Message in a (Coke-)Bottle: Corvette C3 1981

Plastik rostet nicht. Was nicht bedeutet, dass es keine Probleme macht. Die Corvette C3 steht für Power, Freiheit, Vollgas, Lebensgefühl. Das teilt sie unverblümt mit. Wir steigen also lieber in die tadellose, feuerrote Ersthand-C3 von 1981 und fahren einen heißen Ami aus der Zeit des Kalten Krieges

Rot ist gut

Rot macht was mit uns. Rot wirkt direkt auf das vegetative Nervensystem, es hat eine belebende und positiv verstärkende Wirkung. Rot ist geil. Es steigert die Sinnlichkeit und das bewusste Erleben und Fühlen, Rot ist ein Ausdruck von Leidenschaft. Die Farbe vermittelt starken Willen, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen. So lange, bis der Tank alle ist. Das Ding mit den geschwungenen Hüften hier ist wirklich wahnsinnig rot.

Gerade mal eingefahren

35 Jahre lang war dieses Spielzeug von GMs Chefdesigner Bill Mitchell im Familienbesitz und ist nur ab und zu die Westküste entlangbewegt worden. Nicht die Westküste zwischen Cuxhaven und Sylt, sondern die zwischen San Diego und Seattle. Viel Sonne.

Wir nehmen die Targa-Glasdächer der Corvette C3 heraus (echtes Glas, nicht diese billigen Kunststoffdinger) und schälen uns auf den Fahrersitz. Rechtes Bein gleichzeitig mit dem Hintern vorschieben und auf den Sitz fallen lassen. Das Lenkrad kommt weit auf den Bauch zu (also selbigen einziehen). Aber wenn man erst mal sitzt, ist das seltsam-braune Gestühl recht bequem. Mit einem Dreh am Schlüssel springt der 5,7-Liter-Vergaser-V8 mit seinen mageren 38.000 Meilen auf dem Tacho an und schrabbelt im Stand aus den beiden Auspuffrohren vor sich hin. Den kurzen Hebel auf der Mittelkonsole auf D gelegt, Schulterblick, Tritt aufs Gas und – hallo Freiheit. Ja, so fühlt sie sich wohl an.

Rotzig und frech

Die Augen wurden größer und größer auf der IAA in Frankfurt, damals, 1967. Sportwagen kannte die Welt natürlich, auch potente Vertreter aus Maranello oder Great Britain. Sie alle waren kraftvoll, technisch filigran und „gentleman-like“ schön. Und teuer. Ein paar Hallen weiter links standen die wegweisenden Einspritzer von Mercedes, daneben der Wankel-Ro 80 von NSU. Mittendrin die neue Corvette, technisch fast komplett vom Vorgänger übernommen. Mit längs eingebauten V8-Motoren, die ihren Ursprung noch vor dem Krieg hatten. Mit Heckantrieb, mit Speck auf den wahnsinnig ausladenden Hüften und ohne jede Zurückhaltung. BÄM.

Hier kommt das neue heiße Plastik-Eisen von Chevrolet, schrie sie. Und es will nicht vertuschen, dass es heiß ist. 1.500 Kilo? Echt ganz schön schwer. Na und? Dem Gewicht werden Drehmoment und PS entgegengesetzt, beides können die Amis ziemlich gut. Und das Ergebnis ist ein relativ preiswerter, potenter Muskelprotz, voll auf Testosteron, voll auf Rekordjagd und reif für eine 15 Jahre andauernde Erfolgsgeschichte.

Muskeln, Potenz und Gelassenheit

Während die Fachpresse noch krittelte, dass bei dem neuen, ab 1968 an die Kunden ausgelieferten Wurf die praktische Bedienbarkeit den Kampf gegen die Ästhetik verloren habe, schrien die Käufer: Ja!! Genau das wollten wir doch auch. Wer bitte braucht denn eine praktische amerikanische Legende? Niemand.

Und so wundert es nicht, dass Anfang der 70er der Big Block auf 7,4 Liter mit 435 PS aufgeblasen wurde und damit die C3 zur höchstmotorisierten Corvette in ihrer bisherigen Geschichte wachsen ließ. Dann kam die Ölkrise, dann kamen die Versicherungen und dann kamen die downsizenden 80er, aber der V8 als solcher blieb erhalten. Er wurde nur wieder ein bisschen kleiner. GM experimentierte permanent weiter mit technischen Schmankerln und bot in den letzten beiden Jahren die Crossfire-Einspritzung an. Auch am Fahrwerk zeigte man grenzenlosen Mut zu Innovationen. Man ersetzte die hinteren Blattfedern durch Blattfedern aus Kunststoff. Die wogen nur vier Kilogramm (als wenn das bei dem Gesamtgewicht eine Rolle spielt) und hatten die sechsfache Lebensdauer ihrer Vorgänger. Guckt mal, Porsche und Ferrari. So sieht Fortschritt aus! Einfach andere Blattfedern nehmen.

