Entschleunigte Beschleunigung: Porsche 356 B T6 1962

Einige wissen alles über den Porsche 356. Andere wissen gar nichts. Was nützt auch alles angelesene Wissen, wenn man diese Urversion des deutschen Sportwagens noch nicht selbst gefahren ist? Emotionen entstehen nicht durch die Menge an Wissen im Kopf, sondern durch Erfahrung. Deshalb nehmen wir die Autoschlüssel, schälen uns hinter das Lenkrad und fahren den Klassiker einen Tag lang durch das Land. Dieses Erlebnis kann uns keiner mehr nehmen

Der alte Mann mit dem stattlichen grauen Schnurrbart neulich auf der Klassikerauktion hat gesagt, der 356 sei nur ein besserer Käfer und außerdem viel zu teuer. Ach ja. Es gibt unzählige Fachtexte und filigran ausformulierte Historien über den allerersten Serienporsche, welche sich auch in den kommenden 100 Jahren inhaltlich nicht mehr sonderlich verändern werden. Auf den Messen der Republik punkten viele Kenner daher mit Detailwissen, erkennen sofort Form und Höhe der Stoßstangen das Baujahr, denken nicht in Lebensjahren sondern in Preissteigerungen und fahren dann mit ihrem wenige Jahre alten 911er nach Hause. Nahezu jeder Porsche aus jedem Baujahr ist oder wird eine Legende, und so ein fast 50 Jahre alter Sportwagen ist einfach geil. Das hat viele Gründe, die meisten davon kann man anfassen, spüren, hören und riechen. Dieser rubinrote 356 B von 1962 wirft alle diese Gründe zusammen und strahlt in der Morgensonne so selbstbewusst und trotzdem so klein vor sich hin, dass man in einer Mischung aus Ehrfurcht und Knuddelbedürfnis verharren möchte. Er ist vollgetankt und startbereit. Er ist ein fahrbares Stück Ingenieurskunst mit dem gewissen Esprit, der ihn von vielen anderen Autos unterscheidet.

Denn wie der alte Mann schon sagte – hier steht eine Menge Käfer. Die Karosserie kam vom Österreicher Erwin Komenda, der auch schon den Käfer auf’s Chassis gepackt hatte. Der Vierzylinder Boxer brabbelte von Anfang an, also gegen Ende der 40er Jahre, luftgekühlt im Heck vor sich hin, wurde aber permanent dahingehend verbessert, dass man den Sportwagen auch Sportwagen nennen konnte. Die Leistungen eines Käfers, und möge er noch so gut laufen und laufen und laufen, waren ja eher bescheiden. Das Böxerchen wurde aufgebohrt, höher verdichtet und fetter beatmet und bekam von Ernst Fuhrmann (noch ein Österreicher) einen agilen Bruder zur Seite – den legendären Königswellenmotor mit vier Nockenwellen und über 100 PS. Und unter der Karosserie werkelten viele VW Serienteile. Vom Urmodell mit der noch geteilten Windschutzscheibe und der durchgehenden Sitzbank über den 356 A produzierte man in Zuffenhausen ab 1959 den 356 B, der komplett überarbeitet und sehr filigran daherkam. Und seine damals gepriesenen Daten und Werbebotschaften machen ihn heute erst recht liebenswert und begehrenswert, wie er da so geduckt vor der großen Halle kauert. Ursprünglich 60PS, im Laufe der Jahre aber dezent leistungsgesteigert auf 75PS, die ihn in 13 Sekunden auf 100 Stundenkilometer drücken und Geschwindigkeiten über 170 km/h ermöglichen. Jeder beliebige Kleinwagen des Jahres 2016 hat mehr Kraft und ist schneller. Und man beachte die neuen Sicherheitsaspekte dieser Jahre! Gepolstertes Armaturenbrett. Seitenscheiben aus Sekurit Glas. Die Nabe des Lenkrads versenkt, und die Heckscheibe ließ sich von einer kleinen Düse mit Warmluft beblasen. Sagenhaft. Was kann einem da noch passieren? Vermutlich nichts. Also rein da, fahren.

