Glam Rock: Cadillac Series 62 von 1950

„Hola, hombre! Nimm dir mal lieber ein Bocadillo mit, wenn du dir das Auto anschaust!“ Andreas´ süffisanter Unterton hätte mich schon stutzig machen sollen, aber als ich vor dem Caddy stehe, weiß ich, was er gemeint hat: Das ist nicht der weiße, das ist der blaue Riese, gigantische 5,70 Meter lang – nochmal zum Mitsprechen: fünftausendsiebenhundert Millimeter – und über zwei Meter breit. Aber nicht hoch. Es ist nämlich ein Cabrio, was zumindest das Problem der Dachpolitur löst.

Cadillac. Der Name reicht, um wohlige Schauer auszulösen, die goldenen 50er wiederaufleben zu lassen, in denen Autos nach Charakter, Image und Wucht klassifiziert wurden und Verbrauch, geschweige denn Emissionswerte kein Schwein interessierten.  Cadillac. Das steht für eine ganze Design-Ära, für ein Lebensgefühl, für den Glauben an Fortschritt, Wohlstand und das Vertrauen in Zukunft und Nation.

Cadillac, das bedeutete technische Innovationen, Luxus und Styling. Was haben die nicht alles erfunden: elektrischer Anlasser (1912), V16-Motor (1930), Vollautomatik (1940), Luftfederung (1951). Und natürlich auch die Heckflossen (1948), die mit ihren himmelwärts strebenden Kotflügelenden von Harley Earl, dem Chefdesigner von GM, das gewohnte Design ad absurdum führte. Es ging nach oben, Grenzen setzt nur der Himmel. 

1940 löste Cadillac die Einsteigerreihe „Series 61“ durch die „Series 62“ ab und setzte um die 50er mit einer neuer Maschine Standards: Der kurzhubige, hochverdichtende V8 mit hängenden Ventilen und 5,4 Litern Hubraum, der in den Cadillac-Modellen von 1949 debütiert und 91 Kilo leichter war als sein Vorgänger, war neuer State-of-the-art. Der Sixty-Two machte 1951 den Grossteil der Verkaufszahlen aus und wurde als viertürige Limousine, als Coupé mit Mittelholmen, als holmloses Coupé de Ville und als Cabriolet angeboten, alle mit einem Achsstand von gewaltigen 3,20 Metern.  

Eins der 6.986 Cabrios thront jetzt vor mir. Wie ein gestrandeter Wal der Sonne Spaniens ausgesetzt, unglaublich massig, unglaublich selbstbewusst zieht der blaue Riese alle Blicke auf sich. Distinguierte Silver Agers, pauschalreisende Touris, hippe Youngster – keiner kommt vorbei an diesem Statement-Caddy: Der Series 62, Baujahr 1950, toppt so ziemlich alle Klischees der fetten Straßenkreuzer, mehr Pomp und Putz, Schnörkel und Wucht geht nicht. Man muss sich das mal vorstellen: Als in Deutschland eine Isetta für hart erarbeitete Mobilität stand, ein Käfer 4.600 Mark und der 300er Kanzler-Benz 27.000 Mark kosteten, stand der billigste Cadillac Sixty-Two bei uns für 32.700 Mark in der Liste. Aber sein unbescheidenes Auftreten war nicht nur Show, mit souveräner Performance machte er wunschlos glücklich.

„Der posiert nicht nur, er kann auch was“, gibt mir Andreas mit auf den Weg – und er liegt goldrichtig. Du sitzt nicht, du residierst. Luxus, Lack und Leder geben dir das Gefühl der Macht, das Raumgefühl ist einfach nur bombastisch und lässt den Alltag kurz mal entschwinden. Beim Dreh am Schlüssel passiert allerdings nichts. Keine Lust? „Nee, der läuft schon, den hörste bloß nicht“, grinst Andreas. OK, Lautlosigkeit ist also keine Erfindung der E-Mobilität, das konnten die Amis schon vor 70 Jahren. Aber dann! Ein sachter Schubs aufs Gas und der Dino setzt sich in Bewegung. Aus Stille wird souveränes Säuseln, der Fünfeinhalbliter-V8 hält, was er verspricht und befördert dich standesgemäß aus dem Stand in den 7. Himmel. Hallelujah, das rockt! Obwohl das Prunkschiff 2,3 Tonnen wiegt, kommst du mit 160 PS überraschend flott in Fahrt. Mit dem großen Lenkrad vor dem Bauch gibst du zwar eher unverbindliche Richtungsempfehlungen ab, dafür atmet es den Spirit der 50s und gewährt den unverstellten Blick auf die reich verchromten Armaturen. Das Fahrwerk korrespondiert nicht so ganz mit den Küstenstraßen Malagas, es schluckt zwar alles weg, schaukelt dich aber mehr sanft als kontrollierbar durch Kurven. So what. Der Caddy ist gebaut für souveränes Dahingleiten auf endlos langen und geraden Highways, für schnelle Kurven gibt’s andere Autos. Der Federungskomfort ist ohne Tadel, jedenfalls, wenn du auf Straßenkreuzer gepolt bist. Die sanft wiegende Gangart, die selbst grobe Schlaglöcher kaum zur Kenntnis nimmt, ergibt sich nun mal aus der Größe und dem Gewicht. Watteweich und soft hält der Bulle den schnöden Alltag draußen und macht klar: Du sitzt in einem Dream Car, nicht in einem Daily Driver.

Wenn du das verinnerlicht hast, klappt´s auch mit dem Caddy. Dann genießt du diesen wunderbar schwülstigen Vertreter der frühen Fünfziger und des üppigen Barocks: Vorn ein imposanter Kühlergrill, der gleißend in der Sonne funkelt, die Flanken lasziv  geschwungen und am Heck zwei Flossen, die zwar noch nicht die Ausmaße des Elvis-Caddys erreichen, aber deutliche Akzente setzen. Ein Straßenkreuzer, wie man ihn nur noch aus alten Filmen kennt. Ein Schlachtschiff, neben dem selbst zeitgenössische Oberklasselimos wie ein Spielzeugauto wirken. Es ist das Gesamtpaket, das dieses Cadillac Series 62 Convertible von 1950 zum ultimativen amerikanischen Luxuscabrio macht. Schade, dass er schon vergeben ist. Andreas Ullstein zuckt bedauernd die Schulter: „Der gehört einem Stammkunden. Coast Classics darf ihn nur warten.“ Schade auch. Der Dino kann einem schon den Kopf verdrehen.

Technische Daten

BAUJAHR: 1950
MOTOR: V8
HUBRAUM: 5.425 cm3
LEISTUNG: 118 kW (160 PS) bei 1.800/min
MAX. DREHMOMENT: 420 Nm
GETRIEBE: Automatik
ANTRIEB: Hinterräder
LÄNGE/BREITE/HÖHE: 5.700 / 2.040 / 1.590 mm
GEWICHT: 1.850 kg
SPRINT: 0-100 km/h ca. 16 s
TOP-SPEED: 161 km/h
WERT: k.A.

Text: Marco Wendlandt, Fotos: Nico Meiringer

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