Wolfs Wankel: Pierre Wolf und sein Golf I Dragster


Wolfs Wankel: Pierre Wolf und sein Golf I Dragster

Pierre Wolf will trotz oder wegen seiner kleinen Tochter nicht erwachsen werden: Nach einem 650 PS starken Golf I Dragster ist sein zweites Projekt ein Ur-Golf mit Wankelmotor und bis zu zwei Bar Turboaufladung. Feuer frei – damit reibt er sowohl den Asphalt der Tracks als auch die Anfahrt zu McDonalds auf

 

Die kleine Kfz-Werkstatt oben in Deutschlands Norden läuft ganz gut. Da stehen ein Mercedes W126 S500 und ein paar Golf 1 rum, ein Jetta (puh, der ist inzwischen selten) und andere dezente Schätzchen. Sie alle gehören Pierre Wolf, dessen Einstellung zur selbst gefahrenen Geschwindigkeit sich im Herbst 2010 radikal geändert hat. Immer schon hatten die Autos des 33-Jährigen ein paar zu viel PS hinter dem offiziellen Nummernschild, und nicht jeder Ausritt war komplett legal durchgetaktet.

Bis zu diesem einen Abend auf dem „Jade Race“ in Mariensiel bei Wilhelmshaven. Hier am Jadebusen trifft man sich einmal im Jahr und klebt alle Kraft, die man hat, über Slicks auf den Asphalt, um schneller als die anderen die Viertelmeile zu fahren: Drag Racing. Unfassbar laut, geil und schnell.

Wolf war gerade in den Kaufverhandlungen über einen Golf 1 Dragster mit Zweiliter-16V-Turbomotor und 620 PS, als sich sein Töchterchen anmeldete. Nicht per Handy, sondern noch im Bauch seiner Christina. Die Kleine wollte raus, jetzt und hier, mitten beim Rennen, fünf Wochen zu früh. Aber wenn’s schnell gehen soll, ist man bei Pierre Wolf in guten Händen, und gemeinsam haben die beiden ihre kleine Lina rausgeschaukelt. Verrückt? Ja. Verrückt genug, um diesem Anlass zur Ehre ein eigenes Rennteam zu gründen: „Linas Garage“.

Besagter Golf 1 wurde in Zusammenarbeit mit Nils Stempa von „Riders Best“ und „CCt Motorsport“ aufgebaut und sorgte schon mal pauschal für eine Menge Spaß in der Dragrace-Familie. Das Team bestand inzwischen aus Pierre und Christina Wolf, Marc Wellbrock und Martin Reinekehr.

Die kleine Lina war von Anfang an dabei und tourt mit dem sympathischen Team seitdem nicht nur durch Deutschland, sondern freut sich auch auf Rennen in Schweden und England.

Das Auto selbst wiederum polarisierte von der ersten Stunde. Stellt man sich zum Begriff „Dragster“ ein entsprechendes Fahrzeug vor, kommt einem nicht zu allererst ein Golf 1 in den Sinn. Dass Giugiaro den damals gezeichnet hatte, spielt hier auf der Rennstrecke keine Rolle – hier will die Quarter-Mile (402,34 Meter) möglichst in weniger als zehn Sekunden gefahren werden. Viele trauen das einem mehr als sechs Millionen mal gebauten deutschen Kompaktwagen nicht zu. Aber die wissen dann zumeist auch nicht, dass bei einem Dragster nicht mehr viel vom originalen Fahrzeug übrig ist.

Also: Golf? Geil. In Bitburg haben die Wolfs mit ihrem kleinen Volkswagen eine Bestzeit von 10,6 Sekunden erreicht. 207 frontgetriebene km/h am Ende der Viertelmeile – machen Sie das erstmal nach. Und dann kam Thomas Palubitzki. Der gute Freund von Wolf wollte seinen Drag loswerden, und da das auch ein Golf 1 war, bot sich der Golfbändiger als Käufer förmlich an.

Was für ein Golf: Ein Ur-Ur-Ur-GTI von 1979, mit kleinen Rücklichtern und Metallstoßstangen. Vorn, wo einst ein spritziger Reihenvierzylinder seine Arbeit verrichtete, steckt in dem Rohrrahmenchassis nun ein Turbo-aufgeladener Zweischeiben-Wankelmotor (13b) aus dem Mazda RX7 mit 450 PS. Wankel? Das bedeutet Drehkolben, turbinen-artige Kraftentfaltung und der Drehzahlbereich von Rennmotorrädern bei einem Gewicht von nur 850 Kilogramm.

