Der mit dem Dicksten: Opel Admiral V8 1965


Der mit dem Dicksten: Opel Admiral V8

Groß, größer, Opel. Wer hätte das gedacht? Die Konkurrenz im Nachkriegsdeutschland jedenfalls nicht, als da plötzlich ein Admiral aus der KAD Reihe antrat, mit einem Tacho bis 220 km/h, die auch fast erreicht wurden. Mit einem dicken V8 und einer Kraft, die sogar Porsche das Fürchten lehrte. Für einen kurzen Moment in der Automobilgeschichte blitzte Opels Oberklasse hell und strahlend auf. Wir sind dieses riesengroße weiß-rote Wahnsinnsgerät gefahren

 

Stellen wir uns die 60er Jahre vor. Deutschland fuhr Käfer oder noch kleinere Vehikelchen mit meistens vier Rädern. Fahrzeuge, bei denen man strukturell froh über ein wenig Motorisierung, ein Dach über dem Kopf und Platz für ein bisschen Gepäck für sich und die Mitreisenden war. Und dann kam Mercedes, erst mit dem W112 und ab 1965 der W109. Sie kamen mit Platz, Luxus, Technik und Geschwindigkeiten bis 180 Stundenkilometern. Große Motoren und unfassbare Leistungsreserven kannte man schon lange aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Da gab es diese breiten Highways, aber über denen schwebte ja das Speedlimit von 55 Meilen. Und Amerika war sowieso weit weg. In Deutschland aber gab es die German Autobahn, und die neuen, kraftvollen Karossen beherrschten die linke Spur von Anfang an. Es waren die 60er, und es war in Deutschland, wo das berühmte „Überholprestige“ erfunden wurde. Wer links drängeln konnte, der hatte es zu was gebracht. Die Schnittmenge der braven Bürger in der Bundesrepublik zerbrach in eine Zweiklassengesellschaft. Rechts fuhren die Käfer & Co. Leute und links die mit den schnellen Limousinen. Platz da. Und dann kam Opel.

Der Kapitän, das rüsselsheimer Topmodell, wurde schon vor dem Zweiten Weltkrieg vorgestellt und ab 1948 weiter bis in die 60er Jahre gebaut. 1964 stellte man die nagelneue „KAD Reihe“ vor: Der neue Kapitän als Einstiegsmodell, der besser ausgestattete Admiral für die plüschigen Mittelklässler und das neue Flaggschiff Diplomat mit einem 4,6 Liter V8 aus dem Regal der Konzernmutter General Motors. Der Tacho des Diplomat A ging bis 250 km/h und gab dem Überholprestige eine neue Dimension. Keine andere Limousine hatte einen Tacho bis Zwofuffzich! Opel war eindeutig auf der Überholspur und raunte selbstbewusst: Weg da, ich hab den Größten.

Der Admiral als „goldene Mitte“ verkaufte sich aus der KAD Reihe am besten. Zwischen 1964 und 1968 gingen über 55.000 dicke Stufenheckler in den Handel und schnurrten mit bodenständigen Reihensechszylindern zwischen 100 PS und 140 PS in Richtung Sommer der Liebe. Und dann gab es da ab 1965 noch diese wundervolle Understatement-Variante. Der Admiral wurde werbewirksam mit dem riesigen Achtzylinder aus dem Diplomat angeboten, jenem fetten amerikanischen Triebwerk von Chevrolet. An dem hing eine Zweigang Powerglide Automatik und erhob den sowieso schon amerikanisch anmutenden Wagen endgültig in den blubbernden Olymp der sexy Zündfolgen. Plötzlich standen 200 km/h nicht nur auf dem Tacho, nein 200 km/h waren auch drin. Der ebenfalls 1964 vorgestellte Porsche 911 schaffte das auf dem Papier zwar auch, in freier Wildbahn trauten sich das aber nur die wenigsten Tester und die mutigsten Fahrer. Auch ein Admiral V8 verlangte jenseits der 150 Stundenkilometer eine Menge Konzentration, einen festen Griff am Volant und Mut zum Weitermachen, aber 200 waren möglich. Schneller gingen nur ein paar Ferrari und wenige andere Exoten, aber die sind unter „ferner liefen…“ verbucht. Hey, wir sprechen hier von einem Großserien-Opel! Noch stärker und noch schneller waren zu dieser Zeit nur andere Fahrzeuge von GM, allen voran die von Cadillac. Aber das war auf der anderen Seite des Atlantiks, da drüben, auf den Highways mit dem Speedlimit.

