Mercury Cougar 1969 – Das Raubtier unter dem Pony-Plüsch

Man nehme ein überarbeitetes Mustang-Chassis, mache es ein bisschen länger und setze einen gut ausgestattetes zweitüriges Hardtop-Coupé drauf – fertig ist der Cougar. Also der Puma. Die Raubkatze, die konzernintern das erfolgreiche Wildpferd Mustang angreifen sollte. Mercury punktete mit Komfort zwischen Ford und Lincoln und schuf ein heute seltenes Edel-Katzen-Pony mit (liebenswerten) Macken

Ein Rasierapparat auf Rädern? Ein Flugzeug? Nein – Dennis Hannak kennt sich mit Flugzeugen aus: Das hier ist definitiv ein Auto. Der Projektleiter bei Airbus in Hamburg-Finkenwerder dreht mit nervösem Gasfuß eine große, ausladende Runde auf der gepflasterten Fläche am Elbufer im Alten Land, stellt das weiße grummelnde Ding ohne Lampen ab und steigt aus in den lauen Spätsommerabend. Langsam trauen sich auch die Vögel, zumeist patzig pöbelnde Möwen, wieder in die Nähe der Szene. Die großen Seeratten haben mit diesem alten amerikanischen Auto einiges gemeinsam: weiß, grau, krawallig. Aber das Auto ist nicht etwa ein Donnervogel, dieses Wortspiel wäre zu kalauerig. Im Gegenteil: Hier steht leise tickend und knackend ein Mercury Cougar. Also ein Raubtier. Na, wenn die Möwen das wüssten…

Der 34jährige Moisburger Hannak wurde in seiner Kindheit schon stark autofiziert – sowohl sein Opa als auch sein Vater sind Kfz-Mechaniker. Kraftfahrzeuge gehörten zum Alltag, und wer als Kind schon in Autos spielte und später an ihnen herumschraubte, begnügt sich auch als Erwachsener nicht mit einem funktionalen Kleinwagen europäischer oder asiatischer Herkunft. Wenn man dann beruflich auch noch Flugzeuge in die Luft bringt, müssen die am Boden gebliebenen Verkehrsmittel einige Mindest-Standards erfüllen. Klar gab es Alltagsautos, insgesamt fünf, aber als Hannak mit 24 Jahren seinen ersten Ami erwarb, war die Richtung klar. Der ’69er Buick Skylark war muskulös, hatte sexy Hüften und stand in Deutschland nicht an jeder Ecke. Passte also.

Die Angetraute rief 2013 nach einem Ponycar und damit nicht ganz nach einem Fahrzeug, was den Ansprüchen genügte. Mustang sind definitiv coole Autos, aber es fahren wirklich viele davon rum. Der Mann mit dem Hang zum Seltenen machte sich partnerschaftsergeben auf die Suche nach Alternativen und fand in Phoenix / Arizona genau das, was er suchte. Was auch seiner Frau gefallen würde. Und was sogar durch die Blume gesehen aus dem Hause Ford kam: der Mercury Cougar.

Auf den Mega-Erfolg des Mustang ab 1964 reagierte Amerikas größter Automobilhersteller General Motors erst nach einer Schocksekunde von mehr als zwei Jahren. Als im Herbst 1966 Chevrolets Camaro in den Startlöchern stand, ahnte man bei Ford, dass hier Käufer flöten gehen könnten und stampfte mit der hauseigenen Mercury Division einen komfortablen Gegenangriff aus dem Boden. Der Cougar stand gleichzeitig mit dem Camaro auf dem automobilen Catwalk und zielte auf Kunden, die zwar ein sportliches Auto fahren, auf Komfort aber nicht verzichten wollten.

Auf das leicht verlängerte Chassis des 1967er Facelift-Mustang schneiderten die Designer ein zweitüriges Hardtop Coupé, das – anders als der Mustang – ausschließlich mit V8-Motoren ausgeliefert wurde. Der Name war eine Hommage an die ersten Geburtsstunden des Mustang, der ganz am Anfang auch mal so heißen sollte. Man entschied sich dann allerdings final für das Wildpferd. Angesiedelt war der Cougar in der Modellpalette eher in Richtung des großen Thunderbird.

