Der Freizeit-Renner: Jaguar XJ220 1991

Vor einem Vierteljahrhundert kam mit dem Jaguar XJ220 das seinerzeit schnellste Serien-Supercar auf die Straße – es war vom Feierabend-Club ersonnen worden. Auch wenn letztlich nicht der ursprünglich geplante V12 drunter steckt, fasziniert es noch heute

 

Jim Randle muss ein Mann mit einer Menge Überredungskraft gewesen sein. Obwohl – der Chefkonstrukteur war wohl nicht der einzige, für den Jaguar mehr als nur ein Arbeitgeber war. So rief er den „Saturday Car Club“ ins Leben – ein Arbeitskreis von Workaholics, die sich nicht damit abfinden wollten, dass die Firma von Sir William Lyons kein Supercar im Portfolio hatte. Und deshalb genau so ein Auto freiwillig, unentgeltlich und in der Freizeit auf die Räder zu stellen vorhatten.

Im Gegensatz zu diversen anderen Clubtreffen sonnabends abends verliefen die Zusammenkünfte der Briten äußerst diszipliniert. Sie schafften es tatsächlich, auch dank des Designs des Südafrikaners Keith Helfet, einen so rassigen wie racigen Supersportler auf die Räder zu stellen. Der Name: XJ220 – wobei die 220 für die erhoffte Höchstgeschwindigkeit von 220 Meilen pro Stunde (350 km/h) stand. Allerdings ist die Geschichte des XJ220 – nun ja – letztlich „durchwachsen“. Denn das Supercar kam nicht so, wie eigentlich geplant, hatte nicht den Erfolg, der ihm gebührte und erwarb im Motorsport Meriten, die ihm aberkannt wurden. Manche Autos haben eben einfach Pech im Leben.

Dabei fing alles so gut an. Was der Samstag-Abend-Club letztlich ihrem für gesellige Gemeinschaftsaktionen der Belegschaft offenen Chef John Egan präsentierte, hatte das Zeug, der arrivierten Konkurrenz wie Porsche 959, Lamborghini Diablo oder Ferrari F40 die Performance zu reichen. Die Clubmitglieder hatten dem mit 5,14 Meter imposant langen Sportwagen einen 6.2-Liter-V12-Sauger als Mittemotor unter die Haube gesteckt, der für 580 PS und 550 Newtonmeter sorgte. Das sollte erstmal für 330 km/h reichen, und damit die Reifen die Power aushalten, steckte ein Allradsystem unter der Alu-Karosserie, das 31 Prozent der Kraft nach vorne und 69 Prozent nach hinten leitete. Das alles sorgte für ein Gewicht von 1550 Kilo. Die Türen öffneten nach oben, und innen passten drei Menschen hinein – zwei Passagiere saßen links neben dem Fahrer.

Egan war begeistert und ordnete die Fertigstellung bis zur Birmingham-Motor-Show 1988 an. Am Vorabend der Messe um 23 Uhr war das Auto fertig, wenn auch nicht fahrbereit. Es sollte zunächst nur beweisen, zu was Jaguar fähig war. Kaufanträge wurden nicht angenommen. Die Nachfrage allerdings war groß.

So beschloss Egan die Serienproduktion und übergab das Showcar seinem Sport-Spezialisten Tim Walkingshaw. Der erkannte allerdings schnell: So wie dargeboten war der XJ220 zu groß, zu schwer und zu kompliziert. So besaß das V12-Modell zum Beispiel gar keinen Tank – aus Platzgründen. Walkingshaw begann also mit Downsizing. Karosserie: minus 25 Zentimeter. Motor: minus sechs Zylinder, dafür zwei Turbolader rein. Antrieb: Kraftfluss nach vorne weg. Innenraum: ein Sitz raus. Türen: konventionell. Nur beim Tank entschied er anders: Statt nix spendierte er einen Renn-Gummitank (der allerdings zwingt heutige XJ220-Besitzer, ihn alle fünf Jahre auf seine Sicherheit überprüfen zu lassen, was bedingt, den Motor auszubauen…).

Fahrwerk und Fahrverhalten wurden auf der Nordschleife entwickelt. Dazu mieteten die Briten (die damals noch kein Testcenter dort betrieben) eine Scheune und jagten zehn Pre-Production-Cars mit AP-Rennbremsen um den Ring. Da aber schon damals die Jaguar-Kunden auf Komfort standen, bekamen die Autos eine Volllederausstattung, ein Glasdach, wegen der großen Glasflächen eine Klimaanlage, zusätzlich ein hochwertiges Soundsystem. Es gab keine Optionen, die Kunden konnten nur die Farbe wählen. Eine spezielle Besonderheit waren vier Instrumente in der Fahrertür: Für Batteriespannung, Uhr, Ladedruck und Getriebeöl-Temperatur gab es schlicht keinen Platz mehr auf dem Armaturenbrett.

