In die Falle getappt – The Hall Collection

Tappen, British Columbia, Kanada: Nur ein Hügel, ein paar Häuser, und mitten hindurch führt der Trans-Kanada-Highway. Langweilig – wären da nicht Hunderte rostender US-Klassiker, das schräge „White Post Auto Museum“ und die Hot-Rod-Schmiede, die alte Karossen über High-End-Technik schraubt

Mike Hall lässt sich nicht blicken. Vielleicht ist das auch ganz gut so: Sein Hund soll ein nur mittelfreundlicher Pitbull sein, seine langen dreadlockigen Haare ihm ein ungewöhnliches Aussehen verleihen. Sein Wohnwagen bleibt geschlossen – genau, der Mann lebt in einem Wohnwagen. Davor steht die Zugmaschine, ein abgerockter Range Rover mit ehemaligem Softtop.

Aber Hall junior ist da. Und den haben wir nur gefunden, weil das White Post Auto Museum geschlossen hat, und Wayne Booth von Canadian Hot Rods Inc. uns hilft, den Besitzer ausfindig zu machen, damit der uns aufschließt, und uns die Wartezeit dadurch verkürzt, dass er uns zu den Halls bringt.

Alles klar? Wenn nicht, macht es auch nichts. In die Autofalle zu Tappen war schon Zufall genug. Das Nest liegt auf einem Hügel direkt am Trans-Kanada-Highway Nummer 1, der von Calgary nach Vancouver führt, in der Nähe von Salmon Arm. Ob Michael Hall hier schon immer gewohnt hat oder vielleicht nur mit seinem Anhänger hängen geblieben ist, wissen wir nicht. Sicher ist dagegen: Schon im zarten Alter von 16 Jahren begann er als Hobby, Autos zu sammeln. Oder zu behalten. Oder abzustellen. Irgend so etwas.

Jetzt ist Hall 58, hat eine gut gehende Straßenbaufirma namens Chimera Springs Rock Works, die zum Beispiel am Nr. 1 in den Rockys die steilen Felswände mit dickem Maschendraht verhängt, damit abbröckelnde Steine nicht auf die Straße fallen. Der Laden liegt etwas abseits der Hauptstraße und talwärts, man kann kaum etwas davon sehen, wenn man unwissend den Highway mit den erlaubten 100 km/h entlang brettert. Und dann verpasst man Halls „Collection“ – weniger Autophile würden das Gelände als Schrottplatz bezeichnen. Wie auch immer: Die Ansammlung von amerikanischen Klassikern macht sich auf einem Feld noch weiter unten im Tal breit: hunderte von ihnen rotten auf feuchtem Geläuf. Obwohl man hier ein Wort für die Mehrzahl von Rost erfinden müsste, sind die meistens Autos trotzdem noch als solche zu erkennen. Das es sich um eine Sammlung und nicht um einen Schrottplatz handelt, nehmen wir jetzt einfach mal so hin. „Schaut Euch um, habt Spaß, und manche Autos verkauft mein Vater auch…“: Mit diesen Worten entlässt uns der freundliche Sohn von Mike Hall ins matschige Feld – ein Nachteil des wärmsten Winters seit 50 Jahren hier in Kanada. Andrerseits hätte aber auch meterhoher Schnee liegen können, den Blick auf die meist roten Preziosen verweigernd. Was besser ist, liegt im Auge des Betrachters.

Denn es können einem schon die Tränen kommen: Die blinden Camaro am Anfang sind ja noch verkraftbar, aber wenn einen ein gerupfter Studebaker Avanti schief anschaut, ein verendeter Studebaker Wagonaire, bei dem sich einst die hintere Dachhälfte unter die vordere schieben ließ, was so etwas wie einen Pick-up draus machte, oder ein einst schwarzer Studebaker Lark VIII, dann muss der Fan schon mal kräftig schlucken.

