Der Ferrari-Flüsterer: Andrè Herklotz und die 356 GT/4 Berlinetta Boxer

Manche mögen Andrè Herklotz einen Pedanten nennen – aber genau das ist das Rezept des Einzelgängers, um in der Ferrari-Branche als einer der besten Restaurateure geadelt zu werden. Seine Spezialität: 356 GT/4 Berlinetta Boxer

 

Bevor er einen alten Ferrari steuert, zieht er zuerst die Schuhe aus. Das macht er nur zum kleineren Teil deswegen, weil die Pedale dort eng stehen und er keine böse Überraschung erleben will. Nein, er tut es auch aus einem anderen Grund: um die Pedalgummis zu schonen. André Herklotz (47) ist zweifellos ein Perfektionist. Und damit so pedantisch im besten Sinne, dass er noch niemanden gefunden hat, der ihn beim Restaurieren alter Ferraris dauerhaft und sinnvoll unterstützen kann.

„Ich bin zuständig für die schweren Fälle“, sagt der Chef der Einmannfirma „BB Motors“ in Brinkum bei Bremen. Und damit meint er vorrangig die technisch anfälligen Zwölfzylinder-Ferrari 356 GT/4 Berlinetta Boxer aus den 1970er-Jahren, aber auch die zickigen Testarossas dieser Welt, und wenn jemand mal mit einem waidwunden Lancia Stratos oder Lamborghini Countach kommt, sagt er auch nicht „nein“. Der Kunde muss sich nur darauf gefasst machen, dass die Arbeiten dauern können. Nicht nur deswegen, weil Herklotz alle zwei Hände voll zu tun hat, sondern auch, weil er allen Grundübeln der Welt in Sachen italienische Supercars bis in die letzte Kupferfaser geht, jeden Zahn im Getriebe persönlich putzt und jeden Motor so lange feinwuchtet, bis dessen Sound wie benzingetriebenes Glockengeläut klingt. Und weil er so lange recherchiert, bis er im Schlaf weiß, wo welche Schraube mit welchem Drehmoment hingehört.

Das ist umso verwunderlicher, wenn man hört, dass der akribische Schrauber ein absoluter Selfmademann ist, der Elektroinstallateur und -monteur gelernt hat. „Ich ging früh in die Industrie“, erzählt Herklotz uns, „kam mit Computertechnik in Kontakt und habe schließlich die Werkzeuge gebaut, die Flugzeuge fertigten.“ 1991 fing er an, parallel an Autos zu schrauben. Erstes Objekt: ein Porsche 928S. Er erkannte seine Begabung, tat sich 1992 mit einem Freund aus einem Porsche-Zentrum zusammen, „und dann haben wir immer mehr gemacht. Vor allem haben wir Unfallautos wieder auf die Achsen geholfen.“ Das ging bis 1997 gut, dann verleidetem ihm diverse Zerwürfnisse den Spaß an Autos. „Ich wollte mit den Dingern nichts mehr zu tun haben“, erinnert er sich. Fast konsequent verabschiedete er sich davon. Nur einen Porsche 944 Turbo Cabrio und den ehemaligen 928 GTS von RTL-Chef Helmut Thoma behielt er.

Dann lernte er seine neue Freundin kennen – und wie das Schicksal es wollte, besaß deren Vater einen grünen Ferrari 365 GT/4 BB. Weil der Italiener ständig kaputt war, hatte der Herr Papa den Spaß daran verloren und ihn schon zehn Jahre lang weggestellt. „1999 wurde ich gebeten, doch mal nach dem Wagen zu sehen“, sagt Herklotz – es sollte eine sieben Jahre dauernde Restaurierung daraus werden. Er zerlegte das Auto restlos in alle Einzelteile – „gefühlt war ich jeden Tag, jede Stunde an dem Auto“. So lernte er das Modell in- und auswendig kenne: „Ich weiß, wo jedes kleinste Bauteil hingehört, aber den Geburtstag meiner Mutter kann ich mir nicht merken …“

