Die Heimkehrer: Oldies mit Stern kommen immer öfter aus den USA

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Interessante Oldies mit Stern kommen immer öfter aus Übersee – Zeit für ein Treffen mit drei unterschiedlichen Heimkehrern: Strichachter, Pagode und 280 SE 3.5 Cabriolet

„Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes-Benz“, sang einst Janis Joplin. Und genau damit traf die gebürtige Texanerin den Nerv in den autoverrückten USA. Daimler kombinierte den American Style mit legendärer deutsche Qualität: Für uns ungewohnte Insignien sind stämmige Bumper, Sidemarker, Meilentachoskalen und veränderte Leuchtgrafiken. Für US-Besserverdiener ist dieser Mix lange Zeit die vertraute Optik des mobilen Nobellabels schlechthin.

Der Oldtimerboom in good old Europe sorgt jedoch dafür, dass die von der Sonne gegerbten Schätze nach und nach in die alte Welt zurückkehren. Nach Jahrzehnten problemlosem Alltagsbetrieb auf dem Highway überrascht es nicht, dass sich aufgrund der Fahrzeugkonstitution bei Fans der Eindruck von Unzerstörbarkeit einschleicht. Es scheint fast so, als perlten hunderttausende Kilometer ab, wie ein erfrischender Schauer inmitten kalifornischer Hitze. Unsere Bespiele: 250/8, 280er Pagode und ein offener 280 SE 3.5.

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Schwäbisches Altblech als Lebensgefühl

Doch was manifestiert diesen Eindruck? Schon beim Öffnen der schweren Türen mittels massiver Griffe erinnert die Solidität an Tresore. Dazu kommt ein serienmäßiger schwerer Duft aus der Zeit des westdeutschen Wirtschaftswunders, dekoriert mit Ästhetik, Chrom und Funktion. Im Falle unserer drei Fotomodelle mischt sich Faszination mit Vernunft, Status und sehr viel Stil. Denn klassische Fahrzeuge mit Stern taugen seit jeher langfristig fast immer auch als Wertanlage.

Importe mit gesunder Substanz

Der Hauptvorzug von Reimportmodellen aus der neuen Welt ist schnell auf den Punkt gebracht. In klimatisch günstigen Breitengraden – ohne gefährdende Streusalzeinsätze wie hierzulande – steigen die Chancen auf ein altes und dennoch gesundes Bleichkleid deutlich. Das Label „rostfrei“ wird vom Wunsch zur Wirklichkeit, problematisch können dafür jedoch durch Sonneneinstrahlung gegerbte Lackpartien, aufgeplatzte Polster und fragwürdige Reparaturhistorien sowie der gefürchtete amerikanische Paintjob sein.
Der besondere Charme unserer drei Fotofahrzeuge ergibt sich aus ihrer bewegten Vergangenheit und dem dennoch exzellenten Erhaltungszustand. Erbaut im Schwäbischen machten sie sich einst per Schiff für ihre wohlhabende Kundschaft als Neuwagen auf in die neue Welt, wo „Made in Germany“ schon immer hoch im Kurs stand. Die Rückreise als Oldtimer nach Jahrzehnten war da natürlich noch nicht geplant, aber wir freuen uns über die stummen Zeitzeugen einer bewegten Geschichte. Unverkennbare Exportmodelle. Außerdem ist die US-Mehrausstattungsliste meist eine willkommene Abwechslung zu den damals noch eher kargen Datenkarten deutscher Modelle.

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Hafenluft für alle

Unterwegs mit drei ganz unterschiedlichen Mercedes-Reimporten aus dem Classic Bestand des Hamburger Autohauses Leseberg geht es in Richtung Hafen durch die warme Sommernacht. Das Trio cruist im Pulk über den Asphalt und entfaltet dabei eine unglaubliche Präsenz. Wir erleben noch einmal das goldene Zeitalter deutscher Automobilbaukunst und verstehen, warum ein Stern auf dem Kühlergrill lange als unumstrittene Krönung des deutschen Automobilbaus galt. Vom Wesen her grundverschieden, geben die Wagen an der Hafenkante trotzdem ein großartiges Gesamtkunstwerk ab: eine kommode Reiselimousine, ein sportlicher Roadster und ein opulentes Cabriolet vereinen drei legendäre Spielarten einer Epoche. Das Tor zur Welt ist dabei genau der richtige Ort, um das Flair alter Mercedes-Benz auf sich wirken zu lassen. Trotz der atemberaubenden Kulisse der neu erbauten Hafencity, die volle Aufmerksamkeit ist der schwäbischen Oldie-Flotte sicher.

