Eine Galaxie auf Rädern

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Der Name „Galaxie“ spielt auf den Wettlauf ins All an. Man könnte ihn aber auch als Metapher auf das Raumgefühl im Inneren der Full-Size-Limousine sehen, die aus einer Zeit kommt, als das Leben noch ein wenig übersichtlicher war. Mit dem kleinsten damaligen Big Block, drei Cruise-O-Matic-Gängen und einem Haufen Flair der 60er cruisen wir los und entkommen der Hektik der Welt

Der Weltraum. Unendliche Weiten….
*orchestrale Musik, Erzähler spricht* Wir befinden uns in den 60ern, das „Space Race“ ist in vollem Gange. Das Rennen um die technische Überlegenheit der beiden Supermächte verlagerte sich mehr und mehr auf den Weltraum. Die mit buntem Metallgekröse hoch dekorierten Generäle fanden den Gedanken sexy, Raketen weit über den Köpfen des Gegners zu parken, ohne dass dieser etwas dagegen machen kann. Die Sowjets hatten bereits vor Jahren „Laika“ in den Weltraum geschickt. Laika war eine Hündin und überlebte den Flug nicht. Die Amerikaner legten 1962 mit John Glenn, einem Astronauten nach. 1963 umkreiste „Walentina“ 70 Mal die Erde. Walentina war keine Hündin und kein Astronaut, sondern die erste Frau im All, sie überlebte im Gegensatz zu Leika auch den Ausflug und landete als „Heldin der Sowjetunion“ wieder auf der Erde. Da, wo Autos gebaut werden.

Logbucheintrag Nummer 1
Raumschiff Galaxie Captain Jens
*Fröhlicher Rock‘n Roll*

Wir bewegen uns in spannenden Zeiten. So spannend für die am Boden bleibenden, dass Raketendesign und orbitale Namensgebung sehr werbewirksam Einzug in Produkte des täglichen Lebens halten. Ford nennt Ende der 50er das Luxus-Upgrade seiner Fullsize-Modellreihe Fairlane zusätzlich „Galaxie“ und bietet alles an, was der amerikanische Freund von großen Autos sich wünscht: Zweifarbig lackierte Blechplanken im Format einer Trägerrakete; üppiger, sternengleich funkelnder Chromschmuck; imposante Doppelscheinwerfer wie gleißende Sonnen; eine Panoramascheibe wie das Cockpit der Enterprise (auch wenn die erst ein paar Jahre später abhob); und respekteinflößende Flossen am Heck. Eben gerade so wie ein Raumschiff, dafür gebaut, in die Weiten der Galaxie vorzustoßen. Ab 1960 wird der Galaxie eine eigenständige Modellreihe (aber bitte nicht mit „y“ hinten, denn das führt dann zu einem Fahrzeug, was niemals den Weg in unser Magazin finden wird…).

Diese Weitläufigkeit zeigt sich beim auf das Concept Car „Quicksilver“ aufbauenden neuen Ford schon in den äußeren Dimensionen. Seine Breite knackt die magische US-Grenze von 80 inch (das sind mehr als zwei Meter wohlgemerkt), deshalb benötigt man in einigen Bundesstaaten einen vorläufigen „One year pass“, um das Auto so zu verkaufen, wie es gebaut wird. Andernfalls müssen orange Positionslichter auf dem Dach nachgerüstet werden, wie bei Trucks… Was aber das weltraumbegeisterte Volk auf der anderen Seite des Atlantiks sicherlich auch noch mitgemacht hätte.

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Die hohen Flossen werden in den kommenden Jahren dezent breiter, die Linie des Galaxie wird begradigt und bekommt im Rahmen von General Motors‘ umfassendem Re-Design der Modelle die schlichte Schönheit der 60er Jahre. Die neue futuristische Linie löst sich vom bulligen Raketendesign der 50er und strebt weiter hinaus ins ferne Weltall. Obwohl man noch nicht einmal auf dem nur 300.000 Kilometer entfernten Mond gelandet ist, kommt das gut an. Das findet auch die „International Fashion Authority“ in Italien und verleiht dem Beau 1961 den prestigereichen Preis für die „funktionelle Umsetzung von klassischer Schönheit“. Und ja, funktioneller kann man kaum von a nach b kommen. Zumindest, was körperliche Arbeit am Steuer betrifft. Die Liste der möglichen Ausstattungen des Galaxie wächst in unermessliche Dimensionen und umfasst alles, was elektrisch oder hydraulisch automatisiert ist. Elektrische Fensterheber, Servolenkung, Servobremsen. Elektrische Sitzbank vorn, Zweizonenklimaanlage, elektrisch abblendbarer Spiegel. Gimmicks wie das „Continental Kit“, Bordsteinwächter, Haubenornamentik oder elektrische Scheibenwaschdüsen lassen den preiswerten Wagen in eine neue Luxusklasse gleiten. Der 1963er Galaxie ist inzwischen einer der meistbegehrten Ford aller Jahrgänge. Ford baut mutig Aggregate unter die Hauben, die eher als Triebwerke für Raumgleiter denn als Motoren für Automobile durchgehen würden. Alle preisbewussten Street-O-Nauten wählen den als „Meilenfresser“ bekannten kleinen Reihensechser mit 3,7 Litern (223 cui) Hubraum, obwohl das nicht unbedingt notwendig ist. Die Gallone Benzin (also rund 3,8 Liter) kostet etwa 30 US-Cent, bei heutiger Kaufkraft und nach Inflationsbereinigung wären das 1,40 Euro oder rund 37 Cent pro Liter. Da darf es dann schon ein bisschen mehr sein, damit das Space-Race nicht schon an der ersten Ampel verloren wird.

