Jaguar XK120 1951 – Race with the devils

Mit einem XK120 von 1951 bei dem einzigen deutschen Auftritt der Jaguar Heritage Challenge im Rahmen des Oldtimer Grand Prix auf dem Nürburgring teilzunehmen, ist an sich schon eine Herausforderung. Das Auto erst beim Rennen kennen zu lernen eine zweite: Tagebuch einer Dramödie

Prolog (rund vier Wochen vor dem Rennen)

Die Frage von Jaguar Deutschland kommt überraschend: Ob ich Lust hätte, einen klassischen Jaguar beim einzigen deutschen Auftritt der neu geschaffenen „Jaguar Heritage Challenge“ auf dem GP-Kurs des Nürburgringes im Rahmen des Oldtimer-Grand-Prix zu fahren. Die Rennserie ist Nachfolger der drei Jahre alten Jaguar-E-Type-Challenge und besteht aus fünf Läufen – vier davon in England. Hier starten alle Jaguar-Rennsportwagen bis Baujahr 1965 gemeinsam – dazu gehören außer dem E-Type auch C-Type, D-Type, die Limousinen Mark I und II, S-Type und alle frühen XK-Modelle, also 120, 140, 150 und XKSS. Das Auto käme aus England, wahrscheinlich ein Jaguar E-Typ. Wenn eine Rennlizenz vorhanden ist, könnten wir alles festzurren…

Was für eine Frage. Lizenz ist gültig, Lust ist grenzenlos, der Mut noch groß. Abgemacht.

Eine Woche vor dem Rennen

Die Nächte werden kürzer – die Gedanken an das Rennen rauben den Schlaf. Immerhin soll ich zwischen Racern wie Marcus Graf von Oeynhausen oder Andy Wallace bestehen – der Graf fährt seit rund 20 Jahren seinen 335 PS starken, originalen Lightweight-E-Type in Lang- und Kurzstreckenrennen (und das meistens weit oder ganz vorne), Wallace ist als Le-Mans-Sieger von 1988 Vollprofi und pflügt im Mk1 Saloon durchs Feld. Inzwischen präzisiert sich mein Rennauto: Kein E-Type, sondern ein XK120 Roadster von 1951 – es wird das älteste Auto im Feld. Kenner des Modells schauen sich skeptisch meine Statur an und bezweifeln, dass ich dort überhaupt hinein passe. Na prima.

Zwei Tage vor dem Rennen

Es ist Donnerstag, um 18 Uhr ist Driver Briefing im Race Tower am Ring. Dass das Team „Tester Racing“ aus England mit dem XK120 noch nicht unter dem großen Zelt im alten Fahrerlager aufgetaucht ist, wo sich die anderen Teams der Heritage Challenge auch versammeln, macht mich ein wenig nervös. Die Rennleitung informiert über das Reglement: 40 Minuten Rennen, Fliegender Start, ein Pflichtboxenstopp von einer Minute, weil einige Piloten sich zu zweit ein Auto teilen und die Zeit zum Fahrerwechsel brauchen. Viel Spaß, die Herren (und eine Dame).

 

 

Ich erledige den Papierkram, hinterlege meine Rennlizenz für den Transponder, bekomme die Papiere zur technischen Abnahme und irre damit gegen 20 Uhr sinnlos im alten Fahrerlager herum: Kein „Tester“-Team. Nur noch zwölf Stunden und 15 Minuten bis zum Freien Training am Freitag morgen um 8.15 Uhr…

30,5 Stunden vor dem Rennen

Es ist Freitag 7.30 Uhr, und das Team ist nicht da. Hektisch telefoniert Jaguar Deutschland mit Tester Racing: Die Jungs stehen mit ihrem Hänger am Eurotunnel – der ist wegen des Flüchtlingsdramas mal wieder geschlossen. Klar, dagegen habe ich ein Luxusproblem – doch hätte ich gerne das Auto kennen gelernt, bevor ich es in maximalem Tempo durch die Kurven den Nürburgringes scheuche. Immerhin kenne ich den GP-Kurs – ein kleiner Trost. Trotzdem schaue ich wehmütig auf die alten Jaguar, als sie um 8.15 Uhr auf die Piste gehen…

27 Stunden vor dem Rennen

Hilflos muss ich zusehen, wie E-Type, Mark 1 und S-Type sich im Vorstart zum Qualifying versammeln – mein Auto ist nicht da. Keiner weiß, wo es steckt.

