Leserauto: Andy Hägglund und seine 70er Plymouth AAR und Hemi Cuda

Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum? Ist zwar in allen Petrolhead-Köpfen eingemeißelt, stimmt aber trotzdem nicht. In der Automobil-Geschichte hat es ein paar gute Gegenbeispiele gegeben, die den fetten Big Block Muscles einen kräftigen Tritt in den Hintern gegeben haben. Die beiden 70er Plymouth ‚Cudas aus dem hohen Norden gehören dazu

Er ist nicht zu übersehen, rockt mit seinem High-Impact-Lila und offenbart Insidern seine Abstammung durch drei Buchstaben: AAR. Der Plymouth AAR Cuda basiert auf dem Plymouth Barracuda, einem zweitürigen Coupé, das 1970 für die Sports Car Club of America -Trans Am Serie zum Rennwagen umgebaut wurde. AAR steht für Dan Gurney’s All American Racer Team. Der ‚Cuda wurde als Konkurrenz zu Camaro Z/28 oder Mustang Boss 302 in die Rennserie geschickt, in der nur Motoren bis fünf Liter starten durften, dafür griff man auf einen modifizierten 340-cui-Small-Block-V8 zurück. Für die Homologation waren mindestens 1.900 Stück fällig, was Plymouth mit dem Optionspaket AAR erfüllte. Die Zivilversion bekam ebenfalls den 340-cui-V8, aber statt des Vierfach-Vergasers des Rennwagens die dreifache Doppel-Anlage „Sixpack“, die den 290 PS starken 5,5-l-V8 zufriedenstellend fütterte.

Als Kraftübertragung kam der AAR in der Serienversion mit Viergang-Schaltgetriebe, auf Wunsch gab´s eine Dreistufen-Automatik. Eine Hinterachse mit Sure-Grip-Differenzial und ein Heavy-Duty-Fahrwerk mit Stabilisatoren vorne und hinten brachte die Power auf die Straße, Scheiben vorne und Trommeln hinten sorgten für die Verzögerung. Der AAR bekam zudem einen besonderen Auspuff, der seitlich vor den Hinterrädern unter der Karosserie hervorlugt, dazu kleine Spoiler an Front und Heck. Die seitliche Kriegsbemalung, ein 23-teiliger Strobo-Stripe mit ‚Cuda AAR -Logo, warnte in Kombination mit schreienden High Impact Colors potenzielle Ampelgegner höflich vor – man weiß ja, was sich gehört …

Plymouth entschied zwar die Trans-Am-Rennserie 1970 nicht für sich, baute aber stolze  2.724 AAR ‚Cudas. Nach einem halben Jahrhundert sind sie verständlicherweise dünn gesät, einem echten AAR in freier Wildbahn zu begegnen, ist zumindest in Europa eine Herausforderung. Um so erfreulicher, dass auf die TRÄUME WAGEN Community Verlass ist: Andy Hägglund aus Stockholm kann weiterhelfen. Der 49-Jährige ist ein echter Musclecar-Maniac. Als Knirps träumte er vom Volvo P44, Papas Auto, in dem er stolz thronte und dass er tatsächlich bis heute besitzt: eine 57er Erste-Hand-Reliquie! Ende der 80er packten ihn dann der American Way of Drive, als er mit seinen Kumpels in einer Bushaltestelle abhing und ein paar aufgerüschte US-Cars Kreise um sie drehten. Das war´s, so einen musste er haben – coole Muscles beherrschten fortan Andys Träume.

Es sollte noch ein paar Jahre dauern, bis sie real wurden. Viele Autos kamen und gingen, aber so richtig was fürs Herz war nicht dabei. Nach einem Jahr Auslandsjob in Berlin Mitte der 90er war es soweit, das Geld für einen richtig fetten Ami war beieinander. Bloß – es gab keinen! Andy suchte rauf und runter im Netz und entdeckte schließlich einen in Nordschweden: ‚Cuda, lila, ohne Motor. Der sollte es sein. Mit seinem 200er Diesel-Benz  und Anhänger im Schlepp fuhr er den weiten Weg nach Norden und es folgte eine Riesenenttäuschung: Der rottige ‚Cuda war alles andere als in Li-La-Laune, Andy nahm Abstand und juckelte verärgert wieder zurück. Den potenziellen Verkäufer plagte das schlechte Gewissen und er nannte Andy einen Kumpel, der seinen ‚Cuda verhökern wollte. Also nochmal die Höllentour, diesmal ohne Benz und Hänger, dafür per Anhalter durch Schweden. Und diesmal klappte es: Dieser 70er AAR, ebenfalls in krassem Lila, hatte einen reparierten Unfallschaden und stand mehr oder weniger ordentlich restauriert da. Deal!

