Leserauto: 1957 Lincoln Premiere Coupé von Horst Reinecke

Der Lincoln Premiere Coupé eröffnet eine neue Dimension. Zwei Tonnen Edelblech, sechs Liter Hubraum, 300 PS und zwölf Quadratmeter Grundfläche. War der Dino schon 1957 eine Klasse für sich, ist er heute das Klischee der American Car Culture schlechthin

Während hierzulande Messerschmitt Kabinenroller, Zündapp Janus und NSU Prinz mit jeweils eigenen Attributen für beengte Fortbewegung sorgten, räkelte man sich in den USA in Leder, Luxus, Hubraum und unendlich viel Platz. Die erfolgreiche Edelmarke Cadillac galt als Inbegriff verschwenderischer Autokultur, bei Ford  in Dearborn wurden nichtsdestotrotz eifrig Pläne geschmiedet, den Platzhirsch vom Thron zu stoßen. Henrys Erben setzten zum Wettrüsten an und brachten 1957 mit einem bis dato unvorstellbar sportlichen Lincoln einen Konkurrenten ins Spiel, der in puncto Luxus gleichzog: den Premiere. Länger und breiter als der flossenbewehrte Eldorado, mit in Chrom gemeißeltem Zierrat und mehr umbautem Raum als manche deutsche Wohnstube aufwies, war das Riesenschiff eine deutliche Ansage an die Teppichetage von GM – hey, wir können es auch!

Heute einem Lincoln Premiere zu begegnen, ist so selten wie ein Sechser im Lotto. Nur 15.185 Hardtop-Coupés verließen die Produktionsstätte in Michigan, der horrende Preis von 5.000 Dollar (seinerzeit ca. 31.000 DM) entsprach dem Sechsfachen des bundesdeutschen Durchschnittseinkommen von damals 5.000 DM! Entsprechend wenige kamen daher nach Europa, wenn überhaupt, landeten sie am ehesten in der betuchten Schweiz. Das rot-weiße Prachtstück von Horst Reinecke hat eine ähnliche Vita. Produziert am 5. Oktober 1957, lief er die ersten zehn Jahre in New York, bis ihn ein Privatsammler in – na? – die Schweiz importierte. In den nächsten 53 Jahren wechselte er viermal den Besitzer, jeweils unter Sammlern.

Und nun kommt Horst ins Spiel. Schon länger liebäugelte er mit dem 56er Lincoln des Schwagers, der allerdings in desolatem Zustand war (das Auto, nicht der Schwager …). Horst nahm Abstand, zu viel Arbeit, zu viele unvorhersehbare Schwierigkeiten bei der Resto. Eher zufällig entdeckte der Vor-Ruheständler den prachtvollen Premiere im Internet und wurde mit dem Vorbesitzer schneller einig als er „Lincoln“ sagen konnte: Horst akzeptierte den geforderten Preis ohne Ansehen – „es war ja Corona“ – , versprach Barzahlung, der Schweizer schickte ihm die Originalpapiere (!) und die Geschichte nahm ihren Lauf. „Dass der mir den Originalbrief geschickt hat, kann ich bis heute nicht glauben,“ ist Horst immer noch fassungslos, „soviel Vertrauen ist schon mehr als ungewöhnlich.“

Es ist alles gutgegangen, die Überführung des Schlachtschiffs nach Deutschland war eine Show für sich, die die Schweizer-Deutschen Zöllner so schnell nicht vergessen werden. Reihenweise drückten sie sich die Nasen am Fenster der Prachtkutsche platt, zumal nicht der Lincoln alleine für Aufsehen sorgte: Gezogen vom roten RAM des Schwiegersohns, kam der rote Zweitonner nochmals besser zur Geltung. Auf der Ladepritsche des RAM befand sich übrigens quasi das gleiche Auto nochmal in Teilen: Der Schweizer hatte alles, wirklich alles, was an Ersatzteilen aufzutreiben war, gehortet. So shuttelten Horst und Björn vor genau einem Jahr mit 16 Chromfelgen, neuer Wasserpumpe, neuer Lichtmaschine und zahllosen Preziosen auf der Pritsche und dem Coupé am Haken unter frenetischer Anteilnahme der anderen Verkehrsteilnehmer Richtung Heidelberg.

