Mercedes-Benz 560 SL (R107) vs. 280 SL (W113)

Für viele Automobilenthusiasten gelten offene SL-Modelle als das Nonplusultra. Die Roadster-Baureihe mit dem Stern im Grill verkörpert eine erstaunliche technische Tradition und bildet zugleich die konservative Sicht auf das technisch Machbare in einer Epoche ab. Grund genug, sich bei einem Hausbesuch im Mercedes Oldtimerpark Walsrode über eine Ausfahrt zweier Topexemplare der zweiten und dritten Generation besonders freuen zu dürfen

Alte Daimler haben weltweit eine riesige Fangemeinde. Auch in Walsrode kümmert man sich seit 1992 rührend um Oldies mit Stern. In der Fachwerkstatt von André Bethke, dem Mercedes Oldtimer Park, werden Fahrzeuge gewartet, aber auch von Grund auf restauriert und zum Verkauf angeboten. Mit von der Partie sind auch zwei ehemalige Topmodelle der SL-Generationen Nummer zwei und drei, ein 280 SL (W113) und ein 560 SL (R107).

Der erste Allrounder

Als Erbe der sportlichen 190SL- und 300SL Modelle rollte die Pagode (W113) erstmals auf dem Genfer Salon 1963 als 230 SL ins Blitzlichtgewitter der Fotografen. Ihr war bereits im Lastenheft eine Herkulesaufgabe zugedacht worden, denn sie sollte nicht nur zwei Modelle ersetzen, sondern sich als Allround-Gran Tourismo etablieren und den Spagat zwischen gesunder Roadsterhärte und von der konservativen Kundschaft gewünschten formalen Eleganz beherrschen. Ein Sportwagen mit tadellosen Fahrleistungen und Fahrverhalten bei gleichzeitig hohem Fahrkomfort hatte es bis dato selbst bei Mercedes nicht gegeben, entsprechend irritiert fiel die Resonanz des Publikums anfänglich aus.

Die zweite SL-Generation entstand auf Basis der Heckflosse W111, ihre Aura wurde geprägt von Dingen wie dem stark verbesserten Federungs- und Geräuschkomfort, einem gewachsenen Platzangebot und Luxus-Extras wie einem Automatikgetriebe und einer Servolenkung. Daraus resutierend hatte auch das Leergewicht von mindestens 1300 Kilogramm zweifellos etwas unerwartet limousinenhaftes. Vielleicht war die Zeit aber auch einfach reif, die mit dem Wirtschaftswunder der sechsziger Jahre einhergehende Nachfrage zu befriedigen und sich von Klischee des kompromisslosen Fahrmaschine für harte Männer zu verabschieden. Einige Erfolge im Motorsport, wie zum Beispiel auf Langstreckenrallye Spa-Sofia-Lüttich waren zum Glück trotzdem drin und zeugten vom dynamischen Genen der bereits Ende der fünfziger Jahre konstruierten Baureihe. Formal gab nie etwas zu kritisieren: Für die hinreißende klare Linienführung der aufgrund ihrer einzigartigen Dachform Pagode getauften Baureihe zeichnete sich niemand weniger als Designer Paul Bracq verantwortlich: kraftvoll und stämmig, dazu mit einer breiten Spur gesegnet wirkt eine Pagode noch heute wie ein zum Sprung bereites, graziles Raubtier.

Mit dem 1968 nachgereichten 2,8-Liter-Sechszylindertriebwerk fand schlussendlich der charismatische M130-Motor aus der SELimousine den Weg unter die lange Haube. Der drehzahlbetonte Charismatiker leistet maximal 170 PS und fordert selbst im gehobenen Oldtimeralter seine Piloten förmlich dazu auf, ihn bei forscher Gangart heftig bis über 4500 Umdrehungen zu drehen, um sich bei offenem Verdeck umgehend mit einem kernigen Stakkato-Sound belohnen zu lassen

Gedrungene Schwere

Nach rund 50.000 gebauten Exemplaren trat 1971 die Baureihe R107 das Erbe der Pagode an. Ihre sanfte Keilform entsprach dem Zeitgeist der Siebziger und sollte bis 1989 in Sindelfingen vom Band laufen. Breit und geduckt, dazu mit massiven Achtzylinder- Motoren bestückt, strahlt der SL der dritten Generation eine gedrungene Schwere aus. Sein Spitzname „Panzer“ stammte aus der Stuttgarter Entwicklung: Der Entwurf von Hausdesginer Friedrich Geiger wirkte durch seine hohe Seitenlinie und die großen Lampenkörper zwar funktionell vollendet, aber für einen offenen Zweisitzer eben auch vergleichsweise kühl und rational.

Auf dem Papier mindestens 1600 Kilogramm schwer, opferte man das Thema Sport endgültig dem Diktat des Wunsches nach immer Luxus und wandte sich einer reiferen Kundschaft zu. Dem Karosserieaufbau ist der immense konstruktive Aufwand anzumerken. Auch ohne festes Dach wirkt der offene Wagen viel verwindungsfester, aber leider auch nochmals gesetzter als sein Vorgänger.

Ein Highlight ist das exklusiv für den Hauptabsatzmarkt USA gefertigtes Topmodell 560 SL. In der ausschließlich mit Automatikgetriebe ausgelieferten Version hat der Edel-Schwabe einer Pagode ab 1985 nicht nur doppelt so viel Hubraum und einen Dreiwege-Katalysator vorraus, sondern taugt dank immerhin 231 PS Nennleistung unter der Haube zum schnellen Autobahn-Cruiser für große Distanzen. Für den Sprint auf Tempo 100 wurden damals 7,5 Sekunden gestoppt –t kein schlechter Wert für einen komfortabel abgestimmten Beinahe-Oldtimer.

Fazit

Beeindruckende Qualität, technische Brillianz und eine elegante Linienführung machen die Pagode heute zu einem gesuchten und entsprechend teuer gehandelten Klassiker. Die Zeit der Schnäppchen ist vorbei: Für gute Exemplare werden inzwischen deutlich sechsstellige Beträge aufgerufen – und bezahlt. Der Nachfolger R107 ist dank seiner achtzehnjährigen Bauzeit viel besser verfügbar, günstiger im Einkauf und noch an der Schwelle zwischen lässigem Daily Driver und edlem Schönwetterauto.