Mercedes-Benz 190 SL (W 121)

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Heute liegt hier auch eine Geige. Der weißhaarige Mann im besten Alter wirkt mit Golfmütze, Sportjacke und Schal ähnlich gut gelaunt wie der Zaubergeiger: Otto Voss, Alt-Vorstand der nordrhein-westfälischen Klassikerschmiede Autohaus Voss, hat sich in Schale geschmissen und ist bereit, mit uns Helmut Zacharias’ Auto durch die volkstümlichen, beschaulichen Orte der Umgebung zu schunkeln. In den Sitzen stecken noch die Noten des Erfolges, und am Lenkrad kurbelten diese damals so erfolgreichen, virtuosen Hände. Das ist fast immer noch zu spüren – das Radio bleibt aus.

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Dass man in den 50ern für einen gut ausgestatteten SL fast doppelt so viel bezahlen musste wie für einen Porsche 356, war Zacharias vermutlich genau so egal wie den meisten anderen Kunden: Zwischen 1955 und 1963 wurden 25.881 Stück produziert. Nur gut 5.000 Exemplare blieben in Deutschland. In den 80er Jahren kaufte Familie Voss aus Darfeld den Musiker-Benz mitten in seiner Tiefpreisphase für sagenhafte 19.000 Mark und baute es komplett neu auf. Der SL belohnt das – unabhängig von seinem Esprit und seiner Schönheit – heute mit einem dramatischen Wertzuwachs. Die weltweit noch verbliebenen rund 2.000 Fahrzeuge werden (in gutem Zustand) mit je 70.000 Euro gehandelt. Viel Geld – aber immer noch wesentlich weniger, als der große Bruder 300 SL auf den Kassenbon druckt. Für den muss man inzwischen den Gegenwert eines kleinen Einfamilienhauses auf den Tresen legen.

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Aber wer denkt an Wertzuwachs, wenn die beiden Vergaser mit Benzin befüllt werden und der knurrige Vierzylinder zu rauem Leben erwacht? Seine Ponton-Gene kann der Sportler nicht verschweigen, er klingt fast genau so – trotzdem cool. Wir geben dem Motor noch ein kleines Weilchen, bis er sich einigermaßen aufgewärmt hat, dann geht es zügig raus aufs Land. Brrroaaaarrrrrr..

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Nicht das tiefe Gullern eines Achtzylinders, nicht das röchelnde Saugen eines Sechszylinder-Boxers, nur das metallische Braten eines robusten, sauber durchkonstruierten Vierzylinders mit zwei dicken Lungen oben drauf. In diesem Fall sind deren Drosselklappen alles andere als ausgeschlagen, der Motor läuft rund und gesund, zieht kernig an und knödelt im Standgas munter und unternehmungslustig vor sich hin.

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Wunderschöne Details aus den 
wilden 50ern. Metall, Chrom, Leder – 
das Design war Inspiration und Ruhepol für den Zaubergeiger.

Die Landschaft um uns herum fliegt vorbei. Sie ist zwar nicht spektakulär wie die Stadtkulisse von Mailand, punktet aber mit liebenswerten Details. Ein Stopp an einer kleinen Zapfsäule, einsam und allein direkt vor einem alten Wohnhaus mitten in der Stadt. Hier tankte man damals.

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Heute kann man sich nur noch an der Optik erfreuen – Benzin ist der Säule nicht mehr zu entlocken. Helmut Zacharias wusste genau, was er sich da kaufte. Der SL 190 ist auch heute noch Inspiration und Fortbewegungsmittel zugleich, Lifestyle – und trotzdem ein bisschen Understatement. Weil er eben nur vier Zylinder hat, aber mehr braucht er auch nicht. Otto Voss legt die Gänge gekonnt am langen Knüppel ein, lauscht und lächelt. Der Experte für klassische Mercedes-Benz hat Sterne im Blut, bei ihm ist der Roadster in allerbesten Händen.

Genau wie damals beim Zaubergeiger.

Technische Daten

Mercedes-Benz 190 SL (W 121 B II)
Baujahr: 1959
Motor: Reihenvierzylinder
Hubraum: 1.897 cm3
Leistung: 77 kW (105 PS) bei 5.700/min
Max. Drehmoment: 142 Nm bei 3.200/min
Getriebe: Viergang-Handschalter
Antrieb: Heckantrieb
Länge/Breite/Höhe: 4.220/1.740/1.320 mm
Gewicht: 1.160 kg
Beschleunigung 0-100 km/h: 14,5 Sek.
Top-Speed: 171 km/h
Preis 1959: 16.500 Mark

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Vielen Dank an Autohaus Voss, Darfeld
www.autohaus-voss.de

Text und Fotos: Jens Tanz