Inzwischen setzten Jaguar und der Chef der ebenfalls für die Rennserie verantwortlichen Vereines „Historic Sports Car Club“, Grahame White, bei der Rennleitung Himmel und Hölle in Bewegung, dass ich auch ohne Qualifikationsergebnis starten kann – falls der XK noch kommt. Das letztliche „ok“ ist einzig der Hartnäckigkeit britischer Rennenthusiasten und dem Umstand zu verdanken, dass ich die Strecke durch etliche Tests und Fahrzeugpräsentationen gut kenne. Normal ist das alles nicht – aber seeeeehr aufregend…

20 Stunden vor dem Rennen

Aus reiner Verzweiflung suche ich meine so prominenten wie eventuellen Gegner auf – zuerst treffe ich Andy Wallace. Der Ex-Profi und heutige Bugatti-Werksfahrer gewann 1988 in einem Jaguar XJR-9LM die 24 Stunden von Le Mans, und jetzt gewöhnt er sich langsam an alte Rennautos: „Sie bremsen nicht richtig, sie rollen nicht richtig, und sie können keine richtigen Kurven fahren – aber je länger man sich mit ihnen beschäftigt, umso mehr Spaß machen sie.“

Und wie ernst nehmen die Fahrer die Challenge? Schließlich fahren sie in meist ausgesprochen teuren Preziosen um die Wette. HSCC-Chef White schaut mich nur kopfschüttelnd an: „Was willst Du? Das sind Racer…“ Einer von ihnen ist Graf Oeynhausen: „Manche fahren hier mit 400 PS,“ weiß der Initiator des Bilster Berg Drive Resort, und er lässt durchblicken, dass schon einige mit dem Messer zwischen den Zähnen fahren. Doch Wallace beruhigt: „Jeder Pilot hat während der Fahrt und hinterher ein Big Smile im Gesicht.“ Danke – das wollte ich hören. Fehlt nur noch ein Auto.

2,5 Stunden vor dem Rennen

Nicht zu glauben: Das Tester Team erreicht den Nürburgring. Mit dem XK120 auf dem Hänger. Erste Sitzprobe: Die Pedale sind gut zu erreichen, aber nach rechts versetzt. Schlimmer das Lenkrad: Es steht nicht direkt vor der Brust, sondern ist ebenfalls nach rechts versetzt und auch noch nach rechts gekippt. Zum Glück lassen sich die vier Gänge leicht finden und durchschalten, auch wenn es nach wie vor ungewohnt ist, im rechtgelenkten Auto mit links zu schalten. In den Rücken bekomme ich einen Schaumstoffkeil, weil es sich damit in dem neu aufgebauten alten Sitz mit seiner Sitzflächen- und Lehnenkonfiguration von etwa 90 Grad einfach besser sitzt. Und der Adrenalinspiegel steigt.

2 Stunden vor dem Rennen

Tester-Chef Iain Purves erklärt das Auto: Tatsächlich stammt nur das Chassis des XK120 von 1951 – „Es war ein Unfallwagen,“ sagt Purves. Nach historischen Maßgaben bauten sie den Renner auf: Zunächst dengelten sie eine völlig neue Karosserie aus Aluminium – historisch korrekt, denn die ersten 240 XK120 bestanden auch aus diesem Metall, erst nach April 1950 wurde Stahlblech dafür verwendet. Der 3.4-Liter-Reihensechszylinder ist kräftig überarbeitet – er leistet nun etwa 300 statt der ursprünglichen 180 PS. Um die Kraft sicher auf den Asphalt zu bringen, hat Tester Racing die Spur verbreitert, die Hinterachse stabilisiert und das Originalfahrwerk gestärkt. Das Getriebe stammt von einem etwa zehn Jahre jüngeren Jaguar Mark IX, die Lenkung von einem XK140, die ursprünglichen Trommelbremsen wurden gegen Scheibenbremsen aus einem jüngeren Modell getauscht. Schließlich wurde die Pedaleinheit etwas nach vorne versetzt, was den Platzverhältnissen im Pilotenfußraum zugute kommt. Ein Käfig sorgt für Sicherheit – fertig.

