Leserauto: Jerome Petitjean und sein Datsun 510

Zurzeit erinnern sich fast alle großen Automobilhersteller an ihre Geburtsstunde. Nicht nur europäische und amerikanische Hersteller haben eine stolze Geschichte, auch die Söhne Nippons mischen seit gut 100 Jahren mit. Jerome hat mit dem Datsun 510 einen besonders seltenen Vogel aus Fernost

Datsun ist der älteste existierende Automobilhersteller Japans, hieß ursprünglich Datson und gehört seit 1934 zur Nissan Motor Co. Ltd. Der 1912 in Produktion gegangene Dat war der erste von einem japanischen Automobilhersteller produzierte Pkw und markierte für Japan den Beginn des Aufstiegs zur Autonation. 1957 wagte Nissan den Sprung nach Europa. Trotz günstiger Preisen, guter Ausstattung und neutraler Optik wurden die Japaner im Wirtschaftswunderland eher belächelt, sie galten als graue Mäuse, als krude Exoten, die kaum jemand auf dem Schirm hatte. Ein Grund, weshalb Oldtimer aus Fernost heute selten sind, sieht man mal von den gehypten Z-Modellen ab.

Und doch gab es immer schon Individualisten, die sich nicht um die Häme über die  Mauerblümchen kümmerten und deren Pflege und Wartung übernahmen. Der Großvater von Jerome betrieb bereits in den 70er-Jahren eine Datsun-Werkstatt im Schweizer Kanton Baselland. Mit seinem Datsun Cherry 100A und dem Nissan Skyline C10 aus den frühen 70ern fuhr er damals schon Rennen. Sein Sohn, Jeromes Vater Claude, setzte noch eins drauf und beschloss nach einem erfolgreichen Slalomrennen in Basel, ein spezielles Rennfahrzeug für die Schweizer Meisterschaften auf Basis des Datsun Z zu bauen. Für 500 Franken wurde ein 260 Z Coupé gekauft, komplett zerlegt, vom Ballast befreit, fahrwerkstechnisch verstärkt und  immer weiter getunt und verbessert, sodass Claude und sein Z zu gefürchteten Abräumern bei internationalen Bergrennen wurden. Mit seiner Firma „Classic Car Performance“ verhilft der Z-Spezialist inzwischen auch vielen anderen Anhängern des „Fair-Lady“-Kults zu Erfolgserlebnissen in professionell umgebauten Performance- und Showcars, fährt neben seinem Z-Racer einen superseltenen Laurel 2400 GT und man kann behaupten, dass Claude es zum ungekrönten Papst nicht nur der Schweizer Datsun-Szene gebracht hat.

Logisch, dass die dritte Generation, nämlich Jerome, ebenfalls auf Datsun abfährt. Als ihn der Führerschein endlich vom Beifahrerdasein erlöste, stellte sich die Frage: Was fahren? Für den angehenden Automobilfachmann eine klare Sache: ein Nipponcar der 60er, 70er oder 80er. Ebenso klar: AUF KEINEN FALL EINEN Z! „Den gibt’s einfach zu oft“, so die lakonische Begründung des heute 31-Jährigen. Über 27 Ecken, mithilfe von Kollegen, Freunden und Bekannten, die alle wiederum Kollegen, Freunde und Bekannte hatten, fand sich 2008 ein rarer 1970er Datsun 510 in recht guter Verfassung. Der 510 war von 1967 bis 1973 eine Serie des Datsun Bluebird, schrieb Geschichte mit Rallye-Erfolgen außerhalb Japans und ebnete den Weg für steigende internationale Verkaufszahlen.

Kaum war der 38-jährigen Oldie auf dem Hof, fing Jerome auch schon an, ihn zu zerlegen. Offenbar schlugen die väterlichen Gene durch: Die Karre musste perfekt werden, von der ursprünglichen Idee, den 510 als Daily Driver zu nutzen, hatte sich der stolze Besitzer schnell verabschiedet. Innerhalb von drei Jahren hat Jerome den unscheinbaren Oldtimer komplett selbst restauriert. Die Kurzfassung: alles auseinander und abschleifen, komplette Mechanik samt Motor und Getriebe raus, Vorderachse (Federbeine, Stabilisator, Federn, Fahrschemel, Querlenker etc.) und Hinterachse zerlegen, sandstrahlen, pulverbeschichten, kleine Rostlöcher vom freundlichen Kollegen schweißen lassen, Rennfahrwerk rein (Tokico Stossdämpfer, Nismo Fahrwerksfedern, Sport Stabilisator), neue Bremsscheiben, -backen, -zylinder und -beläge, Polybush Kit, Sitze, Teppiche etc. vom Sattler runderneuern und die ganze Pracht nach schweißtreibender Vorarbeit vom Fachmann lackieren lassen.