Aus dem Thunderbird werden der 352er-V8 (220 PS), der 390er 4V-V8 (300 PS) und der 406-High-Performance-V8 mit Dreifachvergaser (405 PS) angeboten. Etwas später gibt‘s für wenige Exemplare und Käuferchen Nimmersatt den 427er High-Performance-V8, unter Fans „Secret Weapon“ genannt. Mit seinen sieben Litern Hubraum (427 cui, daher der Name) und zwei Vierfach-Vergasern entfesselt er 425 PS und ist heute eine der begehrtesten Motorisierungen im Galaxie – auch wenn er das Benzin frisst wie das Schaufelrad einer Wassermühle den Fluss. Es war ja genug da, und es war nicht teuer.

Logbucheintrag Nummer 2
Raumschiff Galaxie
Captain Jens

*aufdringliche Elektronikfachmarkt-Werbemusik*
Wir bewegen uns in anderen Zeiten als damals. Im Jahr 2014 ist das Interesse an der Raumfahrt verschwunden. Der Mond ist langweilig, mit einem durchschnittlich gut gewarteten Mercedes-Turbodiesel schafft man die Strecke hin und zurück mit einem einzigen Motor. Unspektakulär. Endlich ist La Luna wieder nur noch ein orangeroter Himmelskörper in romantischen Sternennächten, wenn überhaupt will man jetzt zum Mars fliegen. Nach ein paar Jahrzehnten der Freundschaft sind Ost und West endlich wieder böse aufeinander. Zwar richten sie keine unsexy Atomraketen mehr auf den anderen, aber um Uneinigkeit bei Besitzansprüchen von Ländern und einspringende Bündnisse geht es heute wie damals. Zeitgeist sieht man nicht mehr im Design aktueller Autos, hier spiegelt sich eher eine nicht therapierbare Liebe zu Altglascontainern wieder. Oder vielleicht auch der Hass einiger Designer auf zickige Exfrauen, die sie nach erfolgreicher Ehetrennung nun mit ostereiförmigen Großraumkatastrophen, kotzefarbenem Plastik und rebellierenden Schiebetüren bestrafen. Irgendwann bekommt eben jeder seine Genugtuung.

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Das 51 Jahre alte 2-Door-Hardtop-Coupé sieht aus wie eine Zeitmaschine, die in einer Epoche gelandet ist, wo sie nicht hingehört: in der Zukunft. Auf den ersten Blick fällt das nicht auf, im Hintergrund stehen alte Güterwagons auf einem alten Bahnhof. Auf den zweiten Blick schon. Auf der dreispurigen Umgehungsstraße im Hintergrund rasen Ströme von rundgelutschten Autos wie ein Wasserfall dahin, Bässe, Beats und schreiender Elektropop ist aus offenen Fenstern zu hören. Eine tief fliegende Airbus Beluga scheint am Himmel zu kleben und blickt böse donnernd auf Teenager herunter, die sich während ihrer Wartezeit an der Bushaltestelle schweigend auf ihre Smartphones konzentrieren. Die Welt ist schnell geworden. Sie ist laut, hektisch und unpersönlich. Das Internet hat sie auf Dorfgröße schrumpfen lassen und produziert massenweise überforderte Menschen, die mit durchgeknallten Sicherungen in die Reha-Kliniken gespült werden.

Ich komme mir auf der vorderen Sitzbank des Zweitürers wie ein Zeitreisender vor und weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Der Wählhebel am riesengroßen Lenkrad steht auf P und ich drehe am Schlüssel. Gierig saugend erwacht der 352-cui-Mini-Big-Block zu agilem Leben und hechelt gesund im Standgas vor sich hin. Der Tank ist halbvoll, es gibt keinen Zeitdruck und kein Ziel. Nur fahren. Ist das mit so einem Auto möglich? Oh ja. Aber wehe, man hat vorher zu lange in europäischen Jahreswagen gesessen…

Mit dem Fuß auf dem Bremspedal von der Breite eines Schulranzens ziehe ich den Hebel an der Lenksäule und lege Fahrstufe D ein. Huch? Der will echt los! Ich trete erheblich fester zu und bedeute ihm damit, dass ich noch nicht so weit bin. Anschnallen? Nein, womit auch? Gurte gibt es an den beiden Sofas mit den originalen Werksschonbezügen nicht. Der Blinker ist da, wo man ihn vermutet, das Radio bleibt erst einmal aus, alles andere regelt sich schon – wie die Zweizonenklimaanlage „Select-Aire“ zum Beispiel. Fuß von der Bremse und los.