1,5 Stunden vor dem Rennen

Endlich wird der Transponder angebracht, das Auto muss zur Technischen Abnahme. Damit ich vor dem Rennen wenigstens eine klitzekleine Ahnung habe, wie sich der Jaguar fährt, pilotiere ich den Wagen die 300 Meter vom alten Fahrerlager zum Scrutineering und zurück – im ersten Gang, weil Menschenmassen den Weg versperren. Die Rennkupplung ist enorm straff, die Lenkung teigig, aber sonst ist der XK 120 – ein Auto. Immerhin.

Eine Stunde vor dem Rennen

Letzte Vorbereitungen – Purves erklärt die Go’s und No-Go’s: Möglichst nicht über 5500 Umdrehungen drehen, einen Drehzahlbegrenzer gibt es nicht. Dringend auf die Wassertemperatur achten. Der Tacho funktioniert nicht, 60 km/h in der Boxengasse bedeutet 2600 Umdrehungen im zweiten Gang. Und Spiegel einstellen, wobei die beiden kleinen Außenspiegel zwar nett aussehen, aber überhaupt nicht helfen. Meine Skepsis steigt – denn ich muss dringend auf die schnellen E-Type achten, die mit enormern Tempo von hinten angeflogen werden kommen und in ihren eigenen zwei Klassen gewertet werden.

20 Minuten vor dem Rennen

Ich fahre den Jaguar zum Vorstart. Der Platz ist noch außerhalb der Rennstrecke, dort sammeln sich alle Teilnehmer und warten, bis die Marshalls den Weg zur Einführungsrunde freigeben. Purves zieht den Vierpunktgurt fest. Mein Herz klopft wie ein V8 bei Betrieb mit niederoktanigem Sprit.

7 Minuten vor dem Rennen

Die Marshalls fordern zum Motorenstart auf – der Jaguar sagt kein Wort. Statt des metallisch kreischenden Sound des Hochleistungsanlassers ist da nur Stille. Purves wird hektisch und ich sinke in den Sitz, soweit der Gurt es zulässt. Kupplung treten, Gang wechseln, hin- und herschieben – nach Druck auf den Startknopf passiert gar nichts. Alle Aufregung umsonst?

Die Autos vor mir sind schon losgefahren, das brüllt Purves: „Second gear!!!!“ Ich ramme den zweiten Gang rein, der Teamchef und Helfer schieben den knapp eine Tonne leichten Wagen an, und der Motor startet meckernd. Keine optimalen Bedingungen für eine konzentrierte Vorbereitung…

5 Minuten vor dem Rennen

Die erste Runde auf dem GP-Kurs im XK120 ist langsam – wir fahren zur Startaufstellung. Die Marshalls sortieren die Autos nach ihren Startplätzen. Ich darf mir das ganze von der letzten Position aus ansehen, da ich keine Qualifikation fahren konnte. Dann geht es eine knappe Runde hinterm Saftey Car her, um pünktlich zu starten. Die Piloten fahren Schlangenlinie, um die Reifen zu wärmen. Ich fahre Schlangenlinie wegen der indirekten Lenkung.

Start

Das Safety Car ist weg, die Ampel grün – es darf Gas gegeben werden. Der XK120 schiebt mit mächtigem Race-Sound aus zur Seite gerichteten Auspuffendrohren mächtig nach vorne, doch noch gehe ich es etwas vorsichtig an – keine Ahnung, wie die alte Bremse bei der sehr langsamen Rechtskurve am Ende der Start- und Zielgeraden reagiert, wann die Räder blockieren, was die optimalen Drehzahlen für welche Kurve und das Zurückschalten sind…

Zuerst geht alles gut, aber dann die Schrecksekunde: Die Schikane nehme ich zu schnell. Sofort bricht der XK120 aus, nur mit Mühe kann ich ihn wieder einfangen. Mühe auch deshalb, weil der rechte Arm zu wenig Bewegungsfreiheit hat.

