Leserauto: Plymouth Belvedere 1965

Der sonnenverbrannte Plymouth kommt ursprünglich aus der Halle eines Vietnam-Veteranen – jetzt fährt Landwirt Martin Thies damit über die Feldwege. Zwischen den Bäumen mit dem alten Fullsizer zu cruisen ist Lebensgefühl de Luxe und die Überlegung wert, den Job zu wechseln

Da parkten noch ganz andere Karren in der riesigen Halle von den drei Rentnern da drüben im Land der unbegrenzten Motorhauben. Die menschlichen Oldtimer hatten ihre Vietnam-Traumata auf ganz eigene Art und Weise verarbeitet und angefangen, coole Autos wegzustellen. Mehr als 30 Stück, zwischen Geschichten von „Full Metal Jacket“ bis „Apocalypse Now“, parkten Pontiac GTO, Chevelle und Camaro, ein Olds 442, gleich mehrere Roadrunner und sogar ein 68er Hemi Charger. Etwas für feuchte Augen, definitiv nichts etwas für den schmalen Geldbeutel.

Das hat man inzwischen auch in den USA begriffen und schlägt reichlich Kapital aus den hoch gezüchteten Karren, die noch in den 80ern auf den Junkyards im Dutzend verrotteten. Ach nein. Autos rosten in den USA ja nicht. Oder doch?

Na klar. Aber nicht überall. Während die Korrosion in den östlichen Staaten durchaus in den gleichen Dimensionen wie in Europa zuschlägt, leiden Westcoast-Cars unter einem ganz anderen „Problem“: Sonne. Die brennt da so unbarmherzig von einem ozonlöcherigen Himmel, dass jeder Lack mittel- bis langfristig kapitulieren muss. Der von dem alten Plymouth Belvedere auch.

Einst nannte man erhabene Burgen oder Schlösser „Belvedere“, was frei aus dem italienischen übersetzt so viel wie „schöne Aussicht“ heißt. Wie eine Burg trutzte auch dieses Auto zwischen all den hochpreisigen Klassikern vor sich hin, als Martin Thies aus Norderstedt ihm gegenüberstand und überlegte, ob er ihn vielleicht kaufen sollte. Denn von schöner Aussicht konnte hier nicht die Rede sein: Der Lack war in großen Flächen bis auf die Grundierung heruntergebrannt. Der bärtige Veteran nahm ihn beiseite und erklärte, dass das durchaus so gewollt sei. Unter dem originalen Lack steckte nämlich eine nagelneue, makellose Inneneinrichtung und ein komplett überholter Siebenliter-„Wedge“-V8. Woah!

Der 48 Jahre alte gelernte Landwirt Thies mit eigenem Betrieb in Hüttblek schwärmte schon als Führerscheinneuling von dicken Amis. Aber das Geld war knapp und die Eltern predigten Vernunft, also musste er erst 31 Jahre alt werden, um dem unterdrückten Trieb endlich nachzugeben. Ein 51er Chevy Pickup stand vor der Tür, Ladefläche aus Glas, Neonbeleuchtung am Unterboden, Lenkrad und Felgen aus Alu. Ja, liebe Eltern, guckt euch genau an, was passiert, wenn ihr euren Kindern zu lange das verbietet oder ausredet, was sie tief im Herzen begehren.

Als sich 2001 Familienzuwachs ankündigte, wurde Thies „vernünftig“ und importierte aus Holland eine 1968er Superbee, die ihm die Eintrittskarte in die MOPAR-Szene brachte. Freunde und Bekannte verwunderten sich gleichermaßen, wie entspannt und zielsicher er diesen seltenen Klassiker aufgespürt hatte und fragten, ob er ihnen nicht ebenfalls bei der Suche behilflich sein könnte. Immer wenn die Feldarbeit oder der Betrieb es zuließen, half er den Jungs bei der Recherche und den Zollformalitäten und reiste nach drei erfolgreichen Vermittlungen das erste Mal selbst in die USA, um weitere Autos zu finden.

Er brachte im Gepäck gleich noch eine Superbee mit – die gingen weg wie geschnitten Brot. So ergab es sich, dass in seinen großen Hallen mehr und mehr Autos entweder zwischengelagert oder zum Verkauf vorbereitet wurden. Eben immer so viel, wie der Betrieb zuließ. Wenn viel zu tun war, ruhten die Autos. Wenn alles lief, war der Vater von inzwischen drei Kindern wieder drüben in den Staaten und suchte weitere Klassiker. Wo er nun vor diesem patinierten Plymouth stand, den der alte Mann im Standgas aus seiner Lücke hinaus gleiten ließ.

In den 60ern definierte man in Nordamerika die verschiedenen Modelle einer Marke nicht mehr ausschließlich über ihre Ausstattung, sondern nach und nach auch über ihre Größe. Das machte die Namensgebungen aus heutiger Sicht zwar nicht weniger verwirrend, setzte aber buchstäblich neue Maßstäbe. War der „Fury“ das Oberklassemodell von Plymouth, galt der kleinere „Vaillant“ zunächst als kleineres Full-Size Car, später dann als Mittelklasse. Neben dem „Belvedere“ gab es noch den besser ausgestatteten „Satellite“, den „GTX“ und den „Roadrunner“ als preiswertes Muscle Car auf der gleichen Plattform. Ab 1964 war der „Belvedere“ mit der nagelneuen Siebenliter-HEMI-Maschine zu bekommen, die mit ihren konkaven Brennräumen und großen Ventilen sehr hohe Drehzahlen zuließ. Prompt räumte man auf dem NASCAR-Rennen in Daytona die ersten drei Plätze ab und meißelte sich in den Olymp der amerikanischen Sportwagen.

