Leserauto: 1971er Plymouth Roadrunner von Michael Mugrauer

Doc Stinger ist nicht nur in Österreich ein Begriff. Der Chief of Musclecar Culture hat es wieder getan. Diesmal mit einem beinharten Plymouth

Gerüchten nach soll Brock Yates den Anstoß gegeben haben. Der Mann, der die „Cannonball“-Rennen erfand, träumte von einem zweitürigen Coupé mit fettem Hubraum, schönen Felgen und sonst nichts. Keine Gimmicks, keine Streifen, keine ins Leere führende Lufteinlässe, einfach ein sauberes, schnelles Auto. Damit konsultierte Yates Anfang 1967 die Entwicklungsabteilung von Plymouth, wo man seinen Vorschlag freundlich anhörte, ihm aber klarmachte, dass sich so ein Geschoss kaum rechnen würde. Dennoch brachte Plymouth wenige Monate später ein Auto heraus, das ziemlich genau den Vorstellungen von Yates entsprach: den Roadrunner, an dem sie natürlich schon länger herumexperimentiert hatten. Denn Plymouth war im Zugzwang.  Pontiac GTO, Chevrolet Chevelle und die Konzernderivate Charger, Challenger, Coronet und Barracuda waren heiße Eisen im Feuer und räumten den Markt ab.

Plymouth sah die Chance in einer vereinfachten Version, die die 16- bis 20-Jährigen heiß machen sollte. Das Ding musste bärenstark und günstig werden, also setzte man auf der billigsten vorhandenen Karosserie auf, dem B-Body Coupé der Mittelklasse, und pflanzte den ebenfalls vorhandenen 6,3-Liter-V8 (383 cui) der Fullsize-Klasse ein. Dazu der Geniestreich mit dem Namen, entliehen vom Kult-Cartoon „Wile E. Coyote and Road Runner“ von Warner Bros., gekrönt durch eine modifizierte Tröte, die so klingt wie die flugunfähigen, aber rasend schnellen Comic-Viecher. Fertig war der Plymouth Roadrunner. Um es kurz zu machen: Der rasende Vogel ging wie Pressluft, verkaufte sich gut und brach erst Anfang der 70er Jahre ein, als es den Musclecars an den Kragen ging. Einige schafften den Flug über den großen Teich, wo sie  bis heute gehätschelt und gepflegt werden. Wie der 71er Kuckucksvogel, der die  lauschige Idylle der Steiermark aufmischt.  Beep-Beep? Eher Wroooaammm, um in der Comicwelt zu bleiben …

Was Besseres, als im Epizentrum der österreichischen Musclecarkultur von Michael „Muggi“ Mugrauer zu landen, hätte dem Roadrunner nicht passieren können. Wie seinerzeit Brook Yates hat auch der Boss von Doc Stinger´s Mopar Garage sehr genaue Vorstellungen, wie ein Auto zu sein hat: Mopar, Leistung satt, Performace pur. Der Mann  hat Benzin im Blut, ist sein eigener Chef, beglückt seine Kunden mit feinsten Kultcars und ist im Dragstersport sowie bei historischen Rundstrecken und Bergrennen zuhause. Schon bei der ersten Begegnung vor 15 Jahren wollte der Freigeist den Roadrunner haben, doch sein Kumpel, der den Vogel in reichlich desolatem Zustand aus Deutschland geholt hatte, überließ ihn ihm lediglich zur (Teil-)Restauration. Erst im vergangenen Jahr schlