Jaguar-Land Rover Classic: Der Fabrik-Traum von der Traum-Fabrik


JAGUAR-LAND ROVER CLASSIC – Der Fabrik-Traum von der Traum-Fabrik

Kann das wahr sein? Wer englische Autos mag, bekommt den Mund nicht mehr zu, wenn er die neue Classic-Abteilung von Jaguar-Land Rover in Coventry betritt: Hier werden die schönsten Konzern-Modelle restauriert, hier entstehen neue alte Ikonen. Und hier steht ein Teil der rund 700 Autos umfassenden Jaguar-Land Rover-Sammlung. Ein Traum…

Selten so schön geträumt.

Ich träumte, ich wäre in Coventry, dem einstigen Zentrum der  britischen Automobilindustrie. Und da wäre ein neues Gebäude. Ok, im Grunde eine unscheinbare Riesenhalle, wie sie zu Hunderten in den Gewerbegebieten dieser Welt stehen. Aber was davor stand, war schon nicht von dieser Welt: bildschöne Jaguar E-Type, Mark II, XJ, XJS und XK, auf der anderen Seite Land Rover der ersten drei Serien Defender, Range Rover und mehr…

Ich träumte weiter, dass sich die Türe öffnen würde. Dahinter begrüßten mich schöne junge Damen, schenkten mir so was wie Champagner ein (es kann auch Selters gewesen sein) und baten mich, doch bitte erstmal den Empfangsbereich zu inspizieren. Ich tat, wie mir geheißen, und entdeckte einen roten Jaguar E in der Ecke, auf der anderen Seite einen wunderbar patinierten Land Rover der ersten Serie neben einem voll restaurierten Exemplar. Zwei Sitzecken mit gemütlichem Mobiliar luden zum Verweilen und zum Betrachten von Le-Mans-Ikonen wie den Silk-Cut-Jaguar XJR-9 und den C-Type ein. Ich schaute in die Tagungsräume „Lyons“ und „Wilks“, und während ich da so versonnen stand, umwehte mich der Geist von Jaguar Gründer Sir William Lyons, bis ich Gänsehaut bekam. Dann hauchte er mir ins Ohr: „The car is the closest thing we will ever create to something that is alive…“

Es wäre Zeit gewesen, aufzuwachen, aber ich wollte nicht. „Dann eben nicht,“ sagte Lyons, nahm mich an die Hand und schwebte mit mir durch die nächste Tür in den eigentlichen Hauptteil des modernen Gebäudes. Und uns zu Füßen lagen die schönsten Klassiker, die Jaguar und Land Rover je auf die Räder gestellt hatten. Lyons erkannte schnell meinen vom Staunen verursachten Muskelkrampf im Kiefer und versprach, mit mir von Station zu Station zu fliegen, damit ich auch nichts verpasse. Mir lag die Frage auf der sich soeben lösenden Zunge, warum so schöne Klassiker in einer so schmucklosen Halle stehen müssen, so etwas gehöre doch in ein ehrwürdiges altenglisches Anwesen aus Stein und Moos. Aber dafür hatte der Sir so gar kein Verständnis, und wenn ich es nur halbwegs richtig übersetzt habe, sagte er so etwas wie „Papperlapapp“.

Wir flogen zur ersten Station, und Lyons begann zum ersten (und, wie sich später herausstellen sollte, zum einzigen) Mal, die Stirn zu kräuseln. „Hier siehst Du eines der Continuation- und Reborn-Autos, ein neuer alter XKSS,“ sagte er, „eine sehr moderne Art, viel Geld mit alten Ideen und modernen Fertigungstechniken zu machen. Gegen das viele Geld habe ich nichts, und wenn ich es recht überlege, kann ich auch nicht wirklich etwas gegen neue alte Autos haben, solange Kunden so etwas haben wollen.“