„Damals erneuerten viele andere Restauratoren defekte Teile, ich wollte aber immer so viel Originalsubstanz wie möglich erhalten“, erinnert sich der Schrauber. So ersetzte er stets nur das wirklich Notwendige, und es kam ein beachtliches Ersatzteillager zusammen. 2009 erhielt das Auto einen roten Lack, weil der Besitzer das Grün nicht mehr mochte – unwissend, dass es der einzige 365 GT/$ BB war, der werksmäßig in „Verde Germoglio“ ausgeliefert wurde. Außerdem war es das letzte in Deutschland ausgelieferte Exemplar, Seriennummer 379 – insgesamt wurden nur 387 Stück gebaut. „Damals gab es nur vier dieser Autos in Deutschland: Eines stand im Museum in Sinsheim, eines besaß der Brillen-Fielmann, eines stand in Salzgitter und eines war das von mir restaurierte Exemplar.“ Im Jahr 2002 kaufte Herklotz dem inzwischen zum Schwiegervater mutierten Besitzer das gute Stück ab. Und lackiert es wieder grün. 2011 gewann das Auto beim Concours d’Elegance in Schwetzingen den ersten Preis in seiner Klasse.

So ein Referenzobjekt, so eine Leistung spricht sich natürlich schnell in der Branche herum. „Plötzlich wollten viele Leute Ferrari-Teile von mir haben oder jammerten, ihr Auto laufe nicht. So hatte ich 2009 den ersten Kunden, und es wurden immer mehr.“ Die meisten kamen mit Getriebeschäden, und Herklotz wurde zum Spezialisten. Besonders viele Getriebeschäden. So wurde mein grüner 365 zum Referenzobjekt. Und dann fing jemand an, zu baggern …“ Drei Jahre lang bearbeitete ein Ferrari-Fan den Bremer, damit er ihm Nummer 379 verkauft – 2016 knickte Herklotz ein. Zu diesem Zeitpunkt machte er auch nachträglich seinen halben Kfz-Meister – denn er darf offiziell nur an Klassikern schrauben, nicht an Neuwagen. Aber das will er auch gar nicht.

Zum Zeitpunkt unseres Besuchs hängt Herklotz gerade halbwegs in einem Lambo Countach, Jubiläumsversion „25 Jahre“, und geht der Elektrik auf den Grund. „Ich lass mich nicht hetzen“, sagt er und taucht wieder ab. So können wir die anderen Autos in der blitzsauberen Werkstatt bewundern: der Prototyp des Ferrari 412 von 1985 mit 400er-Karosserie und 412-Technik drunten von 1985, daneben ein 73er 246 GTS in der seltenen Targa-Version. „Ich mache Mechanik und Elektrik“, präzisiert Herklotz nach erneutem Auftauchen, „nur Lack- und Blecharbeiten gebe ich an gute Spezialisten weiter.“ Nebenan warten sein eigener scheckheftgepflegter Ferrari 365 GT/$ BBi aus zweiter Hand (das ist die spätere Einspitzerversion) und ein Ferrari 328 Turbo, aber zum Fahren hat er eigentlich gar keine Zeit. Was nicht ganz stimmt, denn die von ihm restaurierten Exemplare muss er ja ausführlich ausprobieren.

Wie die von ihm präferierten 365 Berlinetta Boxer. „Damit bin ich auf der Autobahn 285 km/h gefahren“, sagt er, „aber dann wird der Wagen vorne zu leicht. Das liegt daran, dass es keine Spoilerlippe gibt, die nach vorne gebogen ist. Deshalb haben viele Besitzer ihre Autos auf der Autobahn damals unfreiwillig verschrottet …“

Überhaupt, der 365 GT/4 Berlinetta Boxer, gebaut von 1973 bis 1976, zwölf Zylinder, vier Liter Hubraum, und 365 steht für die ungefähre Kubikgröße eines Topfes. Wir dürfen einen Probe fahren: Ferrari baute damals die Stahlkarosserie auf einen Gitterrohrrahmen, Hauben und Türen bestehen aus Alu, was bei den Nietstellen für reichlich Kontaktkorrosion sorgt. Korrosion findet man auch kräftig an den Falzen dank dünner Schaumstoffschichten und anlaminierten Übergängen von GFK-Bauteilen wie Spritzwand, Boden und Motorwand zur Karosserie.

