Ford Torino GT 1971 – Italiens Detroit

Lange Nase, kurzer Hintern. Coke Bottle-Design, fette Motoren und ein Name, der filigraner ist als die anderen. Weil er nach Südeuropa klingt. Der Ford Torino war für André Engbrocks jahrelang nur ein Traum. Ein Traum, den er sich erfüllte, als ihm das Schicksal eine klare Botschaft formulierte: Freundchen, dein Leben ist irgendwann zu Ende. Dig it. Also nimm die acht Zylinder jetzt!! und genieße jeden Tag…

Er klingt ein bisschen nervös, der Cleveland V8, der den Namen der Motorenfabrik in Brookpark, Ohio trägt. Er ist komplett revidiert, hat eine scharfe CompCam Nockenwelle und eine höhere Verdichtung spendiert bekommen. Und er will jetzt mal los. Ganz dringend. Zumindest artikuliert er sich akustisch so, und wenn man die flache Hand auf die lange Motorhaube legt kann man es sogar spüren. Das Auto zittert vor Kraft.

Sein Beherrscher hinter dem Steuer dagegen ist gelassen. André Engbrocks ist Havarie-Kommissar in Köln, den bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Der Achtzylinder und er kennen sich gut, die letzten drei Jahre hatten sie viele Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch. Los jetzt. Die lange Tür fällt ins Schloss, das klingt nicht ganz so satt wie bei einer S-Klasse. Und die Zuziehhilfe ist nicht elektrisch, sondern zweibeinig. Alles ganz geil, genau so soll das.

Licht an. Was vorn an der Nase eben noch wie ein schlichter, gecleanter Grill aussah dreht sich jetzt, und zwei Doppelscheinwerfer kommen zum Vorschein. Hideaway Lampen waren extrem angesagt in den 70ern und meistens der bösen Oberklasse vorbehalten, beim Torino gab es sie als Extra. Amerikaner lieben Options, die Listen an zusätzlichen Spielereien wurden in den 70ern dicker als das Telefonbuch einer Kleinstadt. Engbrocks haut die Fahrstufe rein, drückt drauf – endlich kann der Cleveland tief durchatmen und verdauen, was Jahrmillionen unter der Erde gelagert und nun zu wundervollem Benzin verarbeitet wurde. Der drückt. Oooooooh wie der drückt. Die knapp sechs Liter Hubraum reißen mit ihren knapp 500 Newtonmetern an der gesperrten Hinterachse und treiben den fantastischen Kraftwagen über das alte Fabrikgelände.

Nicht schlecht, was in Detroit so auf die Räder gestellt wurde. Die Torinos waren Anfang der 60er nur eine gehobene Variante des Fairlane, der das Mittelklassesegment von Ford bediente. Ab 1968 trennte man die Modelle, der Torino war quasi über dem Fairlane angesiedelt und hatte mehr Zierleisten, wurde aber nach wie vor als eine Unterkategorie zum Hauptmodell gelistet. Seine Verkaufszahlen entwickelten sich allerdings unerwartet erfolgreich, ob das jetzt am Namen lag sei mal dahingestellt. Torino war eine Hommage an italiens Autostadt Turin (das „italienische Detroit“), wo so bekannte Marken wie Moretti, Lancia, Abarth, FIAT und Bertone ihr Zuhause hatten. Schon 1970 drehten die Amis deshalb in althergebrachter Verwirrung den Spieß um, der Fairlane wurde ein Untermodell des Torino und flog 1971 ganz aus dem Programm. Übrig blieb ein fettes, komplett neu designtes Mittelklassemodell. Während die Flossenschiffe der 50er noch vom aufkommenden Jetzeitalter inspiriert waren schielte Designer Bill Shenk beim Torino auf die ganz neuen und total hippen Überschallflugzeuge. Supersonic. Die waren bauartbedingt vorn dick, in der Taille schlank und hinten wieder etwas breiter. Diese Grundform verpasste er dem Torino und reihte ihn damit in die Coke Bottle Generation ein.

Um die dann folgende Modellpolitik zu verstehen ist ein mathematischer Abschluss in Potenztheorie wohl hilfreich: 1971 gab es den Torino als zweitüriges Coupé, Limousine und Kombi. Der Torino 500 kam als Coupé, Fastback (Fließheck), Limousine, Hardtop (also Limousine ohne B-Säule) und Kombi. Wer Autos baute und was auf sich hielt hatte in den 70ern auch die klassische Plüschausstattung im Portfolio, den Torino Brougham konnte man als Coupé, Hardtop und Kombi kaufen. Fertig? Nein. Den Torino GT bestellte man entweder als Fastback oder gar als Cabrio, den Torino Cobra ausschließlich als Fastback. Macht zusammen 14. Ab 1972 bekam der Wagen die charakteristische Kussmund-Nase mit dem schmalen Grill (hat jemand Eastwood in „Gran Torino“ gesehen? Genau den), ab 1973 wurde er schlichter und 1976 verschwand er aus dem Programm. Seine Plattform durfte noch im LDT, Thunderbird und Mercury Cougar weiterleben.

