06 Mai Nur fliegen ist schöner
Die Armaturen sind an den üblichen Plätzen, nur der Meilentacho und die englischen Beschriftungen irritieren den konservativen Schwaben. Der Drehzahlmesser, dessen roter Bereich erst bei 6.000/min beginnt, verspricht nicht die gewohnte Behäbigkeit, sondern zeugt mehr von Behändigkeit des Gerätes. Auch das Holzlenkrad mit den vier Aluspeichen lässt ahnen, dass hier starkes Zupacken in den Kurven erforderlich ist. Damit der Pilot dabei nicht der Zentrifugalkraft zum Opfer fällt, entsprechen die frisch behäuteten Schalensitze den zeitgenössischen Vorgaben für Sportsitze, die modernen Sechs-Punkt-Gurte tun ein Übriges.
Zunächst startet die Maschine mit der Daimler typischen Zuverlässigkeit, doch schon im Leerlauf brummelt der zweiflutige Seitenauspuff was von „Le Mans“ und „Carrera Panamericana“. Die Nadeln von Öl- und Wassertemperatur, Tankanzeige und Öldruck verharren ohne Zittern in hab acht und die sechs Zylinder stehen in einer Reihe marschbereit. Rund drei Liter Hubraum werden von der mechanisch geregelten Bosch Sechsstempel-Einspritzpumpe gefüttert. Die von einer Duplex- Rollenkette angetriebene, obenliegende Nockenwelle taktet die Ventile punktgenau, damit sie den Kolben ausweichen, die das Gemisch im Verhältnis 1:8,55 verdichten.
Es dauert eine Weile, bis die elf Liter Öl auf Betriebstemperatur sind und der Spaß beginnt. Dann geht es zügig voran und die Tachonadel passiert nach zehn Sekunden ohne Mühe die 62,137 Meilen (auf dem kilometrischen Instrument stünde hier die 100 km/h). Das präzise Viergang-Schaltgetriebe und die Einscheiben-Trockenkupplung versorgen die Hinterräder mit Energie und die 185/15er-Reifen geben sie an den Asphalt weiter.
Ein filigranes Spinnennetz als Gitterrohrrahmen unter der eleganten Aluminiumhaut sorgt für eine erstaunliche Verwindungssteife in den Kurven, während der Fahrer mit der bockigen Pendel-Schwingachse im Heck kämpft – trotz der nachgerüsteten Konis. Schon Stirling Moss stellte beim Training auf Sizilien das unfeine Verhalten des sonst so eleganten Sportsmanns fest. „Die richtige Fahrweise mit ihm heißt: nicht ganz so schnell in eine Kurve hinein, jedoch mit der hohen Überschussleistung sehr schnell heraus.“ Und das kann der Motor: Druck machen. Gut, das die Doppel-Querlenkerachse vorne mitspielt beim forcierten Ritt durch das schwäbische Heimatland.
Auf den sportlichen Zweikampf gegen den Urenkel, der im Rückspiegel Druck macht, verzichten wir nonchalant; der ist eh bei 250 km/h abgeregelt. Ohnehin sind aus juristischen Gründen in den sanften Hügeln keine Durchschnittsgeschwindigkeiten von 158 km/h – wie damals bei der „Mille Miglia“ – zu realisieren. Die steigenden Temperaturen im Innenraum und das gleichmäßige sonore Brummeln des Auspuffs auf der Beifahrerseite lassen jedoch die fehlenden Zypressen und den Staub der Toskana vergessen..
Technische Daten |
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Merceds 300 SL |
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Baujahr: | 1955 |
Motor: | V-6-Motor |
Hubraum: | 2.996 cm3 |
Leistung: | 165 kW (215 PS) bei 5.400/min |
Max. Drehmoment: | 274 Nm bei 4.600/min |
Getriebe: | Viergang-Schalter |
Antrieb: | Heckantrieb |
Länge/Breite/Höhe: | 4.520/1.790/1.300 mm |
Gewicht: | 1.203 kg |
Beschleunigung 0-100 km/h: | 10 Sek. |
Top-Speed: | 235-260 km/h |
Neupreis 1955: | 29.000 D-Mark |
„Die richtige Fahrweise mit ihm heißt: nicht ganz so schnell in eine Kurve hinein, jedoch mit der hohen Überschussleistung sehr schnell heraus.“
Marktbeobachtung |
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Modell |
Karosserie |
Jahr |
Zustand |
Datum |
Auktionshaus |
Ort |
VK-Preis (inkl. Aufgeld) |
300SL Flügeltürer | Coupé | 1955 | 2- | 15.01.15 | Barrett-Jackson | Scottsdale (USA) | USD 1.100.000 |
300SL | Cabriolet | 1960 | 2+ | 16.01.15 | Gooding | Scottsdale (USA) | USD 1.567.500 |
300SL | Flügeltürer Coupé | 1955 | 2 | 15.01.15 | Bonhams | Scottsdale (USA) | USD 1.375.000 |
300SL | Cabriolet | 1958 | 2 | 15.01.15 | Bonhams | Scottsdale (USA) | USD 1.237.500 |
300SL | Cabriolet | 1957 | 2- | 15.01.15 | Bonhams | Scottsdale (USA) | USD 902.000 |
300SL | Cabriolet | 1957 | 1- | 15.01.15 | Russo&Steele | Scottsdale (USA) | USD 1.430.000 |
Text und Fotos: Stefan Bau