Ford RS200 1986 – Der Über-Ford

So ein Ford RS200 ist ein so seltener wie ungewöhnlicher Beau unter den Knall-Klassikern. Aber wer sich hinters Steuer des nur etwa 140 Mal gebauten Straßensportlers klemmt, ahnt, warum nicht nur diejenigen jammern, die keinen besitzen

Die Geschichte mit dem „Einfädeln“ kennen wir aus diversen Autos von Nischenherstellern: Das Entern von gewissen Lotus, Donckervoort, Caterham und Konsorten ist für Menschen ab 50 Jahre, über 1,80 Meter Größe und mit Platzangst nicht ratsam. Dass es auch einen Ford gibt, bei dem das Ein- und Aussteigen aussieht wie ein zappelnder Fisch auf dem Trockenen, wussten wir bislang nicht. Erst seit dem RS200.

Ford in Köln hat so eine Rarität in der firmeneigenen Classic-Car-Sammlung. Und wenn die Einladung kommt, das Auto mit der Fahrgestellnummer BJ2CGL00134 (was ihn als vermutlich 134. gebautes Exemplar ausweist) und Baujahr 1986 mal zu fahren, sagt man sofort ja – was soll den schon passieren: ein netter Motor, ein paar Sierra-Teile, zwei Sitze und ’ne Pflaume am Revers. Ist ja nicht mal die Gruppe-B-Version, sondern nur Straßen-Homologations-Fahrzeug.

Wir hätten uns ja auch vorher mal schlau machen können. Dann hätten wir gewusst, dass der RS200 auch als Straßenauto eigentlich ein Rennwagen ist. 230 PS bei einer Tonne Wagengewicht ist schon eine Warnung (damals waren ab Werk auch 350 PS gegen Aufpreis möglich), dazu permanenter Allradantrieb in Verbindung mit doppelten Schraubenfedern rund um, gepaart mit Einzelradaufhängung an Dreieckslenkern. Hinzu kommen vier innenbelüftete Scheibenbremsen, darüber eine leichte GfK-Karosserie von Ghia, designt von Ghia-Chefstylist Filippo Sapino. Laut Rallye-Reglement mussten einst zum Beispiel die Windschutzscheibe, das Dach und die Türen erkennbar einem Serienmodell zuzuordnen sein, in diesem Falle dem Ford Sierra. Spätere Evolutionsmodelle durften aus anderem Material bestehen – weswegen das alles bei Fords Exemplar aus Plastik besteht. Noch Fragen?

Ach ja – die nach dem Einsteigen. Nun, in diesen Ford setzt man sich nicht, man kriecht hinein. Zuerst die Beine in der erschreckend kleinen Kammer unter dem recht tief angebrachten und nicht verstellbaren oder gar abnehmbaren Sierra-Lenkrad verstauen, dann den Rest des Körpers über hohe Schweller und noch höhere Seitenteile der klassischen Schalensitze wuchten. Den Wohlstandsspeckgürtel nachträglich halbwegs erträglich im Sitz platzieren – und verschnaufen. Wir hocken in einem Gitterrohrrahmen, der mit Honeycomb-Platten verstärkt ist. Dann noch ein bisschen Kohlefaser-Aramid-Mix und viel Plastik, fertig ist der leichte Straßenrenner.

Nun also sitzt man – immerhin. Und hat ein Plastikgebirge vor sich – Lüftungsgitter aus dem Sierra, mit Behelfshalterungen auf dem Cockpit drapiert. Die nicht voll belegte Reihe mit Sierra-Schaltern ist auch kein optischer Lichtblick – aber um den geht es hier ja auch nicht. Es geht um Motorsport.

Also Füße sortieren (die Pedale stehen tatsächlich so eng beieinander wie befürchtet), sich an das kleine Lenkrad gewöhnen, das gefühlt auf dem Schoß liegt, und Motor starten. Das passiert tatsächlich ganz normal durch Drehen des Zündschlüssels, und sofort erwacht das böse Cosworth-16V-Aggregat lautstark, das quer hinter den Sitzlehnen platziert wurde. Schon im Stand wollen die Gänge mit Nachdruck sortiert werden.

Das Ausparken wird schon mal kein Glanzstück in der Karriere eines gestandenen Autofahrers. Die Sicht nach hinten ist gleich Null – eingeschränkt durch die Plastikscheibe und vor allem durch den riesigen Heckflügel. Der besitzt zwar eine Durchguckmöglichkeit, doch die dürfte vermutlich eher der Aerodynamik geschuldet sein und nicht der Straßenverkehrszulassungsordnung. Hinzu kommt, dass sich die Sierra-Zahnstangenlenkung aufgrund fehlender Servo-Unterstützung und fetter 225/50 VR16 Pirelli-Bereifung vorne massiv gegen jegliche Bewegung stemmt. Und das kleine rote Lenkrad hilft da auch nicht weiter. Drittens gaben die Autobauer dem Wagen ein Sintermetallkupplung mit – die packt extrem bissig zu, der Unterschied zwischen Kraftschluss und kein Kraftschluss beträgt auf dem Pedal nur wenige Millimeter.