Studebaker tummeln sich auch in der Ecke mit Autos der 30er, 40er und 50er Jahre, flankiert von Chevy, Dodge, Buick, Pontiac, Oldsmobile, Mercury und Chrysler. Nein, wirklich sortiert ist die Sammlung trotzdem nicht:

Ein Ford Meteor (Ford-Marke, die von 1948 bis 1961 und von 1963 bis 1974 nur in Kanada vertrieben wurde) gammelt hier rum, ebenso ein Buick Le Sabre, ein Buick Invicta V8, ein Plymouth Special DeLuxe, ein neuerer Buick Riviera und ein Ford F-100. Vor den drei bemoosten Chevrolet Corvair muss sich selbst ein Ralph Nader nicht mehr fürchten, auch der Pontiac Strato Chief oder der Acadian Beaumont (kanadischer Chevy) machen niemanden mehr sabberig.

Aber so sehr die Autos auch in ihre Federn gesackt sind, Teile lassen mussten und seit Jahren den Unbillen des kanadischen Wetters ausgeliefert sind, erzählen sie noch immer von den glorreichen Tagen des US-Designs, dem Ideenreichtum der Ingenieure und der Vielfalt des Umgangs mit Blech. Dass ein paar Cabrios aus den 80ern seit weiß der Geier wann sämtliche Feuchtigkeit aufgrund nicht aufgespannter Dächer aufsaugen müssen, ist nicht ihre Schuld. Die Folge davon sind zum Beispiel Sonnenblenden, die aussehen, als hätte Godzilla persönlich hineingebissen und sie wieder ausgespuckt.

Für europäische Autos hat und hatte Mike Hall scheinbar nicht viel übrig. Außer dem völlig schiefen und gut bechromten Mercedes W116 in US-Ausführung mit plattem Reifen am Eingang ist nur noch ein bedauernswerter Strichachter, ein BMW der frühen Dreierreihe, ein alter Simca in erstaunlich gutem Zustand, ein erbärmlicher Triumph Spitfire, ein kleiner Austin-Truck und ein Sunbeam Alpine zu entdecken. Dazu noch zwei frühe Toyota Land Cruiser, fertig ist der Übersee-Import. „Übrigens: Im Museum stehen noch mal rund 70 Autos von Mike,“ sagt Hall junior, „and thanks for coming!“

Tatsächlich ist inzwischen Vance Tierney eingetroffen. Er ist Chef des White Post Auto Museums, das auf den ersten Blick eher den Eindruck der etwas trockeneren Form von Halls Rostfeldern als den eines Behüters von Wertvollem macht. Den größten Teil des gut 8000 Quadratmeter messenden Museums-Geländes nimmt ein Außen-Areal ein, auf dem – natürlich – Rostlauben stehen. Die sind in etwas besserem Zustand als die auf dem Feld, wobei „besser“ mit deutlich schlechter als „gut“ zu definieren ist. Immerhin sind hier mehr Autos eindeutig zu klassifizieren, an einigen steht sogar das Baujahr und der Preis auf dem Fenster. Auch hier ist alles zu verkaufen, was allerdings eher ungewöhnlich für ein Museum nach unseren Maßstäben ist.

Aber – will tatsächlich jemand so etwas haben? Jedenfalls in dem Zustand? Hier stehen Boliden wie Ford Galaxie 500 XL, 69er Chevrolet El Camino, 69er Dodge Coronet, 58er Ford Edsel Pacer, Buick Eight, Chevy Chevelle SS 389, Oldsmobile Super 88, ein 69er AMC AMX, ein 64er Pontiac Acadian Beaumont Sport De Luxe. Dazwischen tummeln sich Ford Fairlane 500, zwei Volvo P1800, zwei Sunbeam Alpine, ein Opel GT (von dem Tierney überzeigt ist, dass das Auto ein GM ist, weil doch auf Motor und Getriebe „GM“ steht: „No Opel!“), ein GMC-Truck, ein Jeep-Leichttransporter.

In der Uralt-Abteilung wartet eine Packard 110 von 1940 auf Auferstehung, ein 39er Chevrolet B Coupé, ein roter 48er Dodge Coupé (sieht fast noch fahrbar aus, kostet 5000 Kanada-Dollar), ein Pontiac Silver Streak, ein Ford Anglia 1.17 Litre von 1949, der bereits vollständig den Boden über dem Rahmen verloren hat.

