplant und hatten einen 4,9-Liter- (302 cui) V8 mit 280 PS, vordere Scheibenbremsen, eine harte Sportfederung und ein Muncie-Viergang-Schaltgetriebe – Standard waren nur drei Gänge oder eine Zweigang-Powerglide-Automatik.

Der bockige Insidertipp mit nur gut 600 verkauften Einheiten im ersten Jahr hat es aber nie in die „Trans Am“-Serie geschafft und behielt zunächst den Status des frei verkäuflichen, schwierig zu fahrenden Sondermodells mit zwei coolen, breiten, weißen Streifen einmal über den Scheitel.

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Der Motor kam erst bei hohen Drehzahlen aus dem Keller und sollte optimal bei sagenhaften 7.500 Umdrehungen geschaltet werden, was für einen großen V8 schon hart an der Drehzahlgrenze ist. Aber wenn der Z-28 einmal in Fahrt war, hielt ihn nichts mehr auf, dann wurde er zum gröhlenden Sieger jedes Straßenrennens. Nachdem die Maschine als Pace Car bei den „Indy 500“-Rennen eingesetzt wurde, gingen die Verkaufszahlen des Camaro steil nach oben. Allein vom Z-28 wurden 1968 fast 7.200 Stück verkauft.
Die hubraumstarken Modelle machten letztendlich die Drohung wahr: Der Chevy fing an, Ponys zu fressen.

Und er zog auf Augenhöhe (Lampenhöhe) mit Ford Mustang und Dodge Charger, weil er wie sie eines der wichtigsten Verkaufsargumente erfüllte: den günstigen Preis. Das ist selbst heute noch so, die aktuelle Camaro-Generation kostet in Nordamerika 22.000 US-Dollar, das sind 16.000 Euro. Und damit weniger als der Grundpreis für einen Golf VII, womit wir wieder bei den Seerosen angekommen sind. Und die jungen Wilden waren damals nicht anders drauf als die Jungs heute. Weil am Kaufpreis viel gespart wurde, konnte man die Kohle lieber ins Zubehör stecken. Der Chevrolet Camaro ist über die vergangenen fast fünf Jahrzehnte das am meisten veränderte, umgebaute oder getunte Kraftfahrzeug der Welt. Das brachte ihm in Kreisen, die sein wahres Herz unter der optischen Oberflächlichkeit nicht schlagen hörten, in den 70ern schnell den Ruf des „Ami-Mantas“ ein. Man unkte über Biertresen-Heckflügel, Sidepipes vom Durchmesser eines Ofenrohres und Lufthutzen auf den langen Hauben, die so groß waren, dass man sie vergittern musste, um keine Vögel in den gierigen Vierfach-Vergaser einzusaugen.

Und unser Foto-Auto ist der unverbastelte Ur-Kamerad, der Beginn von allem, was danach noch kam und bis heute neu erworben werden kann. Rafflenbeul musste lediglich das von der Sonne gezeichnete Interieur erneuern und hat die originalen Stahlfelgen mit Radkappen gegen Chevy-Stahlfelgen mit breiteren Reifen getauscht. Das war‘s. Der Ur-Camaro war sofort startklar, nach dem üblichen Werkstatt-Check von Bremsen, Fahrwerk und Flüssigkeiten haben die Mindener täglich viele Testmeilen mit einer der Mütter aller Muscle Cars zurückgelegt. Der Chevy ist ein Daily Driver, kerngesund und so straff auf der Piste wie damals, im Sommer 1968.

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Da war Mondrian allerdings schon mehr als 20 Jahre tot. Wer sich mit ihm beschäftigt hat, begreift Kubismus und Neoplastizismus, der sagt bei einem Bild mit klaren schwarzen Linien und kräftigen Farbflächen nicht mehr: „Ha, das kann ich ja auch.“ Und kann es eben doch nicht. Den gleichen Reiz hat die erste Camaro-Generation, wenn man sie verstanden hat – oder wenn man von Anfang an offen ist für die klare Schlichtheit der späten 60er.

Dieses Exemplar mit frischem TÜV und H-Zulassung gibt es für nur eine Handvoll Dollar mehr als einen neuen Golf. Wer Mondrian verstanden hat verabschiedet sich vom Seerosen-Monet im Wohnzimmer. Und wer sich vor der Anschaffung des nächsten Fahrzeugs eingehend mit einem Erstserien Camaro beschäftigt hat, wird sich fragen, ob man „Vernunft“ vielleicht neu interpretieren kann.

Vielen Dank an:

Classic Car Ranch
Petershäger Weg 211
32425 Minden
Telefon: 0571 3886741

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Technische Daten

Chevrolet Camaro 2-door Hardtop Coupé
Baujahr: 1968
Motor: V8
Hubraum: 5.354 ccm (327 cui)
Leistung: 170 kW (230 PS) bei 4.600/min
Max. Drehmoment: 450 Nm bei 2.400/min
Getriebe: Zweigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.690/1.840/1.300 mm
Leergewicht: 1.580 Kilo
Beschleunigung 0-100 km/h: ca. 9 Sek.
Top-Speed: 195 km/h
Wert: ca. 20.000 Euro

 

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Fotos: Jens Tanz