André Engbrocks wuchs als Sohn eines autoaffinen Truckers im kultigen Renault 19 auf, erlebte seine eigene Sturm- und Drangzeit im E-Kadett Cabrio und wagte sich auch an einen Mustang GT der fünften Generation. Irgendwas war hängen geblieben von Papas Leidenschaft und den legendären Quartettspielen damals auf dem Schulhof. 2009 musste sich der 49jährige Kölner einer schweren Herzoperation unterziehen, die sein weiteres Leben nachhaltig veränderte. Er warf eine Teil seiner Vernunft (und den Golf V) über Bord und begann, nach einem klassischen Muscle Car zu suchen. Bei der CCR in Minden sah er ihn dann stehen. Einen dunkelgrünen GT Fastback aus der Mitte der acht Jahre Bauzeit. Das sexy Teil von 1971 wurde bereits gesandstrahlt und neu aufgebaut, was sollte also dem Ausleben eines langen Traums im Weg stehen? Nichts.

Im November 2013 fuhr er völlig aufgewühlt und mit mehr Pinkelpausen als üblich die 150 Kilometer nach Minden und kaufte den Wagen. Der Rückweg auf eigener Achse war für ihn eine Art spirituelle Selbsterfahrung, so auch der erste Tankstopp, als 26 Liter nachgekippt werden mussten. Die erste Aktion war also der Tausch des Edelbrock Vergasers gegen einen kleineren, der zu Engbrocks Cruising Stil passte und nicht ganz so versoffen war. Der wurde dann gleich sauber auf die scharfe Nockenwelle eingestellt, ansonsten waren bisher lediglich eine neue Thermostatgehäusedichtung und neue Bremsen nötig. Ford eben.

Und er ist immer ein bisschen anders als die anderen, der hemdsärmelige Kraftklotz aus Detroit. Allein die Klappscheinwerfer, die heute in Gold aufgewogen werden, sorgen bei jedem Stopp für Gesprächsstoff unter den Passanten. „Können Sie bitte mal kurz das Licht anmachen?“ Die GT Hutze auf der Haube sieht gut aus, ist aber nur Zierat und saugt nix an. Um den Motor und Engbrocks herum ist alles gemütlich grün. Vor 45 Jahren hat jemand in den USA diese Farbe innen und außen für den Ford Torino GT geordert, zu der Zeit ging das noch einfach so, da hat niemand tränende Augen bekommen. Das übersichtliche Cockpit hinter dem hauchdünnen Lenkrad ist quasi reduced to the max. Ein unsportlicher Breitbandtacho, darunter ein futuristischer Drehzahlmesser in Walzenoptik, fast wie bei einem Citroën. Zeiger für Tankinhalt und Motortemperatur – das war’s auch schon. Klimaanlage und Philco Radio runden das Cockpit ab, aber wer will bei diesem Motorenklang denn Radio hören? Niemand.

Engbrocks liebt es, mit seinem Torino durch das Land zu cruisen. Nicht im Grenzbereich, der fängt schon recht früh an, Sportwagen geht anders. Den Spruch „Lebe jeden Tag, als könnte es der letzte sein“ mag er nicht, der hat etwas fatalistisches und ungestümes an sich. Nein, er genießt das Leben und den GT, gemeinsam mit seiner Partnerin Sigrid, die voll hinter seinem Traum steht und ihn unterstützt wo immer es geht. In der Ruhe liegt die Kraft, das symbolisieren auch der Wackeldackel und die lila umhäkelte Klorolle auf der Hutablage.

Ein paar Dinge hat er noch auf seiner Liste, die er gern abhaken möchte. Wie viel Zeit ihm dafür bleibt weiß niemand, und wenn es noch 40 Jahre sein sollen – dann muss er sich eben eines Tages mal ein paar Ersatzteile für das jetzt schon 45 Jahre alte Auto beiseite legen.

Aber irgendwas ist ja immer.























Ford Torino GT Fastback

Baujahr: 1971
Motor: V8 Cleveland 2V
Hubraum: 5.766 ccm (351cui)
Leistung: 180 KW (260 PS) bei 4.600 1/s
Max. Drehmoment: 481 Nm bei 2.600 1/s
Getriebe: Dreigang Automatik
Antrieb: Hinterrad
Länge/Breite/Höhe: 5240/1940/1360 mm
Leergewicht: 1.630kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 10s
Top Speed: 190 km/h
Wert: ca 27.000 Euro (Classic Data Gutachten Note 2)

Text: Jens Tanz
Fotos: Pixel Café Cologne