Deep Purple in Little Germany: Porsche 911 Carrera 2 von 1992

Als die Tentakel der Neon-80er noch zuckten und die kühle Spießigkeit der Besserverdienenden bizarre, androgyne Farben und Formen annahm, wagte Porsche sich an ganz besondere Farbkombinationen. Warum auch nicht? Kunden des 911 legten den Gegenwert eines Einfamilienhauses auf den Tresen, um anders zu sein. Auffällig. Sportlich. Diese Wünsche wurden mit mindestens diesem mehr als speziellen 964er bedient. Also, rosa Brille absetzen, Neon-Lederbrille aufsetzen und mit über 250 Sachen ab in die 90er

Von wegen, Lila ist ’ne Frauenfarbe. Wer sagt denn so was? Timo Knoblich rührt im Fünfganggetriebe des Zuffenhausener Hecktrieblers, während hinter uns sechs Töpfe abwechselnd brüllen, schnurren, röcheln oder toben und draußen eine krass gegensätzliche, belanglose deutsche Landschaftskulisse leicht verschwommen vorbeifliegt. Porsche 911. Das klingt so, wie wir uns das vorstellen, und es fühlt sich auch so an. Authentisch und ehrlich. Ein haptisches und akustisches Erlebnis ohne Überraschungen, zumindest so lange, bis sich die Augen des Genießers auf dem Beifahrersitz wieder öffnen. ARGH! Das eben Erlebte wird nicht weniger emotional, aber es färbt sich … lila. Magenta, um präzise zu sein. Und zwar alles hier. Alles! Das Dashboard, das Lenkrad, die Sitze, Türverkleidungen und die Mittelkonsole. Der Schaltknüppel. Sogar der Teppich, Alter, plötzlich bist du in deinem ganz persönlichen Hot-Wheels-Flitzer gefangen und fragst dich, was denn hier passiert ist? Alles ist anders, als es in jedem anderen 911er bisher war.

Überhaupt war Ende der 80er alles anders, als es noch Mitte der 80er war. Mit Blue System, Milli Vanilli und Salt ’n‘ Pepa kündigte sich die flache, tanzbare Welle des Euro-Dance an und löste den kühlen, treibenden Electro Wave ab. Der „Wind of Change“ wehte spürbar und ruckelte auch am Eisernen Vorhang, der Deutschland nicht mehr lange in zwei Hälften teilen sollte. Und der Porsche 911 schrie nach über 15 Jahren Produktionszeit förmlich nach einer Überarbeitung. Mit dem 964 setzte man 1988 eine bekannte Karosserie auf ein neues Leichtmetallfahrwerk mit serienmäßiger Servolenkung und ABS. Den neuen 3,6-Liter-Boxermotoren spendierte man eine Doppelzündung, Bosch DME (Digitale Motor Elektronik) mit zwei Klopfsensoren und einen geregelten Dreiwege-Katalysator. Bessere Verbrennung bedeutete weniger Verbrauch – bedeutete kleinerer Tank – bedeutete mehr Kofferraum. So einfach war das.

Sowohl die aufstrebenden Koksnasen der Großstädte als auch die gutverdienenden Mittelständler mit greifbaren Visionen bekamen auf Wunsch viel mehr Komfort und Plüsch unter die engen Lederhosen. Porsche legte sein pures Sportwagenimage ab und lieferte genau den Wagen, den die People der späten 80er-Jahre haben wollten. Bäm. Was vom Vorgänger blieb, war die unverkennbare Form und sein unsterblicher, unvergänglicher Name. Es ist immer ein 911. Basta.

Der Nachfolger des legendären G-Modells ist klassisch luftgekühlt und schnattert wundervoll, während er charakteristisch die Luft umschaufelt. In den letzten 24 Jahren hat dieser Wagen das deutsche Land nie verlassen und deshalb erst 89.000 Kilometer auf dem von hinten beleuchteten Tacho. Der zweite und letzte Besitzer ließ das Schmuckstück nach seinen eigenen Vorstellungen bei der TECHART Automobildesign GmbH in Leonberg zum „Turbolook“ umbauen und stellte ihn auf 17-Zoll-Fittipaldi-Felgen. Alles sehr cool. Wenn da nicht … obwohl … also nach etwas über 20 Kilometern ist dieses Lila gar nicht mehr so schlimm. Wir steigen bei einer alten Siloanlage aus, und es ist kaum zu glauben, dass draußen an dem Wagen fortgesetzt wird, was drinnen mit dem Öffnen der Augen begann.