Und das ist gar nicht so einfach für einen 1,90 Meter großen norddeutschen Jung. Ganz ohne Pfeifgeräusche und knirschende Knochen geht’s gar nicht, waren die Sportwagenkäufer der Wirtschaftswunderzeit denn alle kleinwüchsig? Wenn man erstmal drin ist kommen die Worte des alten Mannes zurück ins Gedächtnis. Dieses Auto fühlt sich an wie ein Käfer, es riecht wie ein Käfer nach Kunstleder und lackiertem Metall und nach vorn raus ist sogar der Blick ähnlich dem aus einer Käferwindschutzscheibe, nur dass man hier die Kotflügel besser sehen kann. Nein, bequem ist das nicht, aber irgendwie okay und derbe puristisch. Porschetypisch versteckt sich das Zündschloss links im Armaturenbrett, und ein kurzer Dreh am Schlüssel lässt den Boxer im Heck heiser aufröcheln. Jahaaaa! Ein wenig Käfer, aber viel viel kräftiger. Den Seitenspiegel stellt man durch das heruntergekurbelte Fenster mit der Hand ein, den Innenspiegel dreht man vor allem so, dass man sich beim Vorbeugen nicht die Rübe dran rummst. Das extrem seltene und heute heftig begehrte elektrische Schiebedach surrt nach hinten und gibt den Blick frei auf einen klaren Himmel. Die Rundumsicht ist somit hergestellt, der persönliche Kontakt zu den Schutzengeln nach ganz oben auch. Gurte zum Anschnallen gibt es nämlich keine und das riesige Bakelitlenkrad thront zwischen den angewinkelten Beinen wie das Steuerrad der Titanic. Check? Alle Systeme arbeiten einwandfrei, keine Warnlampen leuchten auf (hahahaaa es gibt quasi keine), keine Steuergeräte melden Fehlfunktionen in Zentralrechnern (hahaaaa es …. ach egal) und keine Bluetooth Freisprecheinrichtungen versuchen vergeblich, mit dem Entertainment-System Kontakt aufzunehmen. Eine wundervolle Entschleunigung kurz vor der Beschleunigung.

Kupplung treten. Den langen Schalthebel, der wie ein geknickter Spazierstock aus dem schwarzen Teppich auf dem Bodenblech ragt nach hinten ziehen, ja, nach hinten. Der Motor ist schließlich auch nicht da, wo man ihn bei anderen Autos vermutet, warum sollten es die vier Gänge sein? Das spaddeldünne Blinkerhebelchen lässt die Richtungsweiser leise klackern, und als die nicht mehr nötig sind weil die Bundesstraße schnurgeradeaus geht zeigt der alte Herr, was in ihm steckt. Ja, es ist ein Klassiker. Einer, der zwar respektvoll, aber nicht zimperlich behandelt werden will. Reizt man die Drehzahlen knapp über die 5000 Grenze aus, brüllt der origine Käfermotor im Heck so agil und böse, als wolle er heute noch einen Opel Kapitän und einen Weltkugel-Taunus einatmen. Der Wind reißt am Hemd und an den Haaren, die Straße ist trocken und nicht staubig und lädt sogar ein wenig zum Kurvenräubern ein. Respektvoll, versteht sich. Die topmotorisierten Modelle Carrera und Super 90 hatten an der Hinterachse eine Ausgleichsfeder, welche das wenig belastete kurveninnere Rad durch die Kraft des kurvenäußeren Rades mehr auf die Straße drückte. Quasi ein Stabilitätsassistent der frühen 60er, als man mit ABS, ASR und ASP Mondumlaufbahnen von Apollo Raketen berechnete oder sonstwie darauf vertraute, dass ein Fahrer mit ein wenig Hirn in der Birne schon lernen würde, wann sein Auto übersteuert und wann nicht. Der hier hat nicht mal diese Feder, da sich die 90 Stundenkilometer aber schon anfühlen wie Überschallgeschwindigkeit sind die Kurven kein Problem. Kerl, macht der Spaß. Jede Unebenheit meldet sich durch den Sitz bei der Wirbelsäule (das berühmte „Popometer“), nach ein paar Kilometern haben sich alle körpereigenen Muskeln und Falten an die Enge gewöhnt und man schrotet relativ bequem wie ein Formvorderschinken in einer sehr engen Konservenbüchse überland.

