Chevrolet II Nova Station Wagon 1965

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Während der Corvair mit ungewöhnlichem Heckmotorkonzept floppte, führte Chevrolet heimlich, still und leise in den frühen 60ern schnell noch den Chevy  II ein. Der konventionelle Wagen zielte im Mid-Size-Segment auf den höchst erfolgreichen Ford Falcon und war als Station Wagon ein richtiger kleiner Laster. Wir sind mit dem 50 Jahre alten Raumwunder Chevrolet II Nova Station Wagon in sein Revier gefahren – zum Bauhof

Die Stadt erwacht zum Leben. Geschäftsmänner und Webdesigner hetzen in überdimensionierten Leasingfahrzeugen zu Terminen und Pitches, Busse donnern über Sonderfahrspuren und Kuriere drängeln sich zwischen allen durch – die Menschen sind unterwegs zu ihren reellen und virtuellen Arbeitsplätzen. Es brummt, es ist laut, es ist lebendig.

Mittendrin rollt ein kantiger Kombi in einer auffälligen 
Lackierung und scheint dabei erhaben über den Dingen zu schweben. Blau, Chrom, weißes Dach. Das Auto ist ein bisschen weniger hektisch als die anderen unterwegs – aber es brummt, es ist laut, es ist lebendig. Und es ist 
komplett reell. Kein Turbo pfeift beim Beschleunigen hinter der Ampel, keine Siebengang-Automatik schaltet elektronisch gesteuert drehfreudig hoch. Stattdessen blubbert ein vergaserbefeuerter großer Motor seinen zufriedenen Takt in den Morgenhimmel, metallische Vibrationen lassen die Luft selbst in einiger Entfernung noch schwingen. Und der Mann am Steuer sieht glücklich aus.

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Das ist der entscheidende Unterschied zu den anderen Arbeitnehmern um ihn herum, mit denen er sich die Straßen teilt. Er hat ein bisschen Zeit, und er sitzt in einem einfachen, zuverlässigen Ami, der garantiert nicht wegen einer gebrochenen Lötstelle in einem Steuergerät liegen bleiben wird. Ein Arbeitstier. Weniger ist manchmal mehr.

Sie hatten damals keine Zeit für Experimente oder wirre neue Ideen bei General Motors. Der revolutionäre und visionäre Corvair mit seinem Motor im Heck („Volkswagen-like“) verkaufte sich schlechter als die Konkurrenz, nicht zuletzt wegen der Sicherheits-Schelte von Verbraucheranwalt Ralph Nader. Chevrolet-General-Manager Ed Cole trat mit einer flammenden Ansprache seinem Team kräftig in den Arsch und setzte eine verdammt knappe Deadline, innerhalb derer ein konventionelles, zuverlässiges Auto mit maximaler Funktionalität entworfen werden sollte.

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Back to basic. Die Designer und Ingenieure arbeiteten Tag und Nacht und setzten in 18 Monaten die kürzeste Entwicklungszeit eines Neuwagens in GM’s Firmengeschichte um. Der erste „Chevy II“ verließ die Produktionsbänder in Willow Run, Michigan, nur wenige Tage vor seiner Premiere am 29. September 1961. Und er kam so klassisch, wie er nur sein konnte. Die Modelle 2-Door-Coupé, 4-Door-Sedan, Convertible und 2- oder 4-Door Station Wagon deckten sich mit dem als Benchmark definierten Ford Falcon, und in den drei Serien 100, 300 und 400 konnten die Kunden fünf verschiedene Ausstattungslinien bestellen.

Das Topmodell 400 bekam den Beinamen Nova, der schon bei der eigentlichen Namensgebung auf dem Plan stand und später auch die direkte Modellbezeichnung des Chevy II werden sollte. Ein Coupé mit Ladefläche bot man nicht an – das wäre zu viel Konkurrenz zum hauseigenen El Camino geworden. Kein Nippes, kein Spökes, nicht viel mehr als ein Auto mit dem Motor vorn, dem Antrieb über die Hinterachse und dazwischen Platz und Funktionalität.

Für die ersten Modelljahre 1962 und 1963 fanden die „Zurück zu den Wurzeln“-Käufer unter den blechernen Motorhauben wahlweise einen 2,5-Liter-OHV-Vierzylinder (66 kW/91 SAE-PS) oder einen 3,2 Liter großer OHV-Reihensechszylinder (90 kW/122 SAE-PS). Diese Triebwerke hatten für amerikanische Verhältnisse gerade einmal die Dimensionen von Mopedmotoren und passten gut in das für amerikanische Verhältnisse recht kleine Auto.

