Ford Taunus 20M TS P5 Hardtop Coupé 1966

Mit dem 20M schnorchelte sich Ford in den 60er Jahren an die marktführende Position der europäischen V6-Hersteller. Elvis Presley schnulzte derweil bunte Lieder über Hawaii und war – wie die große Wanne – nicht mehr aus dem Leben wegzudenken. Kein Wunder also, dass Elvis lebt. Und der M aus Köln genauso

Der Typ ist krass. Dicke, buschige Koteletten, schwarze Haare voller Gel, und ein Tuch locker um den Hals gelegt – kurz über der Trainingsjacke, die bis zum Bauchnabel aufgeknöpft ist. Und wenn seine Stimmbänder anfangen, zu vibrieren, ist das wie Graceland zu seinen besten Zeiten: Die tiefe, soulige Stimme von Guido Regenhard bannt das Ohr schon beim normalen Wortwechsel, und die Karre hinter ihm bannt den Blick: ein Ford 20M. Patiniert und sympatisch.

Regenhard sieht momentan ebenfalls ein bisschen verlebt aus, aber genauso sympatisch. Ersteres liegt allerdings an fünf Tagen London, wo er heute Morgen noch war. Jeden Abend Gigs, jeden Abend ausgebuchte Säle. Denn Guido ist beruflich Elvis. Genauer: „Elvis Tribute Artist“. Das sind nicht diese Kasper, die sich einen Karnevalsanzug und eine große Brille aufsetzen und playback Karaoke zu den Liedern auf Kneipenbühnen singen – nein, das ist eine Lebenseinstellung, eine möglichst perfekte Umsetzung von Elvis Presleys Bühnenshows, eine Verneigung vor dem King of Rock’n Roll. Und ein Beruf.

Elvis – nein, Guido – lebt seine Autos. Den 20M hat er schon seit 2007, und der holt ihn stets zurück in seine Jugend, wo er solche Ford am laufenden Meter verheizt und getunt hatte. Damals mussten 2,3- oder 2,6-Liter-Motoren herhalten, so etwas haben heute weder der Mann selbst noch das Hardtop-Coupé von 1966 nötig. Obwohl der Wagen nicht in Show-Room-Condition ist, strahlt er eine besondere Erhabenheit aus. Rote Sitze, silberner, leicht matter Lack – und keine B-Säule. Die runde Dachform spannt sich elegant über den Rest der Karosserie mit den voll versenkbaren Fenstern. Das ist ab Werk schon so wunderschön, dass der „kleine“ 2.0-Liter-V6 völlig ausreicht.

Ludwig Erhard hatte Mitte der 1960er gerade den „Wohlstand für alle“ ausgerufen, und in Köln nahm man das sehr ernst. Pininfarina? Giugiaro? Na klar, aber wer spricht schon noch von Wes Dahlberg? Der Designer traf mit seinen Konzepten und seinen Formen den Zeitgeist. Die deutschen Autofahrer riefen nach mehr Platz und mehr Luxus. Der Radstand des auslaufenden Ford P3, der „Badewanne“, wurde um 75 Millimeter gestreckt, und der wachsende Wagen erstmals mit einer geteilten Kardanwelle versehen. In der Karnevalhochburg ging es mit der Namensgebung recht maritim zu, unter den Entwicklungscodes „Hummer“ für den neuen 20M und „Languste“ für den kleineren 17M entstanden zwei aktuelle Vertreter der „Linie der Vernunft“ mit neuen Marathon-V4-Motoren und dem Tornado-V6 – jenem unzerstörbaren Meisterstück, das fast unverändert bis in den Ford Sierra überleben sollte.

Alle wollten ihn – und alle bekamen ihn. Der Kanzler fuhr grad mit dem Mercedes-Benz 600 seinen ersten V8, und auch im gut verdienenden Volk hieß es nun „Hummer statt Hering“. Der Sechszylinder in V-Form, bis dato ein Merkmal von Oberklasselimousinen, war plötzlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen und brachte dem besser verdienenden Handwerker oder dem leitenden Angestellten mit Hang zum Understatement Fahrkomfort und Platz. Mehr Bein- und Hüftraum als in der „großen Wanne“ hatte keiner der direkten Konkurrenten, dazu gab es ab Werk eine elektrische „Vollkreis-Ventilation“ mit verstellbaren „Vario-Air Düsen“ (und Zwangsentlüftung an der C-Säule) und zu den leistungsstärksten Motoren die Dreigang-„Taunomatic“ – eigentlich nur das olle C4-Getriebe des amerikanischen Mutterkonzerns mit einem albernen Namen. Aber die Taunomatic in Verbindung mit dem V6 ließ hoch bis in den Handwerkerkombi (der bei Ford „Turnier“ hieß) reines amerikanischen Cruisinggefühl aufkommen. Von den mehr als 710.000 zwischen 1964 und 1967 gebauten Taunus P5 waren immerhin rund 192.000 Stück mit dem Sechszylinder ausgestattet. Endlich konnte man bei Ford gegen die Kapitäne von Opel und den „großen Borgward“ mit Hummer und Langusten anstinken.