Ich zog wohl eine Augenbraue hoch, jedenfalls erklärte er mir die beiden Programme: Jaguar Land Rover hatte 2015 als erstes „Continuation“-Projekt sechs Jaguar Lightweight per Hand und nach alten Maßgaben gebaut, die 1963 zwar eine Chassisnummer erhalten hatten, aber damals nie verwirklicht worden waren. Danach stellte Jaguar neun nagelneue XKSS als „neue Alte“ auf die Räder. Neben den beiden Continuations gibt es drei so genannte Reborn-Modelle (von Jaguar auch gern „legends“ genannt) zu Festpreisen: Ein Jaguar E-Type – perfekt neu aufgebaut auf den Resten eines alten – kostet 265.000 Pfund, für den Land Rover der Serie I werden 65.000 Pfund verlangt und für einen Range Rover der ersten Serie wird der Kunde 85.000 Pfund los. Diese Autos werden nur auf Auftrag gebaut: Zunächst suchen Konzern-Konfidenten weltweit eine passende Basis (was meist schwerst patinierte Garagenfunde sind, deren Substanz sich zu erhalten lohnt), die hier aufgebaut werden, bis sie komplette, voll funktionsfähige Neuwagen aus vielen aufbereiteten Altteilen sind.

„Sie haben sogar jetzt einen Werksfahrer, der den Kunden beibringt, wie man mit den wertvollen Autos umgeht,“ erzählte Lyons nebenbei, „der Jungspund soll Andy Wallace heißen und Le Mans im Jahr 1988 auf einem Jaguar XJR-9 gewonnen haben.“ Sein Nachsatz: „…da war ich leider schon drei Jahre bei den Engeln…“ klang dann doch etwas schnippisch.

Aber gleich darauf wurde er wieder professionell: „Sie haben hier 55 Stellplätze errichtet, an denen sie mit Autos arbeiten können,“ erklärte mir Lyons, „aber nur zwei bis drei davon stehen den Reborn- und Continuation-Autos zur Verfügung. Der Rest wird für die klassische Art der Restaurierung verwendet.“ Dann rümpfte er etwas die geadelte Nase und schob nach: „Angenommen wird alles, was seit zehn Jahren nicht mehr gebaut wird…“

Ich konnte mich nur schwer von dem wiedergeborenen Blech lösen – blitzblank stand dort der 1957-2017er XKSS halbfertig, irgendwie nicht echt und doch völlig faszinierend. Zwei von insgesamt etwa 80 Arbeitern in der Halle schraubten intensiv an irgendwelchen Details, ohne Hast und ohne Krach. „Fast wie damals,“ sinnierte Lyons kurz, ehe er sich wieder fasste und mich zu einer anderen Ecke in der Halle trieb.

„Hier steht neumodischer Kram,“ mokierte er sich halblaut, wohl ahnend, dass ich damit etwas anfangen konnte: eine Reihe von sechs Jaguar XJ 220. Der war vor 25 Jahren ein echtes Supercar, 281 Stück zwischen 1992 und 1994 hatte Jaguar einst gebaut. Zwei Arbeiter waren in einer der kapriziösen Diven halb verschwunden, der 3,5-Liter-V6-Turbo-Motor stand ausgebaut daneben. „Soweit ich mitbekommen habe, gibt es von Pirelli jetzt nagelneu aufgelegte P-Zero-Asimmetrico-Reifen der Dimension 315/35ZR18 nur für dieses Modell,“ erzählte Lyons kopfschüttelnd, „der Satz zu 5000 Pfund. Da war ja mein D-Type von 1954 im Laden noch mehr als 1000 Pfund günstiger…“

Ich vermied, ihm die lange Story von Währungen und Wandel zu erzählen, stattdessen wuselten wir ein bisschen durch die Halle mit den Stellplätzen, von diversen E-Type über frühe XJ, ein Mark 10, ein XJS. Woanders standen Schlacht-Serien von Land Rover, ein vollgegrünter Land Rover Pickup, der 25 Jahre lang in einem australischen Garten vor sich hingammelte. Ganz in der Nähe hielten sich zwei nahezu identische Serie-I-Landys die Räder – nachdem sie als Nummer 795 und 799 im Jahr 1948 fast gleichzeitig aufgebaut worden waren, hatten sie sich hier wiedergefunden.

