Lincoln Premiere 1957

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Aufrechte, gerade stehende Doppelscheinwerfer gab es nur 1957. Davor waren sie einfach, danach V-förmig geneigt

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Die Lufteinlässe sind nicht echt, greifen aber als schönes Detail den Neigungswinkel der Heckflossen auf

2007 wurde der Wagen bei einer Auktion in Florida bei Vintage Motor Cars für 50.600 US-Dollar an einen unbekannten Käufer versteigert. Für die Zulassung in Deutschland nahm man die üblichen kleinen Umbauten vor – andere Scheinwerfer, Standlicht, Warnblinkanlage.
Bremskraftverstärker und Wasserpumpe wichen Neuteilen, ebenfalls erneuert wurden der Scheiben­wischer-
­motor und die Dichtungen der vorderen Panoramascheibe. Peter selbst importierte in seinem eigenen USA-Reisegepäck neue Dichtungen für das Triebwerk und das Getriebe und dichtete beides ab. Er entfernte noch leichten Flugrost vom Rahmen und spendierte eine gründliche Hohlraumkonservierung. Das war‘s. In dem Jahr, als aus „Tom and Jerry“ die weltbekannten Simon and Garfunkel hervorgingen und John Lennon in der Liverpooler St. Peter Kirche zufällig auf Paul McCartney traf, zeigten sich die damaligen Autotester vor allem davon begeistert, dass sich die zwei Tonnen Metall, Kunststoff und Öl „mit dem kleinen Finger“ durch den Verkehr bewegen ließen. Das können Peter und Christiane schmunzelnd bestätigen. Der sympathische Mann mit dem grauen Schnurrbart legt am Lenkstock die Fahrstufe ein, tippt leicht auf das Gaspedal und der Lincoln marschiert erhaben, fast sogar leichtfüßig, voran. Nur das tiefe Grollen vorne lässt erahnen, was für Kräfte unbemerkt dafür freigesetzt werden.
Blinken, Abbiegen, an der Ampel stehen oder geradeaus fahren – alles fühlt sich schon nach wenigen Metern völlig normal an, denn die überdimensionierten Kraftreserven des Sechsliter-V8 zusammen mit all den Elektromotörchen und Helferlein erfordern keinerlei Krafteinsatz des Fahrers. Die Krönung damaliger Motorentechnik gullert trocken und basslastig unter der langen Motorhaube und bläst hinten selbstbewusst das unkatalysiert verbrannte Super aus zwei Endrohren raus.

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Dimensionen wie im Brückenbau – bei einer Panne wird der Lincoln an der Stoßstange komplett aufgebockt

Die Ausfahrten im Ammersbeker Exemplar waren nicht von Anfang an so entspannt. Durch zu viel Hitze verursachte Gasblasenbildung im Vergaser, eine Schwachstelle vieler klassischer Autos, ließ den Lincoln in den ersten Monaten selbständig den einen oder anderen Parkplatz aussuchen. Mit 2,2 Tonnen Eisen auf der Bundesstraße direkt vorm Karstadt in Hamburg-Wandsbek oder in einer Baustelle mitten in der Innenstadt einfach stehen zu bleiben sorgte zwar für viel Aufsehen und helfende Hände, ließ aber auch die zehn Minuten bis zum Neustart länger erscheinen als die längste Motorhaube.

Manchmal drängten sich so viele gut gelaunte, neugierige Menschen um das Auto, dass Peter sich regelrecht einen Platz an der geöffneten Motorhaube erkämpfen musste, um seinen Schraubenschlüssel ansetzen zu können. Das Problem ist inzwischen behoben. Die Umwicklung der betreffenden Leitungen mit Wärme leitendem Klebeband und der Einbau eines kleinen Elektrolüfters sind nicht schön, sorgen aber zuverlässig für Kühlung. Alles andere funktioniert einwandfrei, und man gewöhnt sich auch schnell daran, dass die durch Unterdruck gesteuerten Wischer beim Gasgeben kurz stehen bleiben. Die Passanten entlang der Straße sind bei einem pannenfrei rollenden Lincoln nicht minder freundlich, begeistert und gut gelaunt. Entgegenkommende Autos blenden kurz auf, Menschen an Ampeln lachen und winken. Versuchen Sie das doch mal mit einem Ferrari oder einem Porsche 911 – keine Chance.

Lincoln-Premiere-komplett-05Der Lincoln Premiere von Christiane und Peter hat trotz seines Gewichts und seiner wuchtigen Front genug Bumms für Geschwindigkeiten über 200 km/h unter der Haube. So richtig ausprobiert hat das schon damals niemand, mehr als 190 km/h traute man sich nicht, spürte aber noch Potenzial für mehr. Heute, fast 60 Jahre später, stehen diese Geschwindigkeiten in den Sternen wie das glitzernde Teil im Markenlogo. Die originalen Weißwand-Diagonalreifen sprechen klare Worte, wie mit ihnen umzugehen sei. Aber wer will mit so einem Supertanker denn wirklich solche Tempi fahren? Peter auch nicht – obwohl man in den USA noch heute alle relevanten Ersatzteile neu kaufen kann. Der Weg ist das Ziel, und außerdem steuert er eine absolute Rarität durch Norddeutschland: 1957 sind nur rund 35.000 Stück des Premiere gebaut worden, davon 3.676 Cabrios (die heute in Gold aufgewogen werden) und 15.185 Hardtop Coupés. In Deutschland sind nur drei bekannte Premiere aus diesem Jahrgang zugelassen…

TECHNISCHE DATEN
Lincoln Premiere
2-Door Hardtop Coupé

Baujahr: 1957
Motor: V8
Hubraum: 6.029 cm3 (368 cui)
Leistung: 224 kW (304 PS)
Max. Drehmoment: 563 Nm bei 4.800/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.705/2.035/1.435 mm
Gewicht: 2.170 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 10,3 Sek.
Top-Speed: 186 km/h
Wert: ca. 40.000 Euro

Fotos und Text: Jenz Tanz