Rover P6 1972 – Einfach drüber stehen

Wer wie Eric Plant Rover P6 fährt, braucht so viel Geduld wie Wissen. Aber dann ist der letzte echte Rover eine Offenbarung

Es gibt Autos, zu denen gehört eine gehörige ­Portion Selbstbewusstsein des Besitzers. Der Rover P6 ist so ein Typ. Und Eric Plant ist derjenige mit dem Selbstbewusstsein – er fährt mittlerweile seinen fünften P6. Ein Wagen, den hierzulande nur wenige kennen. Sieht skurril und unscheinbar aus. Ist nicht sonderlich generös ausgestattet. Eine handliche Limousine aus GB, entwickelt in den glorreichen Zeiten der britischen Automobilgeschichte, gebaut bis in die dunkelste Zeit britischen Elends.

Vorgestellt als Nachfolger des als „poor man’s Rolls-Royce“ geradezu geadelten Rover P5 im Jahre 1963 konnte er diesen zwar überleben, aber nicht ersetzen. Der phantastische P5 stand von 1958 bis 1973 als Neuwagen in den Schaufenstern und sein Erfolg führte dazu, dass der P6 eher als Abrundung der Modellpalette nach unten verstanden wurde.

Der P6 wurde eingeführt als Vertreter der gehobenen Mittelklasse – vielleicht mit der Mercedes-Heckflosse oder gar deren Nachfolger, den W108/W109, vergleichbar – war diesen in technischer Hinsicht aber teils deutlich überlegen: Scheibenbremsen rundum, hinten innenliegend (fürs Fahren klasse, zum Warten für Ungeübte sehr unerquicklich; Plant tauscht mittlerweile hintere Bremsbeläge mit verbundenen Augen und mit einer Hand auf dem Rücken…); sämtliche Karosserieteile verschraubt (vom Citroën ID/DS inspiriert, auch das Design läuft in diese Richtung); aufwändige Radaufhängungen rundum mit vorn liegenden Federn; hinten eine DeDion-Achse; in den zunächst ausschließlich als Vierzylinder angebotenen P6 eine obenliegende Nockenwelle; natriumgefüllte Auslassventile; diverse Zierteile in Edelstahl statt verchromten Applikationen aus Druckguss (oder aus Plastik mit einem Chromderivat bedampft – einfach lächerlich, aber 2015 üblich); eine extrem kurze Lenksäule, die nicht in den Fahrgastraum eindringen kann; und Hauben aus Leichtmetall sowie ein wunderbares Fahrwerk.

Ein so richtig herrlich unpraktischer Rechtslenker ist auch der mexikobraune Rover vom Eigentümer unseres Fotomodells, Eric Plant

Selbst mit einem britischen Passport ausgestattet, vermag sich Besitzer Eric Plant schon genetisch nicht den Reizen der Produkte von der Insel entziehen. 
So zählten bereits die erwähnten weiteren P6 (sämtlich in hervorragendem Zustand), ein P5 3,5 Coupé sowie ein hierzulande praktisch völlig ausgestorbener Austin 1100 (quasi ein aufgepusteter Mini und ein Riesenerfolg bei den Skandinaviern und den Untertanen Ihrer Majestät Königin Elizabeth II) zu seinem Fuhrpark.

Plant ficht es nicht an, wenn Unwissende ihn fragen, welche Marke er denn da fahre. Ob es sich eventuell um einen Trabant handele oder vielleicht einen Lada? Aber doch sicher aus dem Ostblock, oder? Und da muss man dann einfach drüber stehen. Egal.

Gäbe es mehr Leute wie Plant, würden sicher viel mehr wunderbare Autos auf unseren Straßen herumfahren, die im Gegensatz zu einem Mercedes, Porsche oder Ferrari einfach kein solides, sondern ein cooles Image haben. Eben kein Mainstream.

Eric Plant wusste sich schon früh mit Hilfe von Schlachtungen verschiedener P6 zu helfen. Seine Verbindungen in der Szene sind hervorragend und seine ­Kenntnisse gerade im Bereich Rover P6 sehr umfangreich. Gern wird er von den wenigen anderen P6-Fahrern Hamburgs um Rat gefragt. Und er schraubt auch höchstselbst an seinen Babys, bis sie sich in einem wirklich guten, zuverlässigen Zustand befinden. Um sein Teilelager muss ihn jeder andere P6-Eigner beneiden.