Die erste Generation hatte ein für amerikanische Verhältnisse leicht europäisiertes Design mit Holzapplikationen auf dem Armaturenbrett und einem quer über die gesamte Front laufenden, vertikal konturierten Grill mit versenkbaren Scheinwerfern. Es dauerte nur wenige Stunden, bis der Cougar den Spitznamen „Elektrischer Rasierapparat“ trug. Die vakuumgesteuerten, sich um 180 Grad drehenden Scheinwerfer wurden nach einem Jahr noch einmal grundlegend überarbeitet. In der neueren Version blieben sie nur dann geschlossen, wenn durch den Motor Unterdruck aufgebaut wurde. Wenn das System also Defekte zeigte und der Unterdruck weg war, klappten die Lampen auf – was die eine oder andere Nachtfahrt in dieser Variante nicht wie vorher vorzeitig beendete. Der Auftritt des Pumas war auch jenseits der bartstutzenden Front konsequent und kraftvoll – am Heck setzten sich die vertikalen Linien in einem horizontalen Leuchtband über die gesamte Breite fort, gerahmt von einem Hüftschwung und einem kurzen Hintern.

Der Cougar entwickelte sich in der Käufergunst in den ersten vier Jahren vom Mustang-Konkurrenten zu einem „Plüsch-Pony-Car“, was gut ankam und der Lincoln-Mercury-Division stattliche Verkaufszahlen von über 420.000 Exemplaren in diesem Zeitraum bescherte. 1969 legte man noch ein Convertible nach, verzichtete aber auf die in den Staaten üblichen unzähligen Performance-Packages. Das Plüsch-Pony war ab Werk schon üppig ausgestattet. Wer es sportlicher wollte, orderte den GT. Das war’s. Die Welle schwappte noch bis 1973, dann verloren die Amis nach und nach die Lust am klassischen Muscle Car. Der Mustang in seiner Generation II rollte verkleinert in die erste Ölkrise und am Geschmack der Amerikaner vorbei, der Cougar wollte diesen Schrumpfschritt nicht machen. Er blieb wie er war, wurde nur umdesignt und definierte sehr erfolgreich eine neue Generation der „Personal Luxury Cars“. Der bedeutsame Name des Puma starb Anfang 2002.

Hannaks Cougar der ersten Generation hat zwar schon die horizontalen Leisten in dem breiten Grill (und sieht damit nicht mehr ganz so arg nach einem Elektrorasierer aus), ist aber heute – anders als seine Nachfolger – definitiv unter dem Begriff „Kult“ verbucht. Pony-Technik, Pony-Zuverlässigkeit – aber viel, viel seltener. Nach dem Import aus Arizona kamen nur die üblichen Umbauten für die „German Hauptuntersuchung“ und ein paar kosmetische Tupfer, und seitdem läuft die Raubkatze tadellos.

Tatsächlich fährt es sich in dem fast fünf Meter langen Muscle Car angenehm kommod, wenn man den V8 nicht allzu sehr aus der Reserve lockt. Das Dashboard ist für die 60er Jahre üppig bestückt, hat aber noch nicht die flauschige Überheblichkeit der 70er. Die Holzapplikationen verströmen zusammen mit dem schwarzen Vinyl/Leder des Interieurs einen komfortablen Wartezimmer-Hauch und laden zum Verweilen ein. Und noch bevor die frechen Möwen sich erneut schreiend um einen vergammelten Fisch streiten können, verscheucht Hannak sie mit Anlasser und Gaspedal.

Der 351cui-V8 brüllt kurz bassig auf und schrabbelt dann im Standgas, während der Puma langsam Fahrt aufnimmt. Oder losrennt. Wie sagt man? Straff und geduckt liegt das fast 50 Jahre alte Auto auf der Straße und lässt sich auch durch die etwas forschere Gangart des Airbus-Mannes nicht aus der Ruhe bringen. Alles Pony oder was? Die lange Haube frisst die vorbeiziehende Straße, der Motor grummelt zufrieden vorn vor sich hin wie eine Raubkatze und hinten blubbern die acht Töpfe klassisch raus, ohne dabei zu laut zu sein. Was will man mehr?

Die Wolken werden dichter, es fängt leicht an zu regnen. Es kommen Gedanken an James Bond, der 1969 mit so einem Cougar und Skiträgern am Heck „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ durch den Schweizer Winter fuhr. So weit kommt es heute allerdings nicht. Der Mercury zeigt abschließend noch eine seiner liebenswerten Macken und lässt die Scheinwerfer aufklappen, ohne dass Hannak am Lichtschalter gezogen hätte. Großes Gelächter überall. Das macht er manchmal von alleine, immer dann, wenn er nach Hause will.

Am Ende des Tages ist das Teil eben kein Wildpferd, sondern eine Katze. Und das ist auch gut so.

 

Technische Daten Mercury Cougar

Baujahr: 1969
Motor: V8
Hubraum: 5.689 ccm (351 cui)
Leistung: 172 PS
Max. Drehmoment: 420 Nm
Getrieb: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.920/ 1.885 / 1.310 mm
Gewicht: ca. 1.700 kg
Sprint 0-100 km/h: 8,0 s
Top-Speed: 200 km/h
Wert: ca. 15.000,- Euro

Text und Fotos: Jens Tanz

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