Zehn Minuten nach dem Start

Runde um Runde auf der 4638 Meter langen Piste fasse ich mehr Vertrauen in das Auto – da werde ich auch schon von den ersten E-Type überrundet. So manche blaue Flagge zeigt mir, dass es der eine oder andere Ernst meint mit dem Gewinnen einer hochwertigen Uhr und einem Reiseset für den Meister der Challenge nach fünf Läufen. In den Kurven sind alle Wagen stets am Limit: Jeder driftet leicht über alle vier Räder, ständig muss mit der recht indirekten Lenkung ausgeglichen werden – das Spiel zu erlernen dauert ein paar Runden. Eigentlich ist der XK120 gut ausbalanciert, mit Übermut kann das alte Fahrwerk allerdings nichts anfangen.

Die Jagd beginnt: der rote Mark I hat letztlich keine Chance

Sollen die Cracks ihr Rennen machen – ich bin auf den roten S-Type von Colin McKay scharf. Der Engländer war als Vorletzter gestartet, fährt (auch zum ersten Mal) das Auto seiner Frau, aber konnte das Freie Training und das Qualifying zum Test nutzen. Aber er ist langsamer. Jedenfalls ein bisschen. Mein erster Überholversuch allerdings misslingt – ich bin zwar schnell auf der Start-/Zielgeraden, aber zu schnell im Yokohama-S und muss ihn wieder passieren lassen. Wieder was gelernt…

15 Minuten nach dem Start

Ein paar Runden später überhole ich den S-Type endlich am Advan-Bogen, der mit Vollgas genommen wird. Kurz danach ist er aus dem Rückspiegel verschwunden – vermutlich ist er zum Pflichtboxenstopp gefahren. Fünf Minuten später zeigt mit Purves per Tafel, dass ich meine Minute Auszeit nehmen soll. Dabei geht der Motor aus – springt zum Glück aber auf Knopfdruck wieder an.

35 Minuten nach dem Start

Das Rennen wird ganz schön lang – die Linie aber stetig besser, deshalb sinken auch die Rundenzeiten. Trotzdem sind die Konkurrenten zu weit weg. In der T13, die Kurve vor der Zielgeraden, quillt plötzlich blauer Rauch aus dem Cockpit, verschwindet aber wieder genauso schnell – racen ist auch die ständige Sorge um das Auto.

Ziel

Die karierte Flagge – was für ein Gefühl. Der 250.000 Euro wertvolle XK120 ist unverbeult, es gab keinen Unfall. Von 18 Startern kommen 13 an, 16 werden gewertet. Der Graf wird Gesamtsieger des Rennens, Andy Wallace gewinnt seine Klasse. Und ich meine.

Muss ja keiner wissen, dass ich dort der einzige Teilnehmer war…

Technische Daten Jaguar XK120 Tester Racing

Baujahr: 1951
Motor: Reihensechszylinder
Hubraum: 3442 ccm
Leistung: ca. 300 PS
Max. Drehmoment: ca. 460 Nm
Getriebe: Vierzylinder-Handschaltung
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4420/1574/1334 mm
Gewicht: ca. 980 Kilo
Sprint 0-100 km/h: k.A.
Top-Speed: k.A.
Wert: ca. 250.000 Euro

Text: Roland Löwisch
Fotos: Gudrun Muschalla und Stefan Baldauf (Jaguar)/ Stefan Anker/ Roland Löwisch

Die Ruhe vor dem Sturm: Viele der Challenge-Teilnehmer basteln gemeinsam an ihren Autos

Der Schnellste: Marcus Graf von Oeynhausen in seinem E-Type Lightweight

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Die Meute ist los: Start zum Rennen – der XK120 ganz hinten

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Letzte Rille: Manche Piloten nehmen die Challenge bierernst

Nach ein paar Runden ist das Auto vertraut. Zu spät für den Generalangriff

Nach getaner Arbeit: Der XK120 rollt unversehrt in den Parc Fermé