Chevrolet-Kunden hatten die ausufernde Überheblichkeit der 50er-Jahre satt, waren bodenständige Arbeitnehmer und wollten unkompliziert und preiswert unterwegs sein. Die Kraftübertragung besorgten dabei ein Dreigang-Schaltgetriebe oder eine Powerglide-Zweigang-Automatik.

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Analoger Chrom und Stahl, angucken und anfassen macht glücklich. Mehr braucht man nicht

Die Zeiten der sechs Meter langen und zwei Tonnen schweren Full-Size-Schiffe mit Heckflossen und Acht-Liter-Triebwerken schienen (außer bei Cadillac) tatsächlich vorbei zu sein, die generelle Verliebtheit der Amerikaner in den V8 allerdings nicht. Auch wenn der Chevy II in seinen ersten beiden Jahren nicht ab Werk mit einem Achtzylinder angeboten wurde – es gab viele selbst initiierte „Dealer Options“ mit einem nachträglich implantierten Wunsch-V8 des Kunden, vom Small Block bis hin zum Big Block mit Benzineinspritzung aus der Corvette. Solche Kombinationen machten aus dem leichten Auto so etwas wie ein frühes heimliches Muscle Car: Nicht selten sah man kleine, unscheinbare Novas mit hubraumstarken Motoren auf den Drag Strips verdammt gute Quartermiles brennen.

Ob es nun acht oder sechs Töpfe sind, die das Benzin verbrennen, lässt sich im Stopp and Go des modernen Stadtverkehrs kaum sagen. Akustisch sind es acht. Der glückliche Mann legt die Fahrstufen mit der Lenkradschaltung ein und kurbelt das Fenster runter, um die frische Brise hereinzulassen, die über die Alster weht. Eine Klimaanlage besitzt der Wagen nicht.

Überhaupt ist da nur wenig Informationsfluss zwischen Technik und Mensch. Ein Tacho, eine Tankanzeige und je eine Lampe für Temperatur, Batteriespannung und Öldruck. Nur eine Lampe. Jemand hat ein paar Zusatzinstrumente unten links unter das Dashboard geschraubt, aber die interessieren nur am Rand. Der Wagen läuft rund, kraftvoll und stoisch nach vorn. Wenn die Straße einmal so etwas wie eine Biegung vorgibt, wird am blauen Lenkrad in den Dimensionen einer Fahrradfelge gedreht und gedreht und gedreht, bis das Schiff wieder auf Kurs ist.

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Chevrolet Chevy II Bauzeit: 1962-1965 Motoren: 
2.5 R4, 3.2-3.8 R6, 4.6-5.4 V8, 67-220 kW

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Chevrolet Chevy II Bauzeit: 1965-1967 Motoren: 
2.5 R4, 3.2-4.1 R6, 4.6-5.4 V8, 67-220 kW

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Chevrolet Nova Bauzeit: 1967-1974 Motoren: 
2.5 R4, 3.2-4.1 R6, 
5.0-6.6 V8, 67-280 kW

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Chevrolet Nova Bauzeit 1975-1979 Motoren: 
2.5 R4, 3.6 V6, 3.8 R6 , 4.3-5.7 V8, 78-127 kW

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Chevrolet Nova Bauzeit 1985-1988 Motoren: 
21.6 R4, 
54-81 kW

Draußen, wo die Pflastersteine und die Holzplanken lagern, passt das Frachtschiff schon besser ins Bild als zwischen den grauen Lifestyle-Kombis und den schwarzen New-Generation-Kleinwagen mit Ambient-Cockpit-Beleuchtungen und Bluetooth Connect über die Touch Displays des Multifunktions-Panels. Argh. Und hier draußen in der uns umgebenden Ruhe sind wir inzwischen sicher, dass in dem blauen Chevrolet Station Wagon mit der Topausstattung Nova ein V8 arbeitet. Eine Dealer-Option? Der Fahrer dreht am Schlüssel, steigt aus dem Wagen und raucht erstmal einen Zigarillo in der Sonne.