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Vorwärts, langsam, aber mit Macht. Europäer aus den 70ern mit Automatikgetrieben kriechen zaghaft los, wenn die Fahrstufe eingelegt wird. Amis aus den 60ern drücken regelrecht nach vorn, ohne die Drehzahl anzuheben. Das regentonnengroße dünne Lenkrad lässt sich dabei mit dem kleinen Finger der rechten Hand drehen, allein die Servolenkung scheint schon mehr PS zu haben als ein aktueller Kleinwagen. Feeling für die Straße: Null. Geradeauslauf: gewöhnungsbedürftig. An der Einfädelung zur dreispurigen Umgehungsstraße warten die motorisierten elf Quadratmeter Grundfläche geduldig mit mir, bis ein Lkw aufblendet und uns reinlässt. Aufs Gas und los.

Die Wolke aus Gummi und Staub im Rückspiegel ist mir sagenhaft peinlich – wer hätte denn gedacht, dass die Fuhre so derbe losgeht? Der Ford und ich schwimmen endlich im Verkehr mit. Langsam entspanne ich mich ein bisschen. Die Rundumsicht ist aufgrund fehlender Kopfstützen und großer Fensterflächen sagenhaft und macht es dem Steuermann ein bisschen einfacher, die Dimensionen des Raumgleiters abzuschätzen. Hinter mir ist noch ungefähr so viel Auto, als wäre ich mit einem Anhänger unterwegs, und vor mir ist die Nase schon halb über die Kreuzung wenn ich noch gar nicht an der Ampel angekommen bin. Sagenhaft. Und er ist überraschend agil zu bewegen. Was er an Gewicht zu viel hat, macht er an Drehmoment wieder wett. Später, im Wohngebiet mit verkehrsberuhigten Zonen und Bumpern, haben wir zwei uns aneinander gewöhnt. Ich traue mich, das Radio anzumachen und kurbel sogar mutig das Fenster runter. Mit dem kleinen Finger am Volant und einem halben Auge auf dem Meilentacho gluggern wir durch den warmen Julinachmittag. Hier und da dreht noch mal ein Hinterrad beim Verlassen eines Kreisverkehrs kurz quietschend durch, aber nach und nach fährt sich der Galaxie tatsächlich wie ein Auto – allerdings mit Raketenkraft und Raumschiffdimensionen. Geil. Der V8 schnurrt seidenweich und kraftvoll unter seiner Haube, die Gänge werden butterweich eingelegt und alles um mich herum verströmt die heitere Leichtigkeit einer hell erleuchteten Milchbar.

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Logbucheintrag Nummer 3
Raumschiff Galaxie
Captain Jens

Die Rundfahrt wird ein bisschen länger als geplant. Wenn man erst einmal den Sternenstaub der Galaxie geleckt hat, will man gar nicht mehr aussteigen. Der Weg wird zum Ziel, egal ob im Arbeitsalltag oder bei der Rundfahrt am Wochenende. Dieses Raumschiff entspannt seinen Piloten in einer hektisch gewordenen Zeit und verströmt eine nicht gekannte Gelassenheit, ohne dabei seinen Sexappeal zu verlieren. Der Ford Galaxie passt nicht ins Heute, aber das macht ihn ja so erstrebenswert. Er ist der Retro-Klingelton auf dem iPhone, die Vintage-Kaffeemaschine im Pad-Zeitalter und das Alltagsfahrzeug inmitten von koreanischen Kleinwagen. Und jetzt fangen Sie mir nicht wieder mit dem Benzinverbrauch an – eine wöchentliche Therapeutenstunde kostet auch zwischen 120 und 180 Euro. Soll die Plastikfraktion der Neuwagenkäufer mit ihren bösen Blicken doch abheben wollen – 50 Jahre nach dem Space Race kann man mit diesem Auto ganz entspannt am Boden bleiben.

Technische Daten

Ford Galaxie 2-door Hardtop Coupé
Baujahr: 1963
Motor: V8 Big-Block
Hubraum: 2.922 ccm (cui)
Leistung: 162 kW (220 PS)
Max. Drehmoment: 508 Nm
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.320 mm/2.010 mm/1.390 mm
Gewicht: 1.700 Kilo
Beschleunigung 0-100 km/h: 9,2 Sek.
Top-Speed: 175 km/h
Wert: ca. 20.000 Euro

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Fotos: Jens Tanz