Störte den großen Sir Lyons nicht, dass hier Land Rover und Jaguar in einen Topf geworfen werden? „Well,“ begann der berühmte Firmengründer seine Antwort typisch englisch, „zwar habe ich Sportwagen und Limousinen gebaut und die Kollegen die Geländewagen, aber man darf nicht vergessen, dass beide Firmen sehr englisch sind und dass beide mit Stahlchassis und Alu-Karosserien gearbeitet haben. Das ist schon ok so…“

Trotz dieses eigentlich zufriedenen Statements schien mir Sir William Lyons etwas unruhig. So gab ich ihm zu verstehen, dass wir zur nächsten Station wechseln konnten. Ein Hauch von Verklärung huschte über sein Gesicht, dann begann er wissend zu lächeln und entfleuchte in den hinteren Teil der Halle. Ich konnte kaum folgen.

Kein Wunder: Es tat sich eine Welt auf, die selbst für einen Traum zu abgehoben war. Neben und übereinander standen die schönsten, seltensten, wildesten, kaputtesten, gebrauchtesten und außergewöhnlichsten Jaguar und Land Rover, dazwischen ein paar Göttinnen von Citroën, ein TR6, Rover-Limousinen, Ferrari, Bentley und mehr. Der Sir ließ mich erstmal wieder zu Atem kommen, dann sagte er: „Rund 1,5 Millionen klassische Jaguar und Land Rover existieren noch auf dieser Welt, und hier siehst Du einen Teil davon. Meine Firma“ (und er betonte das ‚meine’ besonders) „besitzt heute etwa 700 Klassiker, davon sind etwa die Hälfte Jaguar und Land Rover. Der große Rest repräsentiert allgemein die britische Autohistorie – aber auch ausländische Fahrzeuge sind dabei.“

Ich fragte, woher er das alles wisse, und er beichtete mir, er hätte heimlich Felix Welch gelauscht, der als General Manager der Classic-Abteilung die Fragen eines neugierigen Journalisten beantwortet hatte. „Sie bringen fast täglich ein Auto von den bislang vielen verschiedenen Standorten hierher. Es soll Platz für rund 470 Autos vorhanden sein.“ Man hätte die Wagen fast alle aus diversen Sammlungen, die manchmal komplett gekauft worden waren, um an die Jaguar-Sahneschnitten heran zu kommen, führte Lyons weiter aus. Noch immer werde hier und da nach „Missing Links“ in der Sammlung gesucht, und wenn dann ein paar andere Marken und Modelle dabei sein würden, wäre das gar nicht schlimm, weil man sie wunderbar an zum Beispiel Museen und Filmfirmen für diverse Projekte vermieten könne. „Wenn ihnen überhaupt noch etwas fehlt, sind es hauptsächlich konkrete Land Rover-Modelle der zweiten und dritten Generation,“ fügte er zufrieden hinzu. „Und weit mehr als die Hälfte aller Autos sind – nach kurzem Check und wenigen Handgriffen – fahrbar.“

Plötzlich ergriff er mein Schlafittchen und düste mit mir vor einen dunkelroten XJ mit der Registrierungsnummer GDU333D. Er deutete darauf und sagte nur: „Meiner!“ Dann entmaterialisierte sich Sir William Lyons und verschwand im hohen Kühler seines ehemaligen Privatwagens, um schemenhaft hinter dem Lenkrad wieder aufzutauchen…

Wie gesagt: Selten so schön geträumt. Bitte – lasst mich noch ein bisschen schlafen…

Autor: Roland Löwisch – Fotograf: Jaguar, Löwisch