Fotos machen. Vor allem einmal laaaaang in den Himmel strecken, die vom Wind krausen Haare richten und das Rubinrot einmal vor dem blauen Himmel auf Geist und Seele wirken lassen. Er ist ein ehrlicher Geselle, dieser Porsche. Bis 1977 fuhr er nach deutscher Erstauslieferung in den Niederlanden, danach bekam er einen Carrera Sportauspuff und 5,5 Zoll Chromfelgen mit 185er Reifen. Hier und da wurde schon was an der Karosserie gemacht, aber eine komplette Restauration blieb dem Sportler bis heute erspart. Muss ja auch nicht. Es sei denn, man ist nicht nur Purist, sondern auch Perfektionist, lohnen würde es sich allemal. Während in den 80ern noch angerostete 356er gegen Küchenmaschinen und HIFI Anlagen eingetauscht wurden zahlt man heute für desolate Möhren mehr als für einen neuen Golf, gute Exemplare sind gern mal teurer als ein Einfamilienhaus. Manchmal nervt das schon richtig. Eigentlich möchte man doch einfach nur diesen Klang genießen und dieses alte, nicht perfekte pure Auto besitzen und ab und an mal zur Entschleunigung fahren. Aber bei den Preisen? Ich weiß nicht. Und auch ein alter Porsche geht irgendwann mal kaputt, spätestens dann ist ein dickes Bankkonto nicht verkehrt. Ach manno.

Der Heimweg geht etwas entspannter ab, er ist weitestgehend geprägt vom Frust über die Preise. Der alte Mann hatte mit dem Käfer Recht (auch wenn es von ihm eher abfällig gemeint war, für uns ist es fast schon ein Qualitätssiegel für Fahrspaß), und er hatte leider auch mit seinem „viel zu teuer“ Recht. Einen 356er oder auch einen frühen 911er kaufen sich heute nur noch Menschen, die wirklich viel Geld haben oder Menschen, die so viel gespart haben, dass sie sich diesen Traum endlich erfüllen. Dadurch werden viele von uns niemals diesen reinen, rassigen Fahrspaß erleben können. Nein, ein Käfer fährt sich grundlegend anders, das ist kein Vergleich. Deshalb verkaufen sich die 356er ja auch wie geschnitten Brot. Auch der hier wurde noch während unserer kleinen Ausfahrt am Telefon verkauft, ungesehen, nach Zustandsbeschreibung. Möge der Käufer eine Menge Spaß mit ihm haben, so viel wie wir heute, mindestens. Und wie kommen alle anderen aus diesem Dilemma raus? Wohl gar nicht. Oder man liest stattdessen alle technischen Detailberichte der Porschekenner, dann kann man wenigstens auf dem nächsten Klassikertreffen mitreden.

TECHNISCHE DATEN

Porsche 356 B T6

Motor: Vierzylinder Boxer
Hubraum: 1.582 ccm (96 cui)
Leistung:  55 kW (75 PS) bei 5.000/min
Max. Drehmoment: 117 Nm bei 3.700/min
Getriebe: 4 Gang Handschaltung
Antrieb: Hinterachse
Länge/Breite/Höhe: 4.010/1.670/1.330 mm
Leergewicht: 930 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 13,0 s
Top Speed: 175 km/h
Preis: ca. 60.000 – 80.000 Euro

Text und Fotos: Jens Tanz

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