Die Serienversion enthüllte keine Geringere als Prinzessin Diana höchstselbst am 1. Oktober 1991 im extra für die XJ220 gebauten neuen Werk Bloxham. Den ersten öffentlichen Auftritt hatte das Supercar auf der Tokio Motor Show am 23. Oktober. Rennfahrer Andy Wallace (heute Werksfahrer für Jaguar Classic) fuhr noch im selben Jahr in Texas 341,6 km/h mit dem Power-Beau, Martin Brundle schraubte die Top-Speed in Nardo auf 349,4 km/h. Damit war der XJ220 das schnellste Serienfahrzeug der Welt.

Der Plan war, 350 Stück zu bauen. Ein Exemplar kostete in England 413.000 Pfund, in Deutschland rund eine Million Mark. Wer eines haben wollte, musste 50.000 Pfund anzahlen. Was auch klappte –aber einige, die den Jag als reines Spekulationsobjekt haben wollten, bekamen zu Zeiten der „Pfundkrise“ im Jahr 1992 weiche Knie. Rund 80 Interessenten zogen daraufhin ihren Kaufantrag zurück. Letztlich wurden außer den zehn Prototypen bis zum Produktionsende im Dezember 1993 zwischen 278 und 281 Stück gebaut – da sind sich der Jaguar Daimler Heritage Trust und Jaguar nicht ganz einig. Immerhin hatten sich sogar der Sultan von Brunei und Popper Elton John für ein Exemplar entschieden.

Noch im Jahr seines Ablebens wurden übrigens von Walkinshaw drei XJ220 als „C“-Version („Competition“) für die 24 Stunden von Le Mans aufgebaut. Reglementsbedingt leisteten die Wagen 550 PS, die Karosserien bestanden aber nicht aus Aluminium, sondern aus Carbon-Verbundmaterial. John Nielsen, David Brabham und David Coulthard rasten mit einem der aerodynamisch stark verbesserten Autos tatsächlich auf Platz 1 in der GT-Klasse. Der Veranstalter disqualifizierte die XJ220 allerdings, weil sie nicht mit Katalysator fuhren (was schon vor dem Start bekannt war). Laut Jaguar konnte man die Regeln so oder so auslegen – zumindest ist man noch heute im Besitz des Pokals…

Laut Tony Marrygold vom Jaguar Daimler Heritage Trust haben tatsächlich alle Straßenautos die Jahre überstanden. Und wir dürfen ausgerechnet im Prototyp Nummer acht die Dynamik erleben, die so ein XJ220 entfachen kann. Allerdings nur auf dem Beifahrersitz: Nummer 8 ist british besonders wertvoll, weil es jenes Auto ist, das Prinzessin Diana in Bloxham enthüllte, also sozusagen „royal geadelt“. Unser Fahrer ist dafür kein Geringerer als Phil Talbois (38), der Chef des JLR-Testcenters am Nürburgring.

Dass der XJ220 dann doch letztlich ein Kompromiss ist, merkt man hauptsächlich beim Einsteigen und Hinsetzen. Die konventionellen Türen gehen nur so weit auf, wie man sie in einer zu engen Parklücke öffnen könnte, was das Ein- (und Aus-)steigen problematisch macht. Hat man sich auf dem bequemen Gestühl niedergelassen, erstaunt der großzügige Platz links und rechts der jeweiligen Sitze. Ach ja: Hier sollten ursprünglich mal drei Sitzmöglichkeiten zur Verfügung stehen. So kann man sich als Beifahrer (im Rechtslenker) in einer Linkskurve zwar mit dem Bein am Mitteltunnel abstützen, bei Rechtskurven allerdings mit dem linken Bein nirgendwo – was auf Dauer anstrengend werden kann.

Denn die Beschleunigung und die Kurvenfahrten (dank neu aufgelegter XJ220-Reifen von Pirelli, der Satz zu 5000 Pfund) scheinen modernen starken Autos in Nichts nachzustehen. Die Turbos setzten früh ein und schieben kräftig, die AP-Bremsen verzögern zuverlässig. Ein paar Runden auf dem Flugplatz Mendig können aber auch nur ansatzweise das Potenzial dieses Supercars zeigen.

Hat das ehemalige Diana-Testauto schon viele Meilen auf der Uhr, verweist die Anzeige im V12-Urmeter auf gerade mal sieben gelaufene Meilen. Auch ‚ne Leistung, denn die müssen ja geschoben worden sein…

TECHNISCHE DATEN

JAGUAR XJ220

Baujahr: 1991
Motor: V6 Biturbo
Hubraum: 3.498 ccm
Leistung: 386 kW (542 PS) bei 6.500/min
Max. Drehmoment: 642 Nm bei 5.000/min
Getriebe: Fünfgang-Handschalter
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.860/1.980/1.150 mm
Gewicht: 1.350 Kilo
Sprint 0-100 km/h: ca. 4,0 Sek.
Top-Speed: 349 km/h
Wert: ca. 450.000 Euro

Text: Roland Löwisch, Fotos: Gudrun Muschalla/Jaguar, Löwisch

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