Leserauto: Udo Dreisörner und sein 1956er Karmann Ghia Coupé 14

Typisch Karmann-Ghia: Er findet immer einen Besitzer, der sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Selten einen, der rational PS pro Hubraum berechnet, die Ersatzteilsituation oder gar den Wiederverkauf bedenkt. Für die meisten keine Liebelei, sondern eine heftige Affäre. Ein Blick auf das rote Coupé von Udo Dreisörner beweist es: Wer könnte dem einen Korb geben?

Goldmetallic war er, der Lack bereits verblichen, mit Frontschaden, Halbautomatik und 50 PS. Unrund prasselte der Boxermotor, dunkelgrau nebelte es aus den Endrohren. Egal. Udo wollte ihn sofort, den Karmann. Weil er gold war, eine atemberaubende Form hatte und den Studenten mit seinem Motorklang betörte. Er kaufte, steckte einen Haufen Geld in die Sanierung – und verlor ihn kurz darauf durch einen Unfall. Karmann Nummer 2, ein 71er Cabrio, wurde ebenfalls Unfallopfer, Nummer 3 war ein 71er Coupé und irgendwann in 2002  tauchte Nummer 4 auf, Udos aktuelles 56er Typ-14-Coupé. Nummer 3 wurde verkauft, um die Restauration finanziell zu stemmen und Udo war seinem Jugendtraum, ein möglichst frühes Coupé zu fahren, näher gekommen. Die „Lowlight“ genannten Ghias der ersten Serie wurden bis September 1959 gebaut, Erkennungszeichen: tiefer sitzende Scheinwerfer und  Chromstege für den Lufteinlass.

Udo war zunächst unschlüssig. Der Wagen war komplett zerlegt und auf etliche Kisten verteilt. Sah komplett aus, war es aber letztendlich nicht. Nach einer schlaflosen Nacht kaufte er die Katze im Sack – die Strafe folgte auf dem Fuße. „In der Regel gibt es zwei Zustände beim Karmann Ghia, in denen der Wagen zu retten ist: Europäisches Auto mit schlechter Karosse und guter Innenausstattung oder US-Fahrzeug mit guter Karosse und schlechter Innenausstattung. Bei meinem war alles schlecht, alles kaputt und eigentlich nicht rettbar“, steckt Udo der Schreck bis heute in den Gliedern. Der Wagen forderte das volle Programm, Udo fing zähneknirschend an, Teile zu kaufen und beschloss, erst dann mit der Restauration zu beginnen, wenn alle Karosseriebleche komplett waren. Wenn schon Komplettkur, dann auch richtig, etwas anderes kam für den perfektionistischen Stahlbaukonstrukteur nicht in Frage.

Um es kurz zu machen: Alles, wirklich alles wurde getauscht, Kotflügel, Türen, Haube und Scheinwerfer sind NOS-Originalteile. Die Arbeiten wurden von einem Karosseriebaumeister der alten Schule durchgeführt, Lackierung und Innenausstattung entsprechen dem Auslieferungszustand 1956. Während der Zeit der Restauration von 2002 bis 2007 hatte Udo reichlich Gelegenheit, die erste Serie intensiv kennenzulernen, machte unzählige Fotos, ging zu Karmann-Treffen und hat heute ein profundes Wissen, mit dem er weltweit Lowlight-Restaurationen unterstützt. Dabei ist es alles andere als einfach mit den frühen Ghias. Viele Veränderungen im laufenden Produktionsprozess wurden weder von Volkswagen noch von Karmann dokumentiert, Bauteilunterschiede im Detailbereich sind auf den ersten Blick nicht sichtbar, zudem legten sich weder die Historienabteilung in Wolfsburg, geschweige denn die Nachlassverwalter bei Karmann besonders ins Zeug, um Udo zu unterstützen.

Als das runderneuerte Coupé 2007 erstmals wieder Asphalt sah, zickte der Motor herum. Kurzerhand wurde er ausgetauscht, seitdem fährt Udo seinen Osnabrücker Beau bei gutem Wetter und mit großer Leidenschaft durch ganz Europa. 1,2 Liter, 30 PS, 6 Volt, weder Radio, Tankuhr noch Kilometerzähler, Trommelbremsen und ein 35-Liter-Tank: Da wird Reisen wieder zum Abenteuer. Doch Udo ist glücklich mit seiner Passion. „Deutsche Sachlichkeit mit italienischem Chic – mehr geht nicht“, hält er seinem roten Renner die Treue. Und wer meint, er hätte jetzt genug in Sachen Recherche – weit gefehlt. Das nächste Projekt läuft bereits: Udo hat sich auf die Fährte des rosa Karmann Ghia der seligen Romy Schneider geheftet. „Irgendwann finde ich ihn“, ist er siegesgewiss. Und dann gibt’s ein Buch über das verschollene 56er Cabrio. Mit geballtem Insiderwissen zu den Lowlights, versteht sich …

Text: Marion Kattler-Vetter, Fotos: Udo Dreisörner

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