Unser 1974er-Testwagen, der wegen eines maroden Getriebes sowie wegen Kupplung und Elektrik bei Herklotz war, bringt auf dem Prüfstand nachweisbar noch 356 PS. „Ab Werk hatten die Modelle – trotz der offiziellen Angabe von 380 PS – nur 360 bis 365 PS“, weiß der Fachmann. Da ist das gute Stück nach mehr als 40 Jahren ziemlich nahe dran. Und auch sonst ist fast alles original, sogar der einst mitgelieferte Werkzeugkoffer ist vollständig – alleine der wird im Internet mit rund 7.000 Euro gehandelt. Nur die Rollgurte sind nicht von damals. Und der Auspuff, bei reinen Serienmodellen auf jeder Seite dreiflutig, ist damals vom Händler mit einem insgesamt vierflutigen Sportauspuff bestückt worden.

Wir betreten das Auto mit Ehrfurcht – weil es ein so teures Stück ist und weil es in Herklotz’ Händen war. Ausnahmsweise dürfen wir die Schuhe anbehalten, was auch besser ist, denn so einen Widerstand vom Kupplungspedal ist man nicht gewohnt, fährt man nicht ständig Supersportler von damals. Wunderschön die offene Schaltkulisse mit dem sportiven ersten Gang links hinten. Nach dem Drehen des kleinen Zündschlüssels springt der Zwölfer sofort an und brabbelt einen herrlich natürlichen Sound direkt neben dem rechten Ohr. Uns läuft es wohlig den Rücken hinunter, wissen wir doch, dass das Aggregat direkt aus der Formel 1 abgeleitet wurde. Wir müssen uns nicht um den Verbrauch kümmern, können uns aber lebhaft vorstellen, warum Ferrari damals einen 120-Liter-Tank verbaute.

Die Pedale stehen wirklich eng, aber mit schmalen Sportschuhen ist das gut zu regeln. Die breiten Reifen an den Hinterrädern übertragen die Kraft sofort auf den Asphalt, und schnell sind hohe Drehzahlen erreicht. Der Motor ruft, brüllt, schreit und um eine Heizung muss man sich keine Gedanken machen: Die Reibungswärme aus dem Zwölfzylinder würde reichen, um in kürzester Zeit einen Container in eine Sauna zu verwandeln. Das kleine Lenkrad liegt wunderbar in der Hand, die Gasannahme ist besser als bei so manchem Neuwagen, nur das  Rangieren macht keinen Spaß – es geht schwer und die Übersicht ist nicht mehr zeitgemäß.

Letztlich sind alle froh, dass das schöne Pferd wieder heil im Stall ankommt. Wir haben leider gerade nicht die geforderten 479.000 Euro in der Tasche, die für dieses Exemplar aufgerufen werden.

TECHNISCHE DATEN

 Ferrari 365 GT4 Berlinetta Boxer

Baujahr: 1974
Motor: V12
Hubraum: 4.391 ccm
Leistung: 279 kW (380 PS) bei 7.200/min
Max. Drehmoment: 417 Nm bei 3.900/min
Getriebe: Fünfgang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.360/1.800/1.120 mm
Gewicht: 1.235 Kilo
Sprint 0–100 km/h: 5,5 Sek.
Top-Speed: 302 km/h
Preis/Wert: 479.000 Euro

Text/Fotos: Roland Löwisch

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