Alfa Romeo Montreal – Bella Donner: Capitano Futuro

Der Alfa Romeo Montreal zählt (noch) zu den unterbewerteten Klassikern. Betörende Formen und ein aus dem Rennsport stammender Achtzylinder sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein ungepflegtes Exemplar seinen Besitzer wirtschaftlich und nervlich in den Ruin treiben kann

Vor den harten Fakten zum Alfa Romeo Montreal muss ich diese fast unglaubliche Geschichte erzählen: Es sind die wilden 1960er – noch vor der Studentenrevolte und der Mondlandung. Das heißt, dass die gewaltigen gesellschaftlichen und technischen Revolutionen sich alle gerade erst am Horizont abzeichnen. Alles scheint in Zukunft machbar.

Junge Mädchen wollen nicht mehr wie Mutti am Dreiplattenherd versauern, doch anstatt von der völligen Emanzipation träumen sie noch von der Nuklearküche, in der sich ein Dinner vollautomatisch selbst zubereitet, damit sie mehr Zeit zum Schminken haben. Bis zum Jahr 2000, das als großes Datum in noch so weiter Ferne liegt, sollte es wohl so weit sein.
Bei den Jungs sieht das nicht viel anders aus, wobei ihr Fokus statt auf Schminke auf der Raumfahrt und futuristischen Transportmitteln aller Art liegt. Natürlich auch auf Autos. Bis zum Jahr 2000 müssten wir uns alle in fliegenden Untertassen von A nach B bewegen können, glauben sie. Genährt werden diese Sehnsüchte und Erwartungen von der zeitgenössischen Jugendliteratur.

Wirkt noch immer etwas „wie vom anderen Stern“ – der Montreal zählt zu den unterbewerteten Klassikern

Und von einem Automobilhersteller aus Italien, der schon 1952 ein Auto mit der Bezeichnung „Disco Volante“ kreiert hatte: Alfa Romeo. Wer sonst (außer vielleicht Citroën) sollte also auf einer Nabelschau der technischen Möglichkeiten wie der Weltausstellung in Montreal im Jahr 1967 berufen sein, eine Studie für das „Auto der Zukunft“ zu präsentieren?

Dass man erst wenige Wochen vor Messebeginn den Auftrag dazu erhält, ficht doch einen Italiener nicht an – das schaffen die schon irgendwie. Hauptsache, die Optik stimmt. Mit einem Messeauto fährt sowieso keiner herum. Deshalb genügt es vollkommen, den Besuchern ein schönes Märchen zu präsentieren: Von einem Supersportwagen mit einer atemberaubend geschneiderten Karosserie und Mittelmotor. Natürlich, denn das gilt schon damals als ultima ratio einer ausgewogenen Gewichtsverteilung.

Für das herrliche Blechkleid zeichnet Marcello Gandini, Chefdesigner bei Bertone, verantwortlich, der sich ein Jahr zuvor bereits mit dem Lamborghini Miura einen Spitzenplatz in der Hall of Fame der Autodesigner verdient hatte. Etwas höher von Statur gerät der Prototyp für das Alfa-Coupé der Zukunft, schließlich sollen auch weiter hinten stehende Messegäste den Wagen bewundern können. Der wirkliche Grund für die Fahrzeughöhe ist allerdings ein anderer, beinahe peinlicher. Und von dem sollen die Messegäste möglichst gar nichts erfahren, denn er lässt die schillernde Märchen-Seifenblase vom raketenschnellen Zukunftsauto abrupt zerplatzen. Weil die Zeit so knapp ist, dass man für das Auto nicht nur keine andere Bezeichnung als die des Veranstaltungsortes „Montreal“ findet, machen die Alfa-Ingenieure das, was sie schon immer machten, wenn Zeit und Geld knapp waren: Sie bedienen sich im Baukasten der in Produktion befindlichen Serienfahrzeuge, und da gibt es 1966/67 genau genommen nur die Giulia-Derivate (Limousine, „Bertone“ Coupé GT und Spider), die „untenherum“ alle gleich aussehen und auch die gleiche Antriebseinheit besitzen. Also nichts wie rauf mit dem schicken Monti-Blechkleid auf ein handelsübliches Giulia-Chassis, dem gleich auch noch der 1,6-Liter-Vierzylinder unter der Haube erhalten bleibt. Oder anders ausgedrückt: Auf der Messe steht ein Mittelmotor-Fake mit „Lüftungsschlitzen“ hinter der B-Säule) als Supersportwagen mit 106 PS unter der Haube…

Einer der beiden gebauten Monti-Prototypen von der ’67er Weltausstellung steht im leider nicht mehr zugänglichen Werksmuseum in Arese. Und es stimmt: Unter seiner Haube arbeitete ein 1,6-Liter-Vierzylinder aus der Giulia als Rangierhilfe

Doch das Rezept geht letztlich auf – das Märchen obsiegt über die traurige technische Wahrheit. Die Zuschauer bejubeln den Star im Rampenlicht und die Fachpresse tut es auch. Was wiederum Alfa Romeo dazu bewegt, eine Serienfertigung in Angriff zu nehmen. Dabei ist eines klar: Mit dem Motor kann das nichts werden, also noch mal ins Regal gegriffen und einen faszinierenden V-Achtzylinder mit 2,6 Liter Hubraum herausgekramt, dessen einzelne Zylinderbänke verdächtig nach Giulia & Co. aussehen. Ein reinrassiger Rennmotor (zunächst mit 2,0 Liter Hubraum für die LeMans-Sieger Tipo 33, später mit 2,6 Liter für den Tipo 33 Stradale), dessen Leistung für die Standfestigkeit von 230 PS auf 200 PS zurückgenommen und der mit einer eigenwilligen mechanischen Spica-Einspritzanlage bestückt wird.

Und das Fahrwerk? Bleibt das aus der Giulia. Damit das Auto nicht allzu teuer wird. Mit exakt 35.000,- D-Mark liegt der Montreal ein paar Tausender über dem teuersten Porsche 911S und auch über dem Citroën SM. Den Preis hält Alfa übrigens während der gesamten Produktionszeit von 1970 bis 1977 stabil, was allerdings nichts daran ändert, dass die Gesamtstückzahl nur irgendwo zwischen 3.917 und 3.925 Exemplaren liegt.

Das hatte das tolle Auto mit dieser herrlich kuriosen Historie nicht verdient, und es macht ein anderes Problem deutlich, das erst jetzt – im Klassikeralter – zutage tritt: Die Ersatzteilversorgung ist vielfach sehr problematisch und bewegt sich preislich erwartungsgemäß auf Supersportwagen-Niveau. Außerdem kennen sich mit der Überholung und Einstellung der Spica-Einspritzanlage hierzulande nur noch eine knappe Handvoll Spezialisten aus.Das alles und auch der obszöne Verbrauch von 15 bis 20 Liter auf 100 Kilometer ist allerdings vergessen, wenn der V8 mit ruhmreicher Vergangenheit so herrlich zornig grollt. Er tut dies übrigens längst nicht so „porno“ wie typische US-Achtzylinder oder auch wie das charakteristische Ferrari-Gekreische – viel dezenter, dabei aber in jedem Drehzahlbereich ungemein sonor und potent wirkend. Das liegt am Winkel der Kurbelwellenzapfen, der beim Tipo 33-Motor wie auch beim Monti 180 Grad beträgt, während die meisten US-Cars um 90 Grad versetzte Kurbelzapfen und somit andere Zündabstände der einzelnen Zylinder haben.

In meinen ganz persönlichen (zugegebenerweise Alfa-eingeschworenen) Ohren ist es jedenfalls die herrlichste Motoren-Musik aller von mir jemals für Kaufberatungen gefahrenen Autos. Ich würde ihn deshalb auch sofort mitnehmen, unseren Foto-Monti aus den Hallen der Garage 11 in Hamburg, wenn ich denn die aufgerufenen 25.000,- Euro gerade flüssig hätte und nicht selbst schon ziemlich „satt“ mit Autos wäre. Hier darf also jemand anders ran. Keine TRÄUME-WAGEN-Kaufberatung allerdings ohne eine Detailbetrachtung der möglichen Schwachstellen, von denen es beim Montreal durchaus einige gibt.