Und jetzt sind wir in den … wie heißt das heute eigentlich? … 2010ern? Oder in den ZwanzigZwanzigern? Der ganz besondere Opel von damals sieht heute wundervoll schlicht und kantig kraftvoll aus. Ohne viel Firlefanz sieht man ihm seine amerikanischen Wurzeln an. Aber das ebenfalls 1964 eröffnete Rüsselsheimer Design-Studio hatte auf zu viel Schnickschnack verzichtet und eine glatte Linie geschaffen. Im Inneren domienieren rotes Leder, ein riesiges, dünnes (ebenfalls rotes) Lenkrad, der daran befestigte, rote Wahlhebel und der Breitbandtacho bis 220 Sachen. Es ist wahrhaftig und tatsächlich ein Admiral V8, einer von nur 622 jemals gebauten. Ist mehr American Way of Life in einem deutschen Auto möglich?

Alles fühlt sich wie ein guter alter Opel an, nur wesentlich größer. Nach dem Dreh am Zündschlüssel schnurrt hier eben nicht die wundervolle „Nähmaschine“ mit ihren sechs Fadenspulen, sondern es erwacht der Chevy Small Block zum Leben. Das in diesem Auto unerwartete Bullern aus den beiden Rohren, das Schlürfen des Carter Vierfach-Fallstromvergasers und die kraftvollen Vibrationen beim kurzen Gasgeben machen sofort Bock auf die Autobahn. Am liebsten eine sehr weite Reise, vielleicht nach Pisa oder nach Saint Tropez. Die eine von zwei Fahrstufe schmatzt satt rein, und ohne einen spürbaren Ruck schleicht der fast fünf Meter lange und fast zwei Meter breite Deutsch-Amerikaner nach dem Verlassen des Bremspedals los.

Die Ledersessel bieten viel, Seitenhalt gehört nicht dazu, den vermisst man aber in diesem Auto auch nicht. Die Landschaft weht an den Scheiben vorbei, durch das geöffnete Fenster tönen die Geräusche der Welt, bereichert durch das Bullern des Admiral. Reisen statt Rasen, auch wenn letzteres prinzipiell möglich wäre. Allerdings sind die Vorderachse mit ihren Doppelquerlenkern und die blattgefederte starre Hinterachse so weich, dass bei zügig gefahrenen Kurven die Beifahrerin und die ganze Asche aus dem großen, mittigen Aschenbecher auf die Hose des Fahrers kippen. Entspanntes Cruisen ist also angebracht. Und das kann er noch viel besser als den Blitz auf der Überholspur spielen. Wie an einem Gummiband gezogen geht das rote Sofa voran. Dabei klappert oder quietscht absolut gar nichts, Opel konnte Oberklasse, da gibt es keine Zweifel. Wer es in den 60er Jahren zu etwas gebracht hatte leistete sich gern einen großen Opel.

Während die eigenen Blicke über die lange Haube und manchmal durch den sündig roten Innenraum gleiten bleiben die der Passanten am Gesamtkunstwerk Admiral V8 hängen. Man kennt den Rüsselsheimer noch aus dem Straßenbild, zumal sich die KAD A Modelle äußerlich sehr ähnlich sind. Aber das Motorengeräusch, das ist nicht wie gewohnt. Nein, ist es nicht, und die Belehrungen an der Tankstelle, dass es sich hier um ein nachträglich verbasteltes Modell handeln muss (denn nur der Diplomat hatte den V8) ignorieren wir freundlich. Lächeln und winken. Immer lächeln und winken.

Auch heute geht noch linke Spur, aber wir sind nicht hier, um die Sau rauszulassen. Im Gegenteil. Dieses wundervolle, superseltene Stück Werksgeschichte von Opel Classic beeindruckt durch seine schlichte Schönheit und sein Understatement, denn man sieht ihm den V8 von weitem nicht an. Er ist ein letzter Fels in der Oberklassegeschichte von Opel. Ab 1968 kam die KAD B Reihe und legte beim Diplomat noch eine kleine Schippe Hubraum drauf. Aber 1968 kamen auch der BMW E3 und vor allem der Mercedes 300 SEL 6.3 mit 250 PS. Die Konkurrenz schlief nicht, die linke Spur bevölkerte sich immer mehr. 1977 war endgültig Schluss mit Oberklasse. Bis heute. Einige sagen, der Senator sei ein würdiger Nachfolger und nicht weniger eine große Limousine als seine Vorfahren, aber die Erhabenheit der KAD Reihe fehlt ihm. Der BUMMS einer Zeit, als Opel allen davon gefahren ist.

Opel Admiral A V8

Baujahr: 1965
Motor: Chevrolet V8
Hubraum: 4.638 ccm (283 cui)
Leistung: 140 kW (190 PS) bei 4600/min
Max. Drehmoment: 354 Nm bei 3000/min
Getriebe: Zweigang Powerglide-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4948/1902/1454 mm
Leergewicht: 1520 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 9,7 Sek.
Top-Speed: 200 km/h
Neupreis: 15.950 DM

Vielen Dank an Uwe Mertin von Opel Classic

 

Autor: Jens Tanz / Fotograf: Andreas Liebschner
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