Ernsthaft? Martin Thies war über die Jahre ein wenig mainstreamiger geworden und fand auch Begeisterung für Autos aus den 50er und 60er Jahren – auch wenn sie nicht komplett customized waren wie der Pickup. Inzwischen schätzte er eher die Originalität und die Seltenheit des Modells, was auch erklärt, dass er bis heute erst einen einzigen Mustang besessen hat. Er mag die Ponys sehr, es sind gute Autos – aber es fahren eben auch wirklich vergleichsweise viele davon rum.

Der Belvedere von dem alten Vietnamkämpfer war mit seinem verbrannten Lack sowohl sehr original als auch technisch in einem restaurierten Super-Zustand, er musste ihn einfach kaufen. Auch auf die Gefahr hin, dass er ihn in Germany vielleicht nicht los wird und wieder mehr Zeit für seinen Acker haben könnte. Als er daheim im Norden ankam, tauschte er noch mit seinem Kumpel auf der hauseigenen Hebebühne (in einem der Ställe, Platz ist wirklich genug da) die Traggelenke und ersetzte die schwächelnde Benzinpumpe durch eine elektrische – fertig war die Laube.

Und die Laube ist fett und verbrannt. Der Wedge-(„Keil“)-V8 schnurrt vorne unter der patinierten langen Haube fast geräuschlos vor sich hin, während hinten aus den beiden Rohren ein gesundes Stakkato rausballert. Nein, es ist eben kein HEMI, vielleicht rennen die Käufer ihm deshalb auch nicht die Bude ein, aber das macht den Wagen nicht weniger begehrenswert.

Das Innere ist so neuwertig wie man es von einer neuen Inneneinrichtung erwartet und ergänzt sich charmant mit den original patinierten Armaturen. Kein Lenkradschalter, der Hebel ist sportlich zwischen den vorderen Sitzen angebracht. Einzelsitze – 1965 durchaus kein Standard. Aus den Türen ragen chromige Hebel, die man vor dem Verlassen erstmal verstehen muss, aber jetzt wollen wir zunächst bleiben, zuhören und spüren.

Vorne sirren die mechanischen Bauteile, hinten donnert’s. Martin Thies legt die Fahrstufe ein, und der blechgewordene NASCAR-Sound schiebt sich den Feldweg entlang zum hauseigenen Wald des Landwirtes. Routiniert kurbelt der Mann an dem kleinen Holzlenkrad über den schmalen Pfad, der zum Glück kein Holzweg ist. Schön hier. Vermutlich werden nach unserem Durchfahren dieses kleinen Idylls über Jahrzehnte sämtliche Singvögel und Bodenbrüter das Erdbebengebiet meiden.

Als der Weg in die Bundesstraße mündet, lässt Thies die mehr als 400 Wildpferde frei, und da ist sie, die schöne Aussicht. Jedem sollte der Blick auf diese Kraft und diese Beschleunigung gewährt werden, zumal die kantige Karre auf den ersten Blick aussieht wie ein träger, zweitüriger Stufenheck-Leichenwagen. Von hinten aus dem beiläufig dort hingelegten hölzernen Radiowürfel tönt lässige Rock-a-Billy-Musik, die Welt schwirrt da draußen mit Bewegungsunschärfe vorbei und das Leben ist für einen kleinen Moment sehr einfach und unkompliziert.

Thies ist das auch. Er hat inzwischen eine ganz einfache Formel für die Autos, die er sich hinstellt: Sie müssen nachweislich erst wenige Meilen und noch den ersten Lack haben, so vermeidet er die üblichen Spachtelorgien unter einer Verkaufslackierung. Diese Autos kosten dann ein bisschen mehr, aber das sind ehrliche Fans auch bereit zu zahlen. Er sucht noch immer für Freunde und Bekannte nach Fahrzeugen in den Staaten, ist aber eigentlich noch immer Landwirt und hat da auch alle Hände voll zu tun. In seiner kleinen gut ausgestatteten Werkstatt bietet er mit der Hilfe eines Freundes aus der Kfz-Branche auch TÜV- und H-Abnahmen an oder führt Reparaturen durch. Ein paar Fahrzeuge stehen immer in seinen Hallen zwischen den landwirtschaftlichen Geräten herum und warten darauf, eines Tages gekauft zu werden.

Wie vielleicht dieser Plymouth Belvedere, angeblich passt ja auf jeden Topf ein Deckel. Und wer weiß – vielleicht macht Thies eines Tages sein Hobby zum endgültigen Beruf? Solange er solche besonderen Schätzchen auftreiben kann, wird auch diese Idee sicherlich kein Holzweg sein. Wenn Sie ihn mal besuchen, nehmen Sie ein Navi mit. In Hüttblek stehen zwar coole Autos – aber der Weg dahin führt Sie durch Gegenden, in denen nie zuvor ein Mensch gewesen ist…

Plymouth Belvedere

Baujahr: 1965
Motor: V8
Hubraum: 6.986 ccm (426 cui)
Leistung: ca. 308 KW (420 PS)
Max. Drehmoment: 650 Nm
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.016/1.920/1.400 mm
Leergewicht: 2.140 kg
Beschleunigung: 0-100 in 6,6 s
Top Speed: 193 km/h
Wert: k.A.