Die gebürtige Heidschnucke Regenhard war längst wieder reif für so einen Alltags-Euro-Ami (immerhin wollen rund 13.000 Kilometer im Jahr zu Auftritten und Shows zurückgelegt werden). Das sollte im Gesamtbild schon ein bisschen stilvoller abgehen als in einem langweiligen Alltagsauto. Bei einem Händler in Bielefeld sah er das elegante Hardtop Coupé vor rund sieben Jahren stehen, und egal wie er sich auch beugte und wand – es sah von allen Seiten schön aus. Mit diesem Designwunder brachte Ford einen Hauch Maranello und Modena in die junge Republik. Nur Mercedes und Lancia hatten Coupés mit voll versenkbaren Seitenscheiben und Sechszylinder im Programm – die kosteten aber ein Vielfaches des Taunus, für den man mit 8.950 Mark kaum mehr als für einen Karmann Ghia hinblättern musste. Und der Osnabrücker hatte einen Käfermotor im Heck… BMW konterte im Folgejahr mit dem wunderschönen 2000 CS Coupé, das kostete aber gleich so viel wie zwei der großen Wannen ohne B-Säule. Dieser Re-Import aus zweiter Schwedenhand mit seinen roten Sitzen, dem V6 und der eleganten Dachform sollte das neue Elvis-Mobil werden.

Und das Elvis-Mobil muss laufen. Dafür sorgt Regenhard kontinuierlich. Vorder- und Hinterachse wurden neu gelagert und mit neuen Stoßdämpfern bestückt, alle Teile der Bremse, die Bremsleitungen und der Auspuff flogen raus und wurden durch Neuteile ersetzt. Die Kardanwelle dreht an neuen Lagern und der Anlasser wurde – genau wie die komplette Zündanlage – überholt. Die Karosserie zeigte sich bis auf die doppelten Bleche über den Wagenheberaufnahmen rostfrei. Das bleibt nach dem Einsatz von einigen Litern PermaFluid von Hodt vermutlich jetzt auch so. Der genügsame Motor bekam neue Flüssigkeiten und nach dem Ventileinstellen neue Deckeldichtungen – das sollte genügen. Wenn er läuft, dann läuft er. Vergaser einstellen und auslitern, und der Taunus rennt wie am ersten Tag.

Das muss er auch, denn der „Projekt 5“ ist Guido Regenhards Visitenkarte vor und nach seinen Auftritten. Genau wie der Elvis-Artist selbst zieht das Coupé Blicke auf sich und verwickelt ihn regelmäßig in Gespräche. Der Wagen gehört zu ihm, man kennt ihn live, man kennt ihn im Netz und man kennt das Auto. Der eine oder andere Auftrag wird nachweislich auch durch den Ford an Guido herangetragen. Die Menschen am Straßenrand sprechen ihn an, wenn er vor dem Saal parkt und seine Sachen ausladen will. Sie berichten verzaubert von ihren Erlebnissen mit so einem Auto, sie blättern in ihren Erinnerungen und denken an ihre Jugend zurück. Das ist Rock’n Roll.

Bevor es losgeht und er mit seiner Band und schwingenden Hüften den Saal zum Kochen bringt, streicht er manchmal über die Innenseite des Handschuhfachdeckels. Darauf hat Ed Bonja unterschrieben, der Mann, der den echten Elvis über die Jahrzehnte so wundervoll auf Fotos bannte. Daneben hat sich Regenhards Kumpel Egon Müller verewigt, dreifacher Weltmeister im Speedway-Sandbahnrennen. Mukke und Motoren, so weit das Auge im großzügigen Innenraum reicht. Hinter dem Fahrersitz liegen Regenhards Glitzerschuhe und ein paar Schallplatten. Bildchen und Anstecknadeln verwandeln den Wagen in ein kleines persönliches Graceland. Und alles, ohne dass er dabei abhebt.

Auch der „Tornado“-V6 reißt wahrhaftig keine Rille in den Teer, aber das tat er schon damals nicht. Dafür klingt er gut und gesund und läuft seidenweich. Kaum zu glauben, dass die große Wanne stramm auf ihr 50. Lebensjahr zufährt. In den roten Sitzen lässt es sich ganz hervorragend lungern und chillen, und genau das braucht Regenhard, wenn er von einem lauten und fetzigen Auftritt nachts zurück nach Hause, nach Bremen, fährt. Wenn dann aus dem alten Radio auch noch ein Oldie tönt, ist die Welt in Ordnung. Wie damals.

Ford Taunus 20M TS P5 2-door Hardtop Coupé
Baujahr: 1966
Motor: V6
Hubraum: 1.998 ccm
Leistung:  66 kW (90 PS)
Max. Drehmoment: 156 Nm
Getriebe:  Viergang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.635/1.715/1.445mm
Leergewicht:  1.055 Kilo
Beschleunigung 0-100 km/h: 13,6 Sek.
Top Speed:  170 km/h
Wert: ca. 15.000 Euro

Text und Fotos: Jens Tanz