Klingt nach viel Arbeit? War viel Arbeit, dafür erstrahlte der 510 dann auch zu 100% so, wie sein Meister es wollte. Halt, eines störte den jungen Besitzer noch extrem: der schäbige Kofferraum des 510er. Statt ihn neu zu lackieren, baute er das Gepäckabteil kurzerhand komplett um, ließ sich Holzplatten zuschneiden, schliff das Mittelteil des Heckblechs sowie die Bügel vom Heckdeckel an und spritzte sie mattschwarz. Dann wurde weicher Teppich auf die Radmulden und ans Heckblech geklebt, was sich als nervenzerrüttende Arbeit herausstellte, da sich die zahlreichen Rundungen dem Kleber bockig widersetzten. Als Krönung des Ganzen wurde der Teppich für die Tankabdeckung mit dem originalen 510er Logo in Silber bestickt und auf der Innenseite des Heckdeckels prangt ein Autogramm von Rallyemeister Sebastian Loeb. Sie sehen schon: Einmal Freak, immer Freak …

Der 1.6 Liter Motor wurde mit Vaters Hilfe neu abgedichtet, gereinigt, neu geduscht und läuft bis heute nach einigen Fehlschlägen rund. Zu guter letzt gab´s nach drei Jahren Arbeit den Segen der schweizerischen MFK-Prüfung. „Nach 40 Minuten war er als Veteranenfahrzeug durch“, so der stolze Eigner, „die ersten Ausfahrten im Herbst 2010 waren ein großes Vergnügen. Das Fahrwerk ist ausgezeichnet und egal, wo der Datsun 510 auftaucht – die Zuschauer sind garantiert!“ Seitdem sind elf Jahre vergangen und Jeromes Begeisterung für seinen Nippon-Klassiker hat noch zugelegt. Mittlerweile bekam der 510 eine Webervergaseranlage samt Ansaugbrücke, eine elektrische Benzinpumpe von Nismo, ein Zylinderkopftuning mit von 27 auf 40 mm aufgefrästen Einlasskanälen, eine BRE Street Race Nockenwelle, eine individuell angefertigte Edelstahlauspuffanlage sowie neue Sportsitze im Retrostyle mit Hosenträgergurten – alles in Eigenregie in Vaters Werkstatt realisiert.

Im Winter 2019 wurde mit Claudes Unterstützung der Motor revidiert und getunt, also  Kurbelwelle raus und inkl. KW Pully, Schwungrad und Kupplung wuchten lassen. Dabei wurden sämtliche Kurbelwellen- und Pleullager sowie die Steuerkette ersetzt.

Jetzt ist erstmal Ruhe, der Oldie rennt und Jerome kann in Ruhe genießen. Beweisen muss er sich nichts mehr, sein 510 ist ein Show Car, das er nur bei schönem Wetter aus der Garage holt. Die beiden machen viele Ausfahrten, besuchen Oldtimertreffen und sonstige Oldtimerevents, machen Showfahrten und genießen das ungläubige Staunen der Unwissenden, die den Viertürer als „Reisschüssel“ ohne Charisma abtun. Im Alltag fährt Jerome – natürlich – auch einen Datsun, einen 160J SSS von 1979, der abgesehen von einer sorgfältigen Revision und einer schwarz folierten Motorhaube komplett original ist. Und wenn dann wirklich Sauwetter die Berge verdunkelt, kommt ein 1999er Subaru Legacy zum Einsatz – man sieht schon, Jerome bleibt seiner Nippon-Liebe treu.

Gibt´s nach 1000 Arbeitsstunden mit Blut, Schweiß und Tränen für den 510 noch Lust auf was Neues? „Ja klar“, grinst der sympathische Eidgenosse mit dem Rauschebart, „ein Datsun 521 Pick-up wäre cool, den gab´s nie in der Schweiz. Oder eine Dodge Viper – man wird ja noch träumen dürfen …“

Technische Daten

Datsun 510

Baujahr: 1970
Motor: Vierzylinder
Hubraum: 1.595 cm3
Leistung: ca. 110 PS
Max. Drehm.: 125 Nm bei 4000/min
Getriebe: 4-Gang manuell 
Antrieb: Hinterräder
L/B/H in mm: 4.145/1.560/1.435
Gewicht: 910 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: k.A.
Top-Speed: ca. 200 km/h

Text: Marion Kattler-Vetter, Fotos: Mario Kopp und Manuel Frey

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