Sein aktueller Alltags-Rover kam zu ihm in substanziell gutem Zustand. Da der Anspruch mit den Jahren in der Regel nur steigt, musste dann doch etwas am Lack getan werden. Das Vinyl-Dach wurde neu bespannt, die Sitze neu geledert. Die Dunlopillo-Latex-Sitzkerne selbst hingegen sind noch immer die ab Werk verbauten – und sie sind schlicht perfekt. Der gestiegene Anspruch bezieht sich natürlich auch auf die Motorleistung, was im Falle Rover P6 bedeutet, dass möglichst ein V8 her muss. Gerne noch mit Schaltgetriebe.

Wenn auch die allgemeine Ersatzteilsituation für das hier besprochene Modell tendenziell angespannt und in Teilbereichen als aussichtslos bezeichnet werden kann, so erhält man doch gerade im Bereich der Maschine recht unangestrengt Ersatz für verschlissene Teile. ­Sogar scharfe Nockenwellen sind erhältlich. Dieser ­grandiose Leichtmetall-V8 (ursprünglich von Buick entwickelt und in Lizenz seit Menschengedenken in England bis 2006 gebaut und in diverse britische Autos und Boote gesteckt) brauchte bei Plants braunem Bomber nicht überholt, musste jedoch etwas abgedichtet werden („ein englisches Auto, das keine Flüssigkeiten verliert, hat einfach keine mehr drin…“ sagt man gemeinhin). Auch die Optik des Motorraumes wurde deutlich verbessert. Die im Innenraum verbauten Holzteile bedurften einer kundigen Hand und auch der Teppich ist ganz frisch.

Allmählich ist der Eigner mit dem Zustand seiner Preziose ganz zufrieden und man kann fast davon ausgehen, dass wohl die Hälfte der in Hamburg umherfahrenden P6 – geschätzt ein knappes Dutzend! – durch Plants Hände gegangen sind.

Die Spaltmaße darf man natürlich nicht mit denen moderner Autos vergleichen. Besonders britische und amerikanische Autohersteller beschäftigten kreative Köpfe auch am Fließband, die ihre ganz eigenen Vorstellungen von Verarbeitungsqualität und besonders Passungen hatten. Und trotzdem fallen gerade die Türen beim P6 mit einer Leichtigkeit gepaart mit einem dezenten „Klick“ ins Schloss, dass man sich fragt, warum­ heute alle Autotüren klingen, als würde man zwei leere PET-Flaschen aneinander schlagen. Auch ist völlig schleierhaft, wie die Ingenieure es ­geschafft haben, Kurbelfenster zu konstruieren, die nicht nur 40 Jahre ganz wunderbar funktionieren, sondern halb so schwergängig sind wie bei allen anderen Autos und trotzdem lediglich die Hälfte der Umdrehungen der Kurbel zum Bewegen der Scheiben benötigen. Den ersten überhaupt verliehenen Titel „Auto des Jahres” hat der Rover P6 1964 unserer Meinung nach allein mit diesem Gimmick schon mehr als verdient. Bei jeder so raren Begegnung im ­Straßenverkehr mit einem Rover P6 sollte sich jeder von uns über so ein seltenes, feines Automobil freuen. Der aktuelle Einheitsbrei, dessen Unterscheidung üblicherweise allein mit Hilfe der Lektüre der (deshalb?) so zahllosen Schriftzüge möglich ist, wird nicht zu unseren Lebzeiten einen Status erreichen wie eben jener P6.
Der letzte richtige Rover.

ROVER P6
Baujahr: 1972
Motor: V8
Hubraum: 3.470 cm3 (215 cui)
Leistung: 110 kW (150 PS)
Max. Drehmoment: 276 Nm bei 2.700/min
Getriebe: 4-Gang vollsynchronisiert
Antrieb: Heck
Länge/Breite/Höhe: 4.560 x 1.680 x 1.420 mm
Gewicht: 1.350 kg leer
Beschleunigung 0-100 km/h: 9,5 s
Top-Speed: 195 km/h
Preis/Wert: £ 2.168 neu (1972)
Wert heute ca. 23.000 Euro

Text: Niels Baumann / Fotos: A. Aepler

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