Wer hier ein Restaurierungsobjekt kauft, hat die nächsten Jahre gut zu tun und ist danach wahrscheinlich Pleite. Aber Tierney erklärt, dass er mit Hall gut zusammenarbeitet, sie beide autoverrückt sind und man so etwas nur als Enthusiast auf die Achsen stellen kann. Wir widersprechen nicht und genießen einfach nur die „Rusty Beauties“ – für „Sleeping“ sind die meisten dann doch zu weit fortgeschritten in Sachen Verwesung.

Und dann führt uns Tierney zu den Chromjuwelen des Museums: Tatsächlich stehen in einer kleinen Halle sechs gemachte Autos, die im schummrigen Dunkel vor sich hinschimmern, darunter ein Ford Fairlaine und ein Ford Mustang. Auf der gegenüberliegenden Seite warten angefangene Restaurierungsobjekte auf Erbarmen: 67er Pontiac Sprint, 69er Plymouth Sport Sattelite Convertible, 64er Chevrolet Chevelle Malibu SS Convertible, Sunbeam Alpine – alle zu verkaufen. Zum Glück sind sie noch unlackiert, so dass man sich selbst ein Bild vom Grad der Rostzerstörung machen kann. Im Sommer sollen hier andere Ausstellungstücke stehen, verspricht, Tierney – tatsächlich ist das Museum über den Winter eigentlich geschlossen, und wir glauben ihm. Ein bisschen.

Trotzdem können wir auch die kleine Memorabilia-Ausstellung aller Art sehen, für die Tierneys Frau Keri zuständig ist. Spielzeug, Öldosen, Bücher, Tand locken mit wirklich gutem Zustand. Schade, dass ausgerechnet die originalen historischen Werbeplakate nicht käuflich sind.

Und dann zeigt uns Tierney noch eine Halle mit Kundenfahrzeugen: zum Beispiel ein halbfertiger 67er Pontiac Acadiane, ein 73er Dodge Dart Swinger, ein 60er Chevrolet Sedan Delivery, ein 72er Chevy Nova und ein 55er Chevy Wagon, alle in diversen Restaurierungszuständen. Und ein fertiger aufgepumpter Jaguar E mit Corvette-Technik drunter.

Der führt uns direkt zu die neben dem Museum logierenden Firma Hot Rod Canadian Inc., die schon beim ersten Blick beweist, dass in tappen nicht nur der Rost haust. Ok, da steht zwar auch gerade ein völlig fertiger Ford Two-Ton in der Werkstatt – aber der wird total restauriert. Bekommt ein größere Chassis, mehr Power, na ja – Oldie-Tuning eben. Genau darauf ist der Laden nämlich spezialisiert: Die Männer schweißen ihre eigenen Rahmen, packen moderne Corvette-Motoren hinein (auf Wunsch auch gern mit mehr als 600 PS), verbinden das mit einem hochmodernen Fahrwerk und einem ebensolchen Getriebe und schrauben dann eine alte US-Karosserie drauf – momentan ist ein 1955 Chevy Nomad mit LS3-V8 und 4L70-E-Getriebe in Arbeit. Die Kunden sollen damit bald vergnügt zu Oldie-Meetings oder Swap-Meets blubbern.

Aber Canadian Hot Rod kann auch anders: In Arbeit ist auch noch ein 31er Cadillac V8 Sports Roadster mit texanischem Nummernschild. Der wird nicht getunt, sondern nach allen Regeln der Kunst restauriert. Was vom Holz noch benutzt werden kann, wird konserviert und belassen, alles andere wird für viel Geld erneuert. Allein ein Scheinwerfer in perfect condition kostet 850 Canadian Bucks. Der Caddy wird in einem Jahr 300.000 CAN-Dollar wert sein.

Von Tappen ins Nirwana oder nach Pebble Beach – der Ort hat wirklich viele Gesichter…

Text und Fotos: Roland Löwisch