Auf eigener Achse ging´s nach Stockholm, eine abenteuerliche Fahrt, bei der sich unter anderem der Regler verabschiedete. Irgendwie kamen die beiden doch an und Andy fuhr den ‚Cuda ein paar Jahre, ärgerte sich mit permanenten Kupplungsproblemen herum und entschied: Den restauriere ich, diesmal aber richtig. Das war 1999, fertig wurde der Muscle 2008! Umzüge, anspruchsvolle Jobs, nicht zuletzt die Familie zogen das Projekt in die Länge, aber: Es hat sich gelohnt. Andy machte die Komplettresto im Alleingang, nur beim Überholen des 340-cui-V8 und bei der Lackierung – natürlich in original plum crazy – hat er sich helfen lassen. Nicht original ist lediglich eine kleine LED in der Heckscheibe, die als dritte Bremsleuchte fungiert, sowie ein 5-Gang-Tremec-Getriebe, das anstelle des ursprünglich verbauten 4-Gang-Getriebes für bessere Übersetzung sorgt. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass der ‚Cuda ursprünglich ein Rennauto in der Autoszene Stockholms und in den 80ern das schnellste Auto in der Hauptstadt war. Das AAR am Heck ist also echt!

Andy hat es nicht bereut, sich auf den Survivor eingelassen zu haben. Auf den Track lässt er ihn nicht, der Muscle hat die Straße als Revier und wird für Touren mit der Familie durch Schweden, nach Finnland und auch mal nach Irland eingesetzt, mit den Mopar Guys auch zu Shows, einschlägigen Treffen und natürlich zum Power Big Meet. Und wie das so ist: Einmal angefixt, immer angefixt. Obwohl seit neun Jahren auch noch im Besitz eines stark reparaturbedürftigen Challengers, hielt Andy Ausschau nach einem weiteren ‚Cuda, diesmal sollte es der legendäre Hemi mit 426 cui sein – volle 7 Liter. Richtig Kraft, richtig teuer und richtig selten. Im Sommer 2020 fand er ein Angebot in Finnland und schaute ihn sich erst mal – ohne Hänger – an: nicht gerade im Show-, aber ordentlichem Zustand, vom Vorbesitzer restauriert. Kaufen oder nicht kaufen? Schließlich herrschte allerorten Corona-bedingte Flaute, aber was soll´s: Andy feilschte mit dem Finnen und tauschte schließlich seinen Challenger gegen den Hemi-‚Cuda, Hin- und Hertransport per Trailer inbegriffen.

Zu Restaurieren gabs nicht viel, Andy spendierte dem 70er neue Teppiche und hatte ansonsten noch genug von der ersten Resto. Er beschloss, den Hemi erst mal zu fahren. Und wie er fährt! Die immense Leistung von 425 PS kommt vom 426-cui-Hemi-V8, der an ein dreistufiges TF 727 Torqueflite-Automatikgetriebe gekoppelt ist. Oben auf dem 7-Liter-Motor thronen zwei Vierfachvergaser – versteckt durch den großen Luftfilter, der durch die Shaker-Hood ragt. Die Lufthutze lässt die ellenlange Motorhaube richtig schön schütteln, der ‚Cuda schießt in 5,9 Sekunden auf 100, erst bei knapp 200 ist Schluss. Vorne gibt’s Einzelradaufhängung, Drehstabfedern und Gasdruckstoßdämpfer, hinten Starrachse, Blattfedern und Gasdruckstoßdämpfer, „Dog Dish“-Radkappen machen die originale Optik perfekt. Die nüchterne Ausstattung ohne Klima und Servo macht klar, dass hier die Leistung im Vordergrund steht – Andys Hemi ‚Cuda ist eine echte Zeitkapsel, ein originaler R-Code Hemi und natürlich kein Clone.

So besteht das einzige Problem des stolzen Eigners eigentlich nur in der Wahl, welchen er aus der Garage holt. Den AAR im Showcar-Zustand oder den bösen Hemi in Driver Condition? Da beide nur für Freizeit und schönes Wetter genutzt werden, eine echt harte Entscheidung, aber „ein Luxusproblem“, grinst Andy. Im richtigen Leben fährt er einen Mercedes Hybrid, von dem Uralt-200 D hat er sich längst verabschiedet. Und dann gibt’s noch einen Dodge Van als Packesel für bauliche und sportliche Aktivitäten. Wie gesagt: Einmal Ami, immer Ami. Schließlich ist man den seligen Mopar-Zeiten verpflichtet …

Technische Daten

Plymouth Cuda AAR

Baujahr: 1970
Motor: V8
Hubraum: 340 cui/ 5.571 cm3
Leistung: 213 kW (290 PS)
Max. Drehm.: 452 Nm
Getriebe: 4-Gg. manuell 
Antrieb: Hinterräder
L/B/H in mm: 4.740/1.890/1.293
Gewicht: 1.435 kg
Beschleunigung 0-100 km/h in 5,9 s
Top-Speed: 189 km/h

Technische Daten

Plymouth Hemi Cuda

Baujahr: 1970
Motor: V8
Hubraum: 440 cui/ 6.981 cm3
Leistung: 317 kW (431 PS)
Max. Drehm.: 664 Nm
Getriebe: 3-Gg. Aut.
Antrieb: Hinterräder
L/B/H in mm: 4.740/1.890/1.293
Gewicht: 1.720 kg
Beschleunigung 0-100 km/h in 5,9 s
Top-Speed: 196 km/h

Text: Marion Kattler-Vetter, Fotos: Mario Klemm

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