Pierre Wolf biss zu. Der einst leuchtorange „Rotorrabbit“ war im Netz bekannt wie ein bunter Hund, und die Wolfs kamen ein wenig in Erklärungsnot, als sie Modifikationen vornahmen und vor allem den Look an das Team „Linas Garage“ anpassten: türkis. Schließlich hat Thomas ein super Auto gebaut (die Karosserie ist wie bei einem ferngesteuerten Auto nur drübergestülpt), und die Wolfs freuen sich über die Unterstützung des Vorbesitzers bei den Rennen. Unterstützung kommt inzwischen auch von der kleinen Lina. In ihrem eigenen kleinen Tret-Dragster fährt die heute vierjährige Namensgeberin in feuerfester Unterwäsche schon mal die Tracks Probe, bevor Papa sich drauf wagt. Sie ist ein alter Hase, eben seit ihrer Geburt dabei, und sondiert das Terrain für den anderen Hasen, den Rabbit mit dem Rotor-Motor.

Der Wolf – nein, der Golf – liegt brüllend auf der Lauer, und man kann sich nicht entscheiden, ob das lustig oder bedrohlich aussieht. Es ist eben optisch ein kleiner Golf, und das sieht lustig aus. Wenn man die walzenähnlichen Hinterreifen sieht (M u H 30×10,5×15“) bekommt man aber ein bisschen Angst (Lina natürlich nicht, die kennt das ja schon). Der Wankel dreht nervös und kraftvoll röhrend hoch, man hört ihm sein komplett anderes Motorprinzip von außen nicht an. Es ist laut und riecht nach Abgasen. Die übliche Wheelie Bar am Heck lässt ahnen, dass hier Beschleunigungen möglich sind, die den Wagen ohne dieses Tool eine Rolle rückwärts machen lassen.

Dabei geht es jetzt zu McDonalds – Wolf bestellt am ersten Schalter ein BigMac-Menü mit Farmpotatoes und Fanta (Lina soll noch keine Cola trinken). „Das macht dann 6,49 Euro am zweiten Fenster, fahren Sie bitte vor.“ BROARR *paff* BROMM…

Der Test bei McDrive verläuft schon mal zufriedenstellend:
Ein Homie in einem mit Plastik verspoilerten Honda Civic duckt sich beschämt hinter sein Lenkrad, ein quietschgelber Audi A3 mit armdickem Endrohr fährt schnell weiter zum nächsten Systemgastronomietempel. Danach muss der Drehkolben-Hase wieder auf den Trailer, für den Straßenverkehr ist der, der eigentlich kein Golf mehr ist, nicht zugelassen.

Aber die nächsten echten Tests stehen an. Mit einem auf zwei Bar gesteigerten Ladedruck sollen knapp 800 PS möglich sein, in Verbindung mit dem Powerglide-Automatikgetriebe ist der Wankel einzigartig und entsprechend schwierig abzustimmen.

Am ersten Maiwochenende reist das Team von „Linas Garage“ ins schwedische Malmö, wo es das erste mal ernst werden soll. 10,3 Sekunden sind möglich, Wolf will die 9 vor dem Komma.

Danach geht es quer durch Deutschland, und ab dem 17. Juli 2015 ist Wolfs Wankel auf dem „Jade Race“ bei Wilhelmshaven live zu sehen, zu hören und zu riechen. Da, wo das mit Lina passiert ist.

Höchstes Ziel der Wolfs ist die Teilnahme an einem Dragracing in Santa Pot, dem heiligen Drag-Mekka im britischen Königreich zwischen Northampton und Cambridge. Und wenn die Wolfs so weitermachen, sollte das kein Problem sein. Lina sieht das ganz entspannt, Papa wird das schon rocken.

Und wenn er doch mal Hilfe brauchen sollte: Ihr kleiner Tret-Dragster hat hinten einen Abschlepphaken. Sie zieht dann den Wolf schon irgendwie über die Ziellinie…

 

Technische Daten:

Volkswagen Golf I
Baujahr: 1979
Motor: Zweischeiben-Wankel
Kammervolumen: 2 x 600 cm3
Leistung: 331 kW (450 PS)
Getriebe: 2-Gang-Automatik
Bereifung: MuH 30×10“; 5×15“
Maße (L/B/H mm) : 3.705/1.610/1.200
Gewicht: 850 kg
Quartermile: 10,3 Sekunden

Autor: Jens Tanz – Fotos: Jens Tanz