Leserauto: Ford Thunderbird 1972 – Winter hat ’nen Vogel

Ford baute viele Generationen von Donnervögeln mit schillernden Bezeichnungen – einer verirrte sich unter falschem Namen in eine Kleinanzeige: TRÄUME WAGEN-Leser Günter Winter verfiel einem 72er Thunderbird, begann ihn wegen seiner Unzuverlässigkeit zu hassen und verliebte sich erneut. Eine Geschichte über einen merkwürdigen Vogel

Wie stellt man sich den Besitzer und Fahrer eines grünen 72er Thunderbird vor? Eher nicht mit fein getrimmten Brausebart bis über die Brustwarzen, der bestens zu den Jungs von ZZ Top passen würde. Dabei ist Günter Winter aus Rosengarten kein Rocker, nicht mal Musiker. Der 48jährige arbeitet selbständig für eine Versicherung. Der Mann nimmt die Sonnenbrille ab, lächelt gewinnbringend und bittet ohne viel Gewese zu einer flotten Fahrt in seinem feschen Ford.

Aber – ist das wirklich ein Thunderbird? Nicht nur die Farbkombination grün/grün (die heute sogar einem passionierten Jäger eine Gänsehaut in den Nacken zaubern würde) verwundern, sondern fünfeinhalb Meter massiver, kantiger Stahl, ein Dashboard wie die Spielautomatenwand im Casino und gestepptes Leder mit Holzfurnier. So etwas kennen und lieben wir eher in einem dicken Mercury oder einem LTD Crown Victoria. Wie konnte das passieren? Wir müssen ein wenig ornithologisch werden.

Der ab 1955 nur drei Jahre gebaute ikonische Thunderbird (Marilyn Monroe und so, Sie wissen schon…) wird als Classic Bird bezeichnet und trat mit nur zwei Sitzen und V8-Motor den Kampf gegen die damals sehr erfolgreichen europäischen Sportwagen an. Tirili ♫. Die von 1958 bis 1960 gebauten Square Birds waren 40 Zentimeter länger, 500 Kilo schwerer und definierten die neue Generation „Personal Luxury Car“. Was vorher filigran war, kam nun kommod ’rüber und wurde auf Wunsch von Lincolns Siebenliter-Triebwerken geschoben. Tschiep ♫.

In der Vogelkunde folgten zwischen 1961 und 1963 die nach ihrer Form benannten Bullet Birds. Sie waren länger, breiter und (na, raten Sie mal) schwerer als die Vorgänger und verließen ausschließlich mit den Zeptern der Fettleibigkeit die Fließbänder: Automatik, Servolenkung, Bremskraftverstärker. Immer noch sexy und dank 400 SAE-PS immer noch sehr agil. Zwietzwiet ♫. Mit einer kantigeren Linie und schickem Chromzierrat flatterten von 1964 bis 1966 die Flair Birds durch die Lande und erinnerten an den ersten Mustang. Sie waren die letzte Generation vor der Muscle-Car-Ära und hätten von ihren Wurzeln her da gut reingepasst, aber diesen Job übernahm der Mustang. Flöt ♫.

Stattdessen pflanzte man in Detroit die Thunderbird-Generation von 1967-1971 auf die Basis des Lincoln Continental Mark III, spendierte dem Viertürer die gleichen Suicide-Doors wie dem Flaggschiff, ließ das Ergebnis ein bisschen nach dem Cougar aussehen und riss mit diesen Glamour Birds an der Tür in die 70er. Optional mit elektronischem ABS für die Hinterachse! Quietsch ♫.

Und dann kamen sie, die Big Birds. Von 1972-1976 bewohnten sie mit großem Herz und dickem Hintern die Penthouse-Etage des Vogelkäfigs und stellten mit einem Gewicht von 2,2 Tonnen, einer Länge von 5,7 Metern und dem Benzinverbrauch eines russischen Kampfpanzers alles bisher unter dem Namen „Thunderbird“ Dagewesene buchstäblich in den Schatten. Und sie führten die Grundidee, den Angriff auf europäische Sportwagen, ad absurdum. Trööt trööt ♫.

Was Ford anschließend noch so auf die Straßen vögelte wurde wieder kleiner. Die Torino Birds sahen Ende der 70er endlich nicht nur aus wie ein LTD (oder Torino), sondern teilten sich mit ihm auch die Plattform und hatten einen Zwillingsbruder bei Mercury. Zwitscher ♫. Mit den Box Birds startete man in die 80er, schrumpfte die Kisten auf gut fünf Meter herunter und bot zeitgenössisch sogar einen Reihensechser mit 89 PS an. Piep ♫. Wer einen Aero Bird sieht, denkt an Ford Escort und erinnert sich daran, dass in den 80ern noch viele andere Sachen schief gelaufen sind.