Nicht jeder V8 war ein Eigenbau. Als 1964 die Chevelle in den Showrooms stand, brachen die Verkaufszahlen des Chevy II ein – und um diesem Trend entgegenzuwirken, wurden die ersten Werks-V8 angeboten. Neben dem 4,9-Liter (283 cui)- Achtzylinder mit 145 kW (195 PS) war noch die dritte Generation des Reihensechsers mit 3,8 Litern (230 cui) im Programm. Der Konkurrent Plymouth Valiant hatte so einen ähnlichen unter der Haube und GM witterte nach wie vor Marktanteile mit Straight-Six-Motoren. 1965 (also Modelljahr 1966) blieb den Chevy-Enthusiasten als das Jahr in Erinnerung, in dem aus dem Chevy II eine offizielle Muscle-Car-Rakete wurde. Mit einem 5,4 Liter (327 cui) dicken V8, der eine Leistung von über 300 PS (220 kW) entwickelte, konnte der Nova SS plötzlich mit dem GTO, dem 4-4-2 und dem Mustang 289 mithalten – zumindest was die Geradeausbeschleunigung betraf. Gleichzeitig ereilte den Chevy II das seltsame Los, der einzige Wagen in GM’s Modellpalette zu sein, der in diesem Jahr rückläufige Verkaufszahlen verzeichnete.

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Mehr Drehmoment als ein Audi V8 4.2 Quattro, und das bei einem Kombi. Er ist eben ein echter Laster

 

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Ladeklappe mit Kurbelscheibe – das Leben kann so sagenhaft einfach sein

 

Es kursieren da ein paar Legenden über die Ursachen. Eine besonders unterhaltsame ist die Namensgebung, die in spanisch sprechenden Ländern angeblich keine Akzeptanz fand. Nova klang wie „no va“, was frei übersetzt „er läuft nicht mehr“ heißt. Tatsächlich schien der neue 1965er Corvair nun doch ein paar Käufer abgezogen zu haben – aber wer weiß das schon so genau. Zum Modelljahr 1966 erfolgte außerdem eine gründliche Überarbeitung der Karosserie mit neuer Front- und Heckpartie. Die Ausstattungslinien hießen 100, Nova und Nova Super Sport. Vom Chevy II/Nova der ersten Generation wurden in sechs Jahren beachtliche 1,25 Millionen Stück gefertigt.

Und sie teilen ihr Los mit anderen Millionen von „praktischen“ und funktionellen Klein- und Mittelklassewagen. Während in Deutschland der Golf 1 oder der Opel Kadett A (dem der Chevy II von vorn ein bisschen ähnelt) komplett aus dem Straßenbild verschwunden sind, sieht man auch in Nordamerika kaum noch Chevy Nova. Um so exotischer wirkt er mitten in Hamburg. Dabei hat er doch alles, was man braucht. Und auch 50 Jahre nach seiner Geburt bietet er mehr Kombi als so mancher Neuwagen.
Am Heck lässt sich die breite Scheibe komplett in die große blaue Klappe hineinkurbeln. Klappt man diese dann auf, eröffnet sich ein mit Teppich und Kunststoff verkleideter Lagerraum, der sich durch die klappbare Rücksitzbank in die Dimensionen einer Turnhalle erweitern lässt.

„German Kombinationskraftwagen“ hatten damals noch nacktes Blech auf den Pritschen, in den Nova möchte man am liebsten gleich mit seiner Schrankwand und dem Sofa einziehen. Vom Platzangebot her würde das passen. Den uns umgebenden Bauschutt lassen wir aber diesmal hier.

Der entspannte Fahrer klappt und kurbelt alles wieder zu und gullert mit dem blauen Auto dahin zurück, wo er hergekommen ist. Heute abend will er noch mit der Familie an den Elbstrand. Denn der Chevy II ist ein realer Daily Driver mit einem großen Entspannungspotenzial.
Er tut gut in diesen verrückten, virtuellen Zeiten.

Vielen Dank an:
Route 66 Borgmann KG
www.route66-hh.de

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Technische Daten

Chevrolet II Nova Station Wagon
Baujahr: 1965
Motor: V8
Hubraum: 4.737 ccm (283 cui)
Leistung: 188 kW (255 PS)
Max. Drehmoment: 475 Nm bei 4.400/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 4.735mm/1.775mm/1.440 mm
Leergewicht: 1.490 Kilo
Beschleunigung 0-100 km/h: 10,1 Sek.
Top Speed: 174 km/h
Wert: ca. 18.000 Euro
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Als Mid-Size noch Mid-Size war. Der Chevy ist kürzer als eine aktuelle E-Klasse, bietet aber dank fehlender Dämmung innen die Dimen­sionen einer Dreizimmerwohnung

Text und Fotos: Jens Tanz