Drei Dauerläufer mit Stil

Der beige 250/8 aus dem Baujahr 1972 hat bereits 260.000 Kilometer auf dem Tacho angesammelt, doch der Fahreindruck des Dauerläufers ist noch immer makellos. Als Taxi durchbrachen nicht wenige Exemplare der allgegenwärtigen Strich-8-Baureihe die Millionen-Kilometer-Schallmauer und manifestierten so den Ruf der Unzerstörbarkeit schwäbischer Produkte. Der zweieinhalb Liter große Sechszylinder mit Automatikgetriebe betont im Kalifornien-Benz gegenüber seinen genügsamen Selbstzünderbrüdern stärker den komfortablen Habitus und entspannt seine Passagiere mit einem sonoren Soundteppich ab dem ersten Meter. Was deutlich wird: Das Mehr an Kraftreserven tut ihm gut, als lässiger Gleiter ist der 72er eine zeitlos sichere Bank und spätestens mit Klima an Bord verdammt cool.

Entscheidend mehr Sexappeal auf den ersten Blick bietet die 280er Pagode. Der ab Werk zweifarbig in Dunkelrot (542) mit Hardtop und Radkappen in Hellelfenbein (670) ausgelieferte, sportlich leichte Roadster bezeugt den besonderen Geschmack seines Bestellers. Sitzbezüge aus schwarzem MB Tex sind typisch für US-amerikanische Reimporte und erinnern nicht von ungefähr an deutsche Taxen. Der vom Franzosen Paul Braq designte Zweitürer der Baureihe 113 kennzeichnet eine für die Marke ungewöhnlich elegante und leichte Linienführung sowie eine enge technische Verwandtschaft zur Heckflossenlimo W111. Seinen Spitznamen verdankt der vielleicht eleganteste SL seiner besonderen, nach innen gewölbten Hardtopsilhouette.

Für den besonderen Auftritt ist die Nummer drei im Bunde gut. Als großer offener Wagen besitzt der opulente 280 SE 3.5 eine gewaltige Präsenz, er ist unverkennbar ein typischer Chefwagen. Klappt man sein Sonnenlandverdeck in den Heckkasten, können gleich vier Sonnenanbeter auf dicken Lederfauteuils dem schönen Leben frönen.

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Angetrieben von einem säuselnden, gut 200 PS starken Achtzylinder-Einspritzer hinter dem Flachkühler ist das 4,90 Meter lange und nur 1.232 Mal gebaute Über-Cabriolet in seiner Exklusivität höchstens vom legendären 600er zu toppen, was sich heute bereits deutlich in kontinuierlich steigenden Liebhaberpreisen wiederspiegelt.

Fazit

Bei welchem Modell am Ende das Herz schneller schlägt, hängt von individuellen Vorlieben und dem verfügbaren Budget ab. Ein solider /8 ist noch immer ein absolut alltagstaugliches Sommerauto und dabei in der Anschaffung erfreulich günstig, die Pagode legt sein einigen Jahren dagegen preislich kontinuierlich zu. Fahrzeuge mit brauchbarer Substanz werden kaum noch für weniger als 40.000 Euro gehandelt. Dieses Preissegment hat das 111er Cabriolet insbesondere als 280 SE 3.5 schon längst verlassen. Im guten Zustand stellt es inzwischen leicht den Wert einer mittelgroßen Eigentumswohnung dar.

Technische Daten

MB 280 SL Pagode MB 280 SE 3.5 Cabriolet MB 250 /8
Baujahr: 1968 1971 1972
Motor: Sechszylinder-
Reihenmotor
Achtzylinder-
V-Motor
Sechszylinder-Reihenmotor
Hubraum: 2.778 ccm 3.459 ccm 2.496 ccm
Leistung bei /min: 170 PS (125 kW) bei 5.750/min 200 PS (134 kW) bei 5.800/min 130 PS (96 kW) bei 5.400/min
Max. Drehmoment: 240 Nm bei 4.500/min 286 Nm bei  4.000/min 199 Nm bei 3.600/min
Getriebe: Viergang-
Schaltgetriebe
Viergang-
Automatikgetriebe
Viergangautomatik
Antrieb: Hinterradantrieb Hinterradantrieb Hinterradantrieb
Länge/Breite/Höhe: 4.285/ 1.760/ 1.320 mm 4.905/ 1.845/ 1.420 mm 4.680/ 1.770/ 1.440 mm
Gewicht: 1.360 kg 1.650 kg 1.375 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 9,0 Sek. 9,4 Sek. 12,9 Sek.
V-max: 200 km/h 205 km/h 175 km/h
Preis (2014): 37.500 Euro 300.000 Euro 19.900 Euro

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Fotos: Salonlöwen