Leserauto: Mario Mayer und sein 1969er Ford Fairlane 500 Convertible

Wenn du in einem Trabant aufgewachsen bist, kann dich die automobile Sehnsucht schon mal ins andere Extrem schubsen. Mario Mayer hatte sich deshalb hohe Ziele gesetzt: Mit 40 wollte er einen eigenen Ami fahren. Er erfüllte sich diesen Traum, und er machte keine halben Sachen: also gleich einen Fairlane 500 Convertible. Die feuerrote Familien- kutsche donnert brutal ihr raues Lied durch die Thüringer Berge

 

Ach ja, die DDR. Längst sind die Blicke der Alten abgeklärter, längst ist nach dem Fall des Vorhangs und dem Aufräumen der Bühne klar, wo die Probleme damals lagen und heute liegen. Nicht alles war schlecht. Aber wir sind uns einig – der Trabant als sozialistischer Volkswagen mag irgendeinen Kultfaktor haben – den muss man allerdings lange suchen. Also, den Kult. Das ging dem kleinen Mario auch so, als er an endlosen Ferientagen über den Betrieb seines Großvaters stromerte. Der alte Mann handelte mit Fahrzeugen, der Enkel schraubte an Fahrrädern, Mopeds, Eigenbautraktoren und Autos. Mit einem halben Auge schielte er schon damals auf die Autos aus dem Westen, da hörte man ja sagenhafte Geschichten. Nur so richtig drüber reden, das sollte man besser nicht. So ergab es sich auch, dass sein erstes Auto zwar ein Trabant wurde, aber schon gleich danach spülte die Grenzöffnung und die Wieder-vereinigung erst einen BMW und dann ein Honda Civic Coupé ins Thüringische. Vorbei war es mit Plaste Elaste, die Zeiten wurden weder besser noch schlechter – aber die Autos wurden geiler. Auch die Grenze der Definition von „geiler“ ist nicht nach Osten oder Westen offen, aber nach oben. Und das Ziel war klar: ein amerikanischer „Schlitten“, ein „Straßenkreuzer“, einer mit diesem fetten, bassigen V8-Sound. Das absolute Gegenteil vom heiseren „Röm-Pöm-Pöm“ des Zweitakters. Nichts gegen einen süßen kleinen Trabi, aber Marios Traumwagen sah anders aus.

Träume wagen

Schon mit 38 Jahren zog Mario (aus dem inzwischen Herr Mayer geworden war) Bilanz. Zwei Jahre vor seiner selbstgesetzten Schallgrenze. Wenn du hart arbeitest, dann wird was aus dir. Inzwischen war er selbstständiger Maurermeister, das Haus war gebaut und die drei Kinder schon quasi wieder da raus. Einmal tief durchatmen und die Annoncen in der TRÄUME WAGEN, die er seit zwei Jahren etwas genauer durchforstete, mit dem Edding in eine Prioritätenliste umwandeln.

Da stand er dann plötzlich bei der Classic Car Ranch in Minden: ein leuchtend roter 69er Ford Fairlane 500 Convertible, einer von nur 219 Stück mit Einzelsitzen vorn! Er rief ihn, er strahlte ihn an, jedes Chromteil sagte: „Ich will zu dir.“ Mario packte seine ganze Familie in den Alltags-Pathfinder und fuhr hin. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmte, und er kaufte den Wagen direkt aus dem Showroom raus. Die kleinen Umbauten für die deutsche Zulassung und das H-Kennzeichen erledigte die Firma Weineck in Bad Gandersheim, und zwei Wochen später stand das rote Cabriolet in seiner ganzen Schönheit bei Mayers zu Hause im thüringischen Dingelstädt/Eichsfeld. Die Wanne mit den weißen Sitzen lief sahnemäßig und passte wie angegossen. Dabei hatte das Ur-Modell der Serie damals einen etwas unglücklicheren Start.

Midsize mit späten dicken Muskeln

In Detroit stieß man Anfang der 60er-Jahre auf eine vermeintliche Marktlücke. Der Galaxie war über die Jahre riesengroß und schwerfällig geworden, er maß inzwischen über 5,3 Meter Gesamtlänge. Full-size für Anspruchsvolle. Wer es im Kingsize-geprägten Amerika ein wenig kleiner wollte, griff zum Falcon, der seit 1959 mit 4,6 Metern Länge als Kleinwagen über die Highways rollte. In den Köpfen der Designer drehte sich der Geniestreich des Modells dazwischen, irgendwas fünf Meter langes mit einem Reihensechser oder einem kleinen V8, so einem wie damals in den 30er-Jahren. Fairlane.

