Eine Göttin zum Niederknien – Citroën DS Tissier
Göttinnen sind selten, diese hier erst recht: Der Citroën DS Tissier transportierte stilvoll – vorwiegend havarierte Autos. TRÄUME WAGEN schwebte mit dem Hydraulik-Wunder durch das noch leere Gebäude des künftigen Meilenwerkes am Züricher See
Götter sind groß. Göttinnen auch. Zum Beispiel Neunmetervierzig.
Zugegeben: Auch in irdischen Maßstäben gemessen ist ein Auto mit dieser Länge etwas Besonderes – meistens sogar ein Truck. Nicht aber dieses Schmuckstück, das auf den vollen Namen Citroën DS Tissier hört.
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Das müssen wir entschlüsseln – für alle, die sich in der Nomenklatura Citroëns nicht so auskennen. 1955 stellte Citroën den Nachfolger der “Gangsterlimousine” Traction Avant vor und nannte ihn “DS”. Ausgesprochen wird es im französischen als “déesse”, was übersetzt nichts anderes als “Göttin” heißt. Kann es eine bessere Bezeichnung geben für das wohl innovativste Auto der Fünfziger Jahre, das dank seiner hydropneumatischen Federung auf nur drei Rädern fuhr (und deswegen letztlich sogar dem französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle das Leben rettete, als auf ihn 1962 ein Attentat begangen wurde, weil der Chauffeur trotz zerschossener Reifen mit seiner wertvollen Politfracht flüchten konnte)? Dabei wurde bei Citroën ursprünglich gar nicht göttlich gedacht, sondern ganz bodenständig ein VGD entwickelt – ein “voiture à grande diffusion”, ein “Auto mit großer Verbreitung”. Die Prototypen bekamen ein D dazugesellt, später wurde ein DS daraus – und erst dann gewahrten die Citroënisti, was für ein Wortspiel sie da kreiert hatten.
Und so entdeckte der Aufbautenspezialist Tissier die DS als optimalen Autotransporter, denn wegen der Hydropneumatik kommt der Schlepper völlig ohne Rampen aus. Insgesamt 35 Stück der vierachsigen und viersitzigen Versionen stellte Tissier auf die Räder, die meisten für einen französischen Automobilclub.
So auch das Auto, das zurzeit bei der Meilenwerk AG als Autobahnkurier seinen Dienst tut und vorrangig einen Renn-Jaguar E stilgerecht zu verschiedenen Veranstaltungen kutschiert. Sie wurde 1976 bei Tissier umgebaut. Basis ist eine Göttin von 1970. Nach getaner Arbeit landete die Tissier-DS auf einem südfranzösischen Schrottplatz, wo sie nach jahrelangem Siechtum in erbarmungswürdigem Zustand gefunden wurde. In Deutschland erfuhr sie eine Frame-Off-Restaurierung. Allerdings kam irgendwer auf die glorreiche Idee, die DS – die eigentlich aufgrund ihres Baujahres Doppelscheinwerfer hinter Glas besitzen müsste – mit den älteren Kotflügeln samt freistehender Lichter und Lüftergittern auszustatten. Das verleiht ihr noch etwas Erhabeneres…
Und weil einem besonderen Auto eine besondere Umgebung gebührt, haben wir das große Vergnügen, die 9,4 Meter lange Göttin in dem rund 250 Meter langen und noch leeren Gebäude auszuführen, das ab 2013 das Meilenwerk Zürichsee (siehe Kasten Seite 43) sein wird. Dass es draußen fette nasse Flocken schneit, hilft bei der Entscheidung…
Riesige weiche Sessel mit fetten Kopfstützen nehmen uns auf und kündigen schon mal an, was dieses Produkt des Doppelwinkels so himmlisch macht: der andauernde Schwebezustand. Man sitzt nicht in der Göttin, man residiert schon fast – auch wenn es ein echtes Arbeitsauto ist. Das belederte Cockpit empfängt einen mit sechs Rundinstrumenten, unter einem Dach zusammengefasst. Links vom Fahrersitz befindet sich ein langer Hebel, mit dem man die Hydraulik der Ladefläche dirigiert. Die Lenksäule kommt einspeichig aus den Tiefen der Technik, biegt sich fesch und umklammert letztlich einen dünnen Lenkradkranz. Mittig darunter befindet sich das Anlassschloß. Zündung an, den winzigen Anlassknopf drücken, los geht’s. Die Lenkradschaltung hakelt etwas, aber der 2,3-Liter-Motor nimmt wunderbar das Gas an.
Das Bremsen ist allerdings ungewöhnlich. Denn statt eines Bremspedals besitzt die Göttin so etwas wie einen dicken Gummipickel neben dem winzigen Gaspedal. Der wird zwar genauso gedrückt wie ein Pedal, dennoch fühlt es sich so an, als würde man auf ein großes Stück durchgeknetetes Kaugummi treten – ungewöhnlich und nicht gerade vertrauenswürdig in dieser Umgebung voller Mauern und enger Durchlässe.
Von der großen Ladefläche hinten merkt man überhaupt nichts. Nur das Rangieren erweist sich als äußerst problematisch. Dabei wird hauptsächlich die erste Hinterachse, von vorne gerechnet, belastet. Deshalb sind auch dort immer zuerst die Reifen blank. Wie gut, dass auf dem filigranen Dachgepäckträger immer genug neue mitgeführt werden – zwei kleine für die Hinterachse und ein großes – selbst eine große Göttin ist vor einem fiesen Nagel nicht gefeit.