Aber hey, der Thunderbird wurde wieder kleiner und magerte vom Luxuscoupé ab zum luxuriösen Sportcoupé. Tirallalla ♫. Ende der 80er startete der Super Bird in ein neues Jahrzehnt, hatte den 6er-BMW als Vorbild und sah ansonsten aus wie ein Japaner. 1997 merkte das auch Ford und gönnte dem Thunderbird eine kleine Auszeit. Fiep ♫. Von 2002 startete ein Retro Bird in Anlehnung an das allererste Coupé in den Automobilhimmel über Amerika, erwies sich aber leider nicht als der erhoffte Phoenix aus der Asche und verkaufte sich schlechter als Schwimmflügel im Zoo. 2005 stellte Ford das ursprüngliche Erfolgsmodell nach mehr als drei Millionen produzierten Fahrzeugen endgültig und ersatzlos ein.

Günter Winter hat also nicht nur einen Vogel, sondern auch noch den größten. Und wenn man ob des Namens kein zweisitziges Sportcoupé erwartet, umgarnt einen dieser Thunderbird mit allem, was einen Ami aus den 70ern so geil macht. Winter fuhr in den 90ern C- und D-Kadett und einen Audi 80. Und mochte die Formen der 70er. Nach einigen Signalen des Lebens, die ganz klar in Richtung „einfach machen und nicht nur schnacken“ gingen, machte er sich 2012 auf die Suche nach einem Ford Taunus Coupé.

Warum dieser grüne Big Bird dabei in den Suchergebnissen auftauchte, versteht er bis heute nicht, aber der Mann mit dem langen Bart war hin und weg. Und saß nach einem kurzen Telefonat mit dem Vorbesitzer in einem Flieger nach München. Ein Traum in grün, eine vollständige Historie mit allen Verträgen und Belegen – der Vorbesitzer hatte eine Menge Geld für den Erhalt des Fahrzeugs ausgegeben. Die hinteren Gurte waren noch original eingeschweißt und unbenutzt.

Die Heimreise nach Rosengarten bei Hamburg verlief zwar auf eigener Achse, daheim ging dann aber nichts mehr. Der Kühler kochte, die Benzinleitungen waren dicht, der Vergaser zickte. Laut Händlerempfehlung wurde ein paar Tage später ein neuer 750 Edelbrock verbaut, und seit dem ging noch weniger als nichts. Der Ford soff in Kurven oder bei etwas zu viel Gas einfach ab. Der Höhepunkt im Jahr 2013 war die Fahrt nach Pullmann City im Harz, mehrere Havarien in den Staus auf der Autobahn, ein kochender Kühler, die Angst vor defekten Kopfdichtungen und eine Kompression von nur noch fünf bis sieben bar. Winter hatte die Schnauze voll. Und er ließ den Vogel zwei Jahre lang stehen.

Über einen Bekannten tauchte Winter dann trotzdem tiefer in die US-Car-Szene ein und knüpfte endlich die Kontakte, die ihm weiterhalfen. Henk Van Tychelän machte ihn auf den falschen Vergaser aufmerksam, der zu allem Übel auch noch mit falschen Düsen bestückt war. Ein neuer 600er Edel behob diesen Mangel. Torben Milbrath (Schrauber mit Erfahrung) bot an, den Motor einmal komplett zu checken. Die alten Kopfdichtungen waren noch die ersten, die Köpfe wurden aber noch nie geplant und waren aalglatt. Dafür waren die Schaftdichtungen eher steinharte Ringe als geschmeidige Hülsen. Die Jungs schliffen die Ventile ein, säuberten die Ansaugbrücke und tauschten die Schläuche. Danach: Satte zehn bar Druck auf allen Kesseln, ein sauberer Rundlauf und ein Spritverbrauch von nur noch 17 statt 33 Litern.

Und der Bartträger ist gut gelaunt. Inzwischen kennt und liebt man Günter Winter, seinen Bart und seinen T-Bird im Netz und in der Szene. Ab und zu tauchen die beiden sogar als Bartmodel mit cooler Karre bei einer Kosmetikfirma auf. „Versicherungsvertreter Mr. Frost“ will sich auch inzwischen nicht mehr von seinem Wagen trennen. Und das kann man gut verstehen: Der Big Bird, der aussieht wie ein Frosch, schnurrt über die Landstraßen rund um Hamburg, als hätte es niemals eine Zeit gegeben, in der sein Besitzer ihn fast frustriert verschrottet hätte. Piep Piep ♫.

Ohne Hetze und sehr bequem bettet das Schiff seine Passagiere auf dem echten Leder und umschmeichelt sie mit diesem wundervollen Plastik, dem Holzfurnier und den verchromten kleinen Hebelchen, wie sie nur in den 70ern zu finden waren. Opas Wohnzimmer mit einem 7,5-Liter-Achtzylinder – wer nicht gerade kurvenräubern will, ist mit diesem Thunderbird angekommen.

Auch wenn er als Big Bird mehr Donner als Vogel ist.

Ford Thunderbird
Baujahr: 1972
Motor: V8
Hubraum:  7.538 ccm (460cui)
Leistung: 165 kW (225 PS) bei 4400/min
Max. Drehmoment: 285 Nm bei 2800/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5500/1980/1400 mm
Leergewicht:  2180 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 11 s
Top-Speed: ca. 185 km/h
Wert: ca. 15.000 Euro



Text und Fotos: Jens Tanz