Innen noch ein Meer von Magenta, außen nun eine kurvige Küste in Amethyst Metallic. Das ist ein bisschen dunkler als das Interieur, irgendwie auberginig, aber nicht weniger gewagt und vor allen Dingen nicht weniger lila. Wie muss der 964 damals gewirkt haben? Lila? Er drängelte sich zwischen den ersten BMW M5, den Scirocco-Nachfolger VW Corrado, den fetten 560 SE, den flinken Opel Kadett GSI und den Technologieträger Audi V8 – und sein wir mal ehrlich, keiner der anderen war so lila. Nicht wahr? Eben. Einen Porsche kaufte man damals nicht, um ihn heimlich im Keller zu verstecken. Mit einem Porsche wollte man sich zeigen, auffallen, gesehen werden. Das gelang und gelingt mit dieser Farbkombination definitiv, und sie ist so ungewöhnlich farbig, dass niemand an ein Versehen glaubt. Also ist es eine klare Ansage. Und das macht das Gesamtkunstwerk schon wieder stimmig.

Als wir wieder über die Landstraße jagen, schmunzelt Timo ein bisschen. Wie sein Kumpel Heiner Botz immer an diese schrägen Modelle kommt, wird ihm immer ein Rätsel bleiben, aber solange er mit dem einen oder anderen Mal die Rinder auf den Weiden erschrecken darf, ist doch alles fein. Doch Vorsicht – das Fahren eines 964 will gelernt werden. Das brutale Spielzeug der vereinten Deutschen und der highwaycruisenden US-Amerikaner ist hecklastiger als seine Vorgänger. In den engen Kurven ist der Grat zwischen der starken Untersteuerung und dem ausbrechenden Arsch ziemlich schmal, und bei den Bodenwellen kurz vor Ubstadt-Weiher muss Knoblich das Lenkrad ganz schön fest anpacken, um nicht von der Straße zu hoppeln. In der Tür ist ein großer, intuitiv erreichbarer Griff, der nicht nur dazu gedacht ist, diese Tür auf- oder zuzumachen. Aber wer die 250 PS auch im Grenzbereich beherrscht (und das kann man ja üben), fährt allen anderen davon. Porsche eben. Das Auto erzählt seinem Piloten auf den ersten Metern, dass er sich nicht auf digitale Assistenzsysteme oder zentralberechnete Telemetriedaten verlassen darf. Bei allem Komfort ist das „Popometer“ gefragt, sonst ist die zügige Spazierfahrt schneller vorbei als geplant. Wenigstens tut der Wagen gar nicht erst so, als könne er die Physik besiegen.

Im kleinen Display des Blaupunkt Travel Pilot werden verzweifelte Richtungsansagen mit winzigen monochromen Pfeilen gemacht, an die sich heute niemand mehr hält. Besitzer so eines Autos halten sich ohnehin nicht an Vorgaben, schon gar nicht an die Ansagen eines alten Gerätes, was einem erzählen will, wo es langgeht. Albern. Das weiß der Fahrer eines 911 aus den 90ern schon selbst, den Wagen und die Farbe hat er sich schließlich in einem lichten Moment auch selbst ausgesucht.

Die Fliederbüsche blühen in Bruchsal zwischen Heidelberg und Mannheim schon lange nicht mehr. Stört hier keinen, die fehlenden Farbtupfer übernimmt der 911. Ein geiles Statement zwischen den ganzen schwarzen und silbernen Karossen der leasenden Wegwerfgesellschaft.

TECHNISCHE DATEN

Porsche 911 Carrera 2

Baujahr: 1992
Motor: Sechszylinder-Boxer
Hubraum: 3.600 ccm (220 cui)
Leistung: 184 kW (250 PS) bei 6.100/min
Max. Drehmoment: 310 Nm bei 4.800/min
Getriebe: Fünfgang-Handschaltung
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.250/1.652/1.310 mm
Leergewicht: 1.350 kg
Beschleunigung 0–100 km/h: 5,7 Sek.
Top-Speed: 260 km/h
Neupreis: 122.345 DM

Danke an: www.elferpool.de

Text und Fotos: Jens Tanz

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