Klasse, oder? Nein. Was in den Konzernköpfen und den Umfragen funktionierte, sah in der Praxis ganz anders aus. Amerika wollte keine kleinen Motoren, der neue Fairlane verkaufte sich sehr schleppend. Es gab genug Benzin für wenig Geld, warum also sollte man sich weniger Hubraum als der Nachbar in die Einfahrt stellen? Ford legte umgehend größere Triebwerke nach, und die Verkaufszahlen kletterten. Optische Änderungen erfolgten zum Modelljahr 1966 und 1968, und als sogar die 6,4-Liter-V8-Motoren unter die eckigen Hauben passten, hatte Amerika den Fairlane endgültig lieb. Wie immer musste gegen Ende der Modellreihe noch kurz ein bisschen übertrieben werden, und mit dem 7.0-Liter-Cobra-Jet-Motor eskalierte der relativ kleine Wagen in Dimensionen von 250 kW (335 PS). Wir befinden uns noch immer in den 60er-Jahren, nicht vergessen. In Deutschland waren VW Käfer, Opel Kadett und Ford Taunus das Maß der Dinge. Und der Trabant. 1970 ging drüben auf der anderen Seite des Atlantiks der Fairlane in den Torino über, wer wird nicht gern verwirrt?

Die Rebellin in Farbe und Sound

Vier Jahre ist es her, dass Mario Mayer den Fairlane gekauft hat. Ein paar Kleinigkeiten sind in den dunklen, schneereichen Wintern gerichtet worden. Vor allem die neue Belederung der Sitze, das Aufarbeiten des Armaturenbretts und ein neues Verdeck inklusive Hydraulik haben dem stylischen Hüftschwung-Convertible ein fast neues Aussehen gegeben. Außerdem wurden der Unterboden versiegelt und der Motorraum aufgefrischt, alles in allem war und ist der Wagen kerngesund und immer zuverlässig gefahren.

Das Cabriolet bullert zufrieden im Standgas vor sich hin, während das weiße Verdeck langsam nach hinten surrt. Mario lässt die Sonne Thüringens rein, die Grenze ist nach oben offen. Nein, sein Fairlane hat nicht den Sieben-Liter-Wahnsinnsmotor drin, man gibt sich bescheiden und greift auf vernünftige fünf Liter zurück, die aber trotzdem über 400 Nm Druck nach vorn bringen und für über 180 km/h gut sind. Aber das will ja niemand. Zwei, drei kurze Gasstöße verraten, warum er seinen Ford „Die Rote Zora“ getauft hat. Die aus Kinderbüchern und dem Fernsehen bekannte rothaarige Rebellin als Anführerin einer Bande von Waisenkindern trifft das Wesen des Detroiter Muscle-Cars ganz gut. Das Auto gibt sich rebellisch, weil es nicht nur unfassbar rot, sondern auch extrem laut ist. Über 124 Dezibel blasen aus den beiden glänzenden, geraden Rohren hinten raus, das lässt jeden schlecht gewarteten Benzinrasenmäher vor Neid stottern. Und wenn die Nachbarn sich schon über Rasenmäher beschweren, was sagen sie dann erst über „Zora“ …? – Sie freuen sich. Endlich mal ein Auto, was nicht im silbernen/dunkelblauen/schwarzen Einheitsbrei der glattgelutschten Leasingkarren untergeht, bei denen man von hinten nicht mal mehr die Marke erkennen kann. Auf US-Car-Treffen bildet sich immer eine große Traube Petrolheads um den Fairlane, der schon mehrfach als Hochzeitskutsche hergehalten hat.

Epilog

Passt und läuft. Es liegen viele Jahre zwischen dem ersten Trabant und der Erfüllung des Traums nach einem Ami. Und den gibt Mayer jetzt nicht mehr her. Wir donnern mit der Roten Zora über die geschwungenen Straßen durch das, was vor über 25 Jahren mal die DDR war. Der V8 saugt frische Luft ein, mischt sie mit Superbenzin und setzt die Energie in glücklich machenden Vortrieb um. Hier hat sich viel verändert seit der Wende, aber der Fairlane 500 macht die Welt in Dingelstädt definitiv ein bisschen bunter.

TECHNISCHE DATEN

Ford Fairlane 500 Convertible

Baujahr: 1969
Motor: V8
Hubraum: 4.949 ccm (302 cui)
Leistung: 160 kW (220 PS) bei 4.600/min
Max. Drehmoment: 407 Nm bei 2.600/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.100 / 1.900 / 1.360mm
Leergewicht: 1.730 kg
Top Speed: 180 km/h
Wert: ca. 32.000 Euro

Text und Fotos: Jens Tanz

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