Nach der ersten peinlichen Kurbelei gewöhnt man sich jedoch schnell an die Vorzüge des RS200. Der 1.8-Liter Vierzylinder turbolocht im niedrigen Drehzahlbereich erstmal ganz kräftig herum, der braucht dringend mehr. Ab etwa 4000/min jedoch bellt der halbe Formel-1-Motor einem ins Ohr, das es jetzt los geht – und ab die Post.

Der Grip ist beeindruckend, und laut Datenblatt haben wir 230 PS und 280 Nm zur Verfügung. 63 Prozent der Kraft werden auf der Hinter-, 37 Prozent auf die Vorderräder geleitet, und all das reicht auch schon ohne absichtliche Gasstöße, um die sich gerade in Köln-Niehl befindlichen Menschen aus ihrem Trott zu reißen. Bald klappt auch die Gangwahl, wobei der sportliche Kupplungs- und Getriebecharakter stets präsent ist. Bei jedem Stopp fühlen wir uns wie im Comic: Die Augenbrauen senken sich, die Hände umklammern das Lenkrad fester, wir ziehen den Dreipunktgurt nach und warten auf das Wedeln der Startflagge…

So war es zumindest bei dem Existenzgrund des Rallye Sport 200 – den Ford-Rallye-Boliden der unglaublichen Gruppe B in den 80er Jahren. Für deren Homologation sollte Ford insgesamt 200 Exemplare des RS200 auf die Räder stellen, 20 Rennwagen waren geplant. Wie viele es genau wurden, weiß auch Ford nicht hundertprozentig – der Wahrheit am nächsten kommt wohl, dass etwa 140 Stück entstanden und davon 15 bis 20 Autos für den Motorsport genutzt wurden. Montiert wurden die Autos bei Reliant in England.

Mitte der 80er Jahre rasten die ersten bei der Rallye-Weltmeisterschaft mit, und das dann gleich mit um die 500 PS. Und mit einem Antriebssystem, das dank Hebel auf Wunsch alle Kraft nur auf die Hinterräder leitete.

Traurige Berühmtheit erringt der Bolide bei der Rallye Portugal 1986. Drei RS200 waren am Start, am Steuer Kalle Grundel, Stig Blomqvist und der Portugiese Joaquim Santos. Letzterer raste in die Zuschauer – drei Tote, 33 Verletzte. Marc Surer warf seinen RS200 1986 bei der Hessen-Rallye hinaus, sein Beifahrer Michel Wyder überlebte das nicht. Da nützte auch alle Wartungsfreundlichkeit mit riesigen Hauben, der Möglichkeit, den Motor in 15 Minuten auszubauen, das Getriebe in zehn zu wechseln, und sogar Licht im Motorraum, nichts.

Auch andere Marken hatten ihre Autos überzüchtet, so dass die FIA Ende 1986 die Gruppe B verbot – und die Gruppe A aus der Taufe hob. Voraussetzung zur Teilnahme: Der Bau von 5000 Straßenautos, aus denen dann der Renntyp entstehen sollte. Einen Rallye-Ford gab es danach nicht mehr, dennoch raste der RS200 noch bei diversen anderen Rennen mit – in der letzten Ausbaustufe mit auf 2.1 Liter vergrößertem Hubraum und mit bis zu 700 PS, zum Beispiel in Rallyecross-Events

Zugegeben – das Aussteigen aus dem kleinen Power-Ford gelingt schließlich etwas eleganter als das Einsteigen, wenn auch die Betonung auf „etwas“ liegt.

Trotz aller Kritik wird er uns fehlen. Mit seinem Ladeluftkühler über unserem Kopf und diesem deutlichen, charakteristischen Pfeifen des Wastegates im Rücken und dem Bauchgefühl, dass er etwas ganz Besonderes ist.

Technische Daten Ford RS 200

Baujahr: 1986
Motor: Vierzylinder-Turbo
Hubraum: 1803 ccm
Leistung: 176 kW (230 PS) bei 6000/min
Max. Drehmoment: 280 Nm bei 4500/min
Getriebe: Fünfgang-Handschalter
Antrieb: Allrad
Länge/Breite/Höhe: 4000/1752/1325 mm
Gewicht: 1050 Kilo
Sprint 0-100 km/h: ca. 4,9 Sek.
Top-Speed: 240 km/h
Preis: 1985: 92.500 Mark
Wert: ca. 250.000 Euro

Fotos: Roland Löwisch

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