Rot ist böse

Ein Not-Aus ist rot. Rot bedeutet Gefahr, Aggression, steht für Lärm und Lautstärke und drückt das Verbotene aus. Ja. Passt ebenfalls alles. Die Colaflasche mit der dünnen Taille ballert bei beherztem Gasfuß ungeniert unter niedersächsischen Kiefern durch die Heide. Stachelrochen gibt es hier keine, aber eine Menge Schafe ergreifen blökend die Flucht. Im Wald machen wir das Licht an und freuen uns über die hydraulisch ausgefahrenen doppelten Klappscheinwerfer. Aus Aerodynamikgründen sind die versenkbar, allerdings glaubt hier niemand, dass eine Corvette Respekt vor so etwas Profanem wie Wind und seinem Widerstand haben könnte. Bis mehr als 200 km/h spielen die Gesetze der Physik keine Rolle und verneigen sich vor dem Drehmoment. Schneller will man mit dem Auto sowieso nicht fahren.

Cruisingpotenzial

Muss man auch nicht. Der Zweisitzer lässt sich auch entspannt cruisen. Der nicht aus Kunststoff gefertigte Unterboden ist noch jungfräulich, der Lack ist noch original und alles funktioniert mit leichten Spuren eines langen, aber gepflegten Lebens, so wie man es erwartet. Die 80er sind in diesem Baujahr schon ins Cockpit eingezogen. Was vorher tiefe, runde Köcherinstrumente waren, sind jetzt sachliche Armaturen, hemmungslos ausgeschüttet und um den Fahrer herum verteilt. Während hinter dem braunen Lenkrad nur Tacho und Drehzahlmesser um Aufmerksamkeit buhlen, drängeln sich über dem Schalthebel ungezählte analoge Zeiger zwischen Schaltern und Schiebern. Elektrik war hip.

Die Klimaanlage ist automatisch, die Heckscheibe lässt sich heizen. Fenster und Antenne fahren elektrisch herauf und herunter, die Seitenspiegel und die Sitze lassen sich mit kleinen Elektromotörchen in alle Himmelsrichtungen drehen. Über Servolenkung und Tempomat redet ein Amerikaner ohnehin nicht, die hat da jeder Kleinwagen.

Und wohin jetzt mit dem Design, der Kraft und dem Sound? Erst mal zur Tanke in Soltau, dann direkt ins Herz und dann nicht mehr raus aus dem Kopf. Was kümmern Klischees? Wer die C3 als „Zuhälterkarre“ bezeichnet, fuhr sie selbst wohl noch nie. Und ist vermutlich nur neidisch, weil sein Job eben nicht so viel Geld abwirft, dass er sich so einen Wagen hinstellen kann. Na dann.

Okay, das Design muss man nicht mögen, aber es fällt nicht schwer. Denn die Corvette ist ein Individualist mit einem robusten Herzen. Sicherlich nicht dazu geeignet, um unauffällig nach einem Banküberfall zu flüchten (dabei wäre das nach dem Tankstopp durchaus nötig), aber Unauffälligkeit gibt es schon genug auf der Welt. Die C3 sagt allen ganz deutlich: Hallo, hier bin ich. Und ich bin, wie ich bin. Und verdammt – der Stuhl ist schon verkauft. Also vorsichtig zurückfahren, keine Kratzer machen.

Hmmmm – das Rot ist wirklich obergeil …

TECHNISCHE DATEN

Chevrolet Corvette C3

Baujahr: 1981
Motor: V8
Hubraum: 5.733 ccm (350 cui)
Leistung: 141 kW (190 PS) bei 4.300/min
Max. Drehmoment: 380 Nm bei 4.200/min
Getriebe: Viergang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.705/1.830/1.220 mm
Leergewicht:  1.517 kg
Beschleunigung 0–100 km/h: 9,4 s
Top-Speed: ca. 210 km/h
Wert: ca. 22.000 Euro

Text und Fotos: Jens Tanz

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