Die richtige Kombi-Nation: Chevrolet Impala 9 Passenger Station Wagon 1964

Eigentlich brauchte Gordon Tismer nur ein Transportfahrzeug für ein paar alte Türen und Ersatzteile, die er auf einer Schrottplatztour durch Kalifornien erstanden hatte. Autotüren passen ja nicht überall rein, der Wagen musste also groß sein. Mit einem günstig gekauften Chevy Impala Kombi wurden es am Ende über 3000 Meilen durch drei Bundesstaaten. Das prägt. Er nahm den 50 Jahre alten Wagen mit zurück nach Deutschland und fährt ihn heute immer noch

 

Ganz schön staubig hier, rund um die alte Papierfabrik. Strebsame Menschen schlurfen über Kies und Schotter zu der kleinen Kantine, die sich auch nach der Wende hier gehalten hat. Mittagessen. Das ehemalige Industrieareal wird langsam wieder aufgebaut, Firmen siedeln sich an, Hallen werden saniert und füllen sich mit privaten Mietern und kleinen handwerklichen Betrieben. Hinter einer großen Backsteinhalle mit dachhohen, bleigefassten Fenstern grummelt und scharrt es bedrohlich. Dann donnert es. Um die Ecke kachelt was großes, weißes mit vier Rädern und einer Menge Scheiben. Das Ding kommt um die Ecke gerutscht, gleitet mit quer stehendem Heck die abschüssige Sandpiste runter und schottert laut (und sehr viel Staub aufwirbelnd) an uns vorbei und vorbei und vorbei. Was für ein langes Auto. Nachdem die knapp fünfeinhalb Meter weiter hinten neben der Kantine zum Stillstand gekommen sind und die verängstigt zur Seite gesprungenen Arbeitnehmer wieder aus den Büschen herauskriechen, legt sich der aufgewirbelte Schleier in der Luft langsam. Es weht kein Wind. Gordon Tismer öffnet die Tür seines Impalas, steigt aus und grinst uns breit an. „War das schnell genug für die Fotos?“ Ja. Das war es.

Der 48jährige Dipl. Ing. Maschinenbau aus Heilbad Heiligenstadt wirft die Tür scheppernd wieder ins Schloss. Türen von amerikanischen Autos aus den 60ern und 70ern klingen immer ein bisschen so, als fallen sie gleich auseinander und schließen nicht richtig. Stimmt beides nicht. Aber mit der Heckklappe stimmt was nicht, wo ist die Scheibe? Tismer grinst schon wieder. In Norwegen wurde er mit dem Wagen mal von einem Polizisten angesprochen, ob er nicht Anzeige erstatten wolle, weil ihm jemand die Heckscheibe eingeschlagen habe…? Dabei ist und war sie nur heruntergekurbelt, um die Klappe öffnen zu können. Das macht er jetzt auch, und vor uns breitet sich eine weitere Halle aus, nicht aus Backstein, nicht aus Beton, sondern aus Stahl, Plastik und Gummi. Ein Chevrolet Impala Station Wagon von 1964, Nachfolger des ehrwürdigen Nomad. Sicherlich gibt es irgendwelche Gründe, warum die Kombinationskraftwagen auf der anderen Seite des Teiches Woodie, Suburban, Station Wagon, Estate oder Shooting Brake heißen. In Deutschland nennen wir sie Variant, Avant, Turnier, Touring oder Kombi. Fakt ist – da drin gibt es eine Menge Platz. Und den benötigte Tismer auch, denn er war 2008 in Kalifornien unterwegs, um mindestens vier Türen für seinen 1957er Bel Air zu kaufen und zu transportieren.

Über eine Fotoanzeige fand er den Riesenkombi, der gleich um die Ecke seines Hotels zu verkaufen war. Amis stehen auf Kombis. Der passte, da ging eine Menge rein, nicht nur die seltenen Türen. Die Hinterachse hatte keine Bremswirkung, aber alles andere funktionierte einigermaßen und der Preis war okay. Handschlag, einsteigen und ab vom Hof, die Türen einladen. Und los ging die kleine Reise durch Arizona, Nevada und Kalifornien bis nach Long Beach, wo er seinen neuen Freund voll beladen bei einer Spedition abgab und ihn in Bremen wieder in Empfang nahm. Der altbekannte Virus war schon längst gesetzt. Gordon leckte schon 1976 beim ersten Bergrennen in Heilbad Heiligenstadt Blut und schwärmte für Autos. Nach einem Wartburg 353S und einem Renault Fuego (*seufz*) fand er den 1957er Chevy Bel Air, für den er nun die Türen besorgt hatte. Danach war es um ihn geschehen, und „normale“ Autos übersah er geflissentlich. Auf die Geschichte des roten Bel Air kommen wir in einer der nächsten Ausgaben noch einmal zurück. Der Impala hat zwar nicht diese spektakulären, liegenden Flossen und den Candy Pop der 50er, aber gerade das macht ihn so begehrenswert. Er ist vor allem groß und verströmt mit seinen Doppelscheinwerfern in dem Hundeknochen-Kühler so viel unaffektierten Sixties Charme, dass man sich sofort eine Hochsteck-Frisur machen möchte.

