
10 Sep Shop Tour: Ron’s rustikales Reich
Custom-Car-Karrieren gibt es viele. Doch die von Ron Wiswell ist ganz besonders: Der King der fließenden Linien begann als Wasserträger – heute lebt er in Hollywood-Kulissen
Lakewood, Kalifornien, ist nicht der Nabel der Welt. Vielleicht gerade mal bekannt dafür, dass hier einst der Flugzeughersteller McDonnell Douglas firmierte. Aber es blieb immer eine von den vielen Randgemeinden von Los Angeles. Und nur der Hauptarbeitgeber zog Familien hierher in die neuen Häuser auf den damals spärlich bebauten Wiesen nördlich von Long Beach. Einer der Kinder, die hier bald tobten, hieß Ron Wiswell.
Heute gehört jener Ron Wiswell zu den amerikanischen Top-Customern. Seine Chop-Tops sind weltberühmt, die fließenden Linien seiner Autos macht ihm keiner nach.
Höchstens seine beiden Söhne Vince und Scott sowie seine Enkelsöhne James Dean und Mike, und die dürfen das auch. Allerdings residiert der Wiswell-Clan schon lange nicht mehr in Lakewood, sondern in einem echten Wüsten-Kaff: Apple-Valley
Das mag verwundern, galt das Gebiet um Lakewood in früheren Zeiten doch als Eldorado der Custom-Car-Szene. Im Umkreis von zehn Meilen waren alle großen Namen der Auto-Tuner versammelt: Ed Big Daddy Roth, George Barris, Larry Watson, die Ayala Brueder und viele mehr bauten hier ein Showcar nach dem anderen, Damit beeindruckten sie den jungen Ron zutiefst. In diesem Umfeld wuchs er auf und verwurzelte tief in der aufblühende Autoszene.
Doch die Luft entwich aus dem amerikanischen Autotraum rund um Lakewood um 1985. Gangs fingen an, die Gegend unsicher zu machen, die Qualität der Schulen fiel ins Bodenlose, und Eierdiebe stahlen alle Liebenswürdigkeiten. Nach kurzer Zeit war Lakewood ein Ghetto.
Da entschloss sich Wiswell – inzwischen ein Familienvater mit zwei Söhnen – wie so viele Angelinos, aus dem so genannten „L.A. Basin“ auszuziehen. Sein Ziel: Apple Valley, eine kleine Wüstengemeinde. Ihre Spezialität: Naturkulisse für Westernfilme und -TV-Serien der 50er Jahre gewesen zu sein. Hier wohnten bekannte Stars wie zum Beispiel Roy Rogers, der „singende Cowboy“. Ortsgründer Newton Bass war bekannt für seine rauschenden Partys, zu denen er Stars und Starlets mit dem eigenen Flugzeug abholte und in seinem nur für die Party-Gäste gebauten „Apple Valley Inn“ nach langen und alkoholreichen Nächten unterbrachte.
Für Wiswell bedeutete Apple Valley aber etwas ganz anderes: Platz in Hülle und Fülle. Hier betrug die Mindestgrundstücksgröße zwei Hektar, also 20.000 Quadratmeter. Endlich genug Platz, um Autos zu parken, zu warten, kurz: um sie zu genießen.
Wiswell kaufte zunächst ein Haus im Süden der Stadt und fuhr jeden Morgen und Abend je 80 Meilen nach Los Angele, wo er zu dieser Zeit noch arbeitete. Das hielt er sechs Monate lang aus, bis er bei einem Abendspaziergang Wiswell endlich sein Traumgrundstück fand: Am Hang gelegen mit einem wunderschönen Blick auf die verschneiten „San Gabriel Mountains“. Und vor allem: Der Traum war erschwinglich.
Kurz nachdem er im neuen Domizil einzog, beschloss er, sich selbstständig zu machen. Sein erstes Auto: Ein Dreiachser-Allrad-Wassertankwagen, um den Wüstenbewohnern, die nicht über eine Grundwasserpumpe verfügen, das begehrte Nass zu liefern. Schon bald war Wiswells Geschäft lukrativ. Er kam viel herum in der Gegend und entdeckte ständig Neues – zum Beispiel alte Autos, alte Schilder und alte Minengebäude samt zart verrostetem Wellblech.
Wiswell brachte alle diese so herrlichen wie herrenlosen Dinge nach Hause und drapierte sie malerisch auf seinem Grundstück. Schließlich fand er auch noch eine verlassene Westernfilm-Kulisse in merkwürdigem Maßstab: Als die Kameras noch nicht so ausgefeilt waren wie heute, wurden die Kulissen einfach im 7/8-Größe erstellt, damit die Schauspieler darin nicht so klein wirkten. Wiswell baute die Holzkonstruktionen Brett für Brett ab und baute alles auf seinem Grundstück wieder zusammen. Sogar ein komplett falscher und zu kleiner Minenschaft-Eingang ist dabei.
Wer Ron Wiswell heute besucht, kann sich das alles in Ruhe ansehen – und staunen. Aber Wiswell und sein Car-Club „Lowdown Customs“ sind auch auf den großen West-Coast-Treffen zu finden.
Übrigens: Auf der jährlichen Wiswell-Sommerparty trifft sich das Who-is-Who der alten LA-Customizer-Garde. Ein Grund mehr, es sich nicht Ron Wiswell zu verderben…
Fotos: Nico Meiringer