Leider verliert die DS Hydrauliköl, so dass wir lieber aufhören, das besondere Auto durch die Gänge zu scheuchen. Die 170 km/h, die sie laut Meilenwerk-Chef Martin Halder noch laufen soll, probieren wir auch nicht aus – wir glauben es aber.
Übrigens: Wer so eine große Göttin mal live anbeten will, muss eine Menge Glück haben: Weltweit existieren von ihrer Sorte nur noch drei Stück.
Wir danken der Meilenwerk AG, die uns die Göttin zur Verfügung gestellt hat. www.meilenwerk.de
Meilenwerk – Die moderne Art von Klassiker-Pflege
Die Idee vom “Meilenwerk – Forum für Fahrkultur” stammt von Martin Halder. Der studierte Wirtschaftsingenieur und Immobilienökonom ist heute Vorstandschef der Meilenwerk AG und hat damit die Fäden fest in der Hand. Halder hat bis heute die Meilenwerke in Berlin, Düsseldorf und Stuttgart entworfen. Den ersten beiden Standorten hat die Meilenwerk AG allerdings inzwischen wegen unterschiedlicher Auffassungen mit dem Betreiber die Marke entzogen.
Im Frühjahr 2013 soll das größte und erste ausländische Meilenwerk-Projekt fertig sein, das Meilenwerk Zürichsee in Horgen. Das ehemalige Webmaschinenwerk Grob Textile AG bietet auf 200 Metern Gebäudelänge und über fünf Stockwerke rund 20.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Die Meilenwerk AG mietet von dem Eigentümer Mobimo Holding AG das Objekt für mindestens 20 Jahre. Der künftige Schweizer Oldie-Treff liegt nur wenige Autominuten von Zürichs Innenstadt entfernt.
Rund 28 Millionen Euro kostet der Umbau des bereits leeren Gebäudes, damit gilt es als das ambitionierteste und teuerste Oldtimer-Projekt in Europa. Neben 150 Glasgaragen für Klassiker werden in das Gebäude Werkstätten, Einzelhändler, Gourmetläden, eine Drivers Lounge, ein Autotresor für Fahrzeugsammlungen und sogar ein Design-Hotel mit 100 Zimmern (im Obergeschoss) einziehen.
Auch das nächste Projekt ist bereits festgezurrt: Das 1901 in Betrieb genommene Kraftwerk Bille in Hamburg wird das Oldie-Mekka in Deutschlands Norden. Der Umbau des Gemäuers startet noch in diesem Jahr. Die Nutzfläche soll 14.000 Quadratmeter betragen.
Citroën DS Tissier | |
Motor: | Vierzylinder-Reihenmotor |
Hubraum: | 2.300 ccm |
Leistung: | 93 kw (126 PS) |
Antrieb: | Frontantrieb |
Länge: | 9,4 m |
Breite: | 2,0 m |
Gewicht: | 1.950 kg |
Zuladung: | 1.540 kg |
Höchstgeschwindigkeit: | 170 km/h |
Baujahr 1970, Umbau zum Transporter 1976 |
Historie Citroën DS/ID | |
1955: | Weltpremiere der DS auf dem Pariser Autosalon |
1957: | Die Modellreihe ID wird eingeführt |
1958: | Vorstellung der ID-Kombi |
1960: | Der neue Modelljahrgang ist an Entlüftungsgittern in den Kotflügeln erkennbar |
1961: | Das DS-Cabriolet wird vorgestellt, produziert vom Karossier Chapron |
1962: | Vorstellung des Jahrganges 1963 mit modifizierter Front |
1964: | Die Luxusversion “Pallas” wird eingeführt |
1965: | Citroën stellt neue Motoren und neue Getriebe vor |
1967: | Neue Frontgestaltung mit Doppelscheinwerfern hinter Glas. |
1968: | Neue Motoren – DS 19 wird durch den DS 20 ersetzt |
1970: | Massive Rostprobleme werden bekannt |
1971: | DS 20 Prestige und DS Cabriolet werden eingestellt |
1972: | DS 23 ersetzt DS 21. Modellpflegemaßnahmen wie versenkte Türgriffe |
1973: | Produktion wird verlegt nach Aulnay-sous-Bois, trotzdem hören die Qualitätsprobleme nicht auf |
1974: | Im August wird der DS-Nachfolger Citroën CX präsentiert |
1975: | Am 24. April läuft die letzte Citroën DS vom Band. Die DS Ambulance wird noch bis 1976 weitergebaut |
Bei dem Bild “Gewöhnungsbedürftig” habt Ihr euch vertan.
Ganz links ist die Feststellbremse – hat sich Mercedes bei der DS abgeschaut,
dann kommt die “normale” hydraulisch unterstützte Kupplung,
der Pilz ist die hydraulisch unterstützte Bremse ( Weg ca 1 cm zur Vollbremsung
und das Powermodul ( Gaspedal ) ist das stehende Pedal daneben.
Mit freundlichem Gruss
Walter Wolf
Was für ein Wagen! Toll! Dnake für den Beitrag!