Den [schev-re-lay] mit dem afrikanischen Antilopen-Nachnamen gab es schon 1958, damals noch als Topmodell der Bel Air Reihe. GM feierte 50 Jahre Produktion seiner Hauptmarken und platzierte Cadillac Eldorado Seville, Buick Roadmaster Riviera, Oldsmobile Holiday 88, Pontiac Bonneville Catalina und den nagelneuen Chevrolet Bel Air Impala nebeneinander. Die Topmodelle avancierten seinerzeit gern mal zu eigenständigen Modellen, und schon im nächsten Jahr hieß der Wagen nur noch Chevrolet Impala. Insgesamt sechs Generationen der Antilope bis 1985 machten die klassisch dimensionalen Auswüchse der 60er, den Hüftspeck und den Plüsch der 70er und das Downsizing der 80er mit, dann war 1985 erst einmal Schluss mit den Antilopen. In den 90ern zuckte der Impala SS noch einmal kurz auf und mutierte zu einem ähnlichen Walfisch wie der Caprice aus der Zeit, seit der Jahrtausendwende rollen die achte und neunte Generation über den Globus und sind von koreanischen Mittelklasseautos nicht mehr zu unterscheiden. Aber wen interessieren die?

Das Platzangebot in diesem Station Wagon aus der Nation der Van-Fans kann man nur als verschwenderisch bezeichnen. Das schlichte Armaturenbrett spannt sich wie ein Nierentisch auf, in den jemand ein paar Stereoanlagen gesteckt hat. Wundervoll einfache Instrumente mit kleinen roten Zeigern liefern die wichtigsten Daten, und selbst das Radio geht erst auf den zweiten Blick nicht als original durch. Retro eben, Mittelwelle lässt sich hier schlicht nicht mehr empfangen. Und ein bisschen Musik muss sein. Los, einmal noch rum um die Halle. Yay. Gordon Tismer legt am Lenkrad die erste von nur zwei Fahrstufen der Powerglide ein und lässt die 250 PS auf die Hinterachse wirken. Zwei Tonnen Full-Size schacheln wieder über den Kies, wirbeln wieder Staub auf und schwanken herrlich auf den fetten, ziemlich coolen Chromfelgen über die Schlaglöcher. In Filmen werden solche Kombis immer von alten Frauen oder Farmern gefahren. Wer hätte gedacht, dass hier so viel Druck hinter dem kathedralengleichen Raumangebot sitzt? Das macht hungrig.

In der Kantine wurde ein Stück gute alte DDR bewahrt. Holzfurnier, Ausgabetresen, wackelige Holztische und Menschen, die in der Zeit hängen geblieben sind. Schnitzel mit Kartoffeln und Sauce, dazu Vita Cola und hinterher eine Quarkspeise. Lecker, aber nicht vintage. Die meinen das hier alles noch richtig ernst. Dabei steht draußen vor der Tür ein Meilenstein des westlichen Kapitalismus, gefühlt noch größer als der ganze Raum. Aber vielleicht ist das ja genau die Völkerverständigung, die wir im manchmal noch immer geteilten Deutschland mehr als je zuvor brauchen. Menschen, die alte und junge Autos fahren. Autos aus allen Ecken dieser Welt, in allen Farben dieser Welt. Einige stark, andere nicht so stark. Einige schwarz, andere weiß. Und sie alle sind vor allem… coole Autos!

Darauf noch einen Schluck Vita Cola.

TECHNISCHE DATEN

Chevrolet Impala 9 Passenger Station Wagon

Baujahr: 1964
Motor: V8
Hubraum: 5.657 ccm (350 cui)
Leistung: 188 KW (250 PS) bei 4.000 U/min
Max. Drehmoment: 440 Nm bei 3.400 U/min
Getriebe: 2 Gang Powerglide (Aluminium)
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.330/1.984/1.440 mm
Leergewicht: 2.015 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 8,6 s
Top Speed: 195 km/h
Wert: ca. 20.000 Euro

 

Text und Fotos: Jens Tanz

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