Drei Monate lang ließ Horst sein Schätzchen vom Spezialisten Sebastian Schwarz in Hahnstätten durchchecken, umrüsten, Buchsen, Bremsen Reifen etc. erneuern, durch die TÜV-Vollabnahme laufen und konnte ihn im April endlich zulassen. Die erste Fahrt war eine Offenbarung: Der Zweitonner lässt sich mit dem kleinen Finger bewegen, der Lincoln marschiert erhaben und leichtfüßig voran, allein das tiefe Grollen lässt ahnen, was da für Kräfte wirken. Die großzügig dimensionierten Powerreserven des Sechsliter-V8 im Verbund mit all den Elektromotoren und Helferlein erfordern keinerlei Krafteinsatz,  die Krönung damaliger Motorentechnik bollert basslastig unter der Motorhaube, hat – theoretisch – genug Bumms für Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h und bläst das unkatalysiert verbrannte Super selbstbewusst aus den Endrohren raus.

Natürlich kommen sie, die blöden Fragen der Neider und Nörgler nach dem Verbrauch. Horst trägts mit Humor. „An guten Tagen reicht ihm ein Liter Bier auf 100 km“, gibt er höflich zu Protokoll und feixt im Stillen über die perplexen Gesichter. Was der Dino braucht? Völlig wurscht, man fährt ihn ja nicht quer durch die Republik und außerdem ist der Hochgenuss am Volant jeden Tropfen Sprit wert. Und dazu die Huldigungen der begeisterten Bewunderer. Daumen hoch, Handy raus, Winken, Lachen und unverhohlene Anerkennung sind die ständigen Begleiter, wenn Horst mit seiner Angetrauten Silvia im Premiere unterwegs ist.  Der Mann genießt und schweigt. „Es ist schon etwas ganz Besonderes, dieses Auto zu bewegen“, zieht er Bilanz, „der bleibt in jedem Fall in der Familie.“ Verständlich, auch Sohn Tobias war nach 30 exklusiven Minuten am Steuer total angefixt, und dass der Premiere sogar als Vorbild für das 1960 lancierte Batmobil diente, holt den Dino auch aus der Ecke des rein klassisch-seriösen Glamours heraus.

Wobei: Glamour kann er. Bei diversen hochrangigen Councours in der Schweiz und in Deutschland sorgte der Premiere für Furore, im nächsten Jahr geht es weiter mit der Tour d´Élegance. Nun ruht er erstmal im Winterquartier in Horsts 7×7-Meter-Garage. „Er hat keinerlei Rost, alles ist original und ungeschweißt und das soll auch so bleiben“, sorgt sich der fürsorgliche Eigner um seinen Schatz. Bleibt mehr Zeit für Recherchen. Mittlerweile kennt Horst alle vier Schweizer Vorbesitzer persönlich, hat alles dokumentiert, was mit seinem Lincoln zusammenhängt und kennt jedes Detail in- und auswendig. Und dann gibt’s ja noch den 56er des Schwagers. Vielleicht wagt sich Horst doch noch an die Resto? Wer einmal vom Lincolnfieber gepackt ist, wird es nicht mehr los. Und zwei Dinos in Heidelberg wären bestimmt eine größere Attraktion als das Schloss und die vielbesungene Altstadt zusammen …

Technische Daten

Lincoln Premiere Coupé

Baujahr: 1957
Motor: V8
Hubraum: 6.029 cm3
Leistung: 221 kW (304 PS)
Max. Drehm.: 463 Nm bei 4.600/min
Getriebe: 3-Gg. Automatik
Antrieb: Hinterräder
L/B/H: in mm 5.664/2.036/1.445
Gewicht: 2.160 kg
Beschleunigung: 0-100 km/h in 11,6 s
Top-Speed: 205 km/h
Preis 1957: 5.000,- Dollar (ca. 31.000,- D-Mark)

Text: Marion Kattler-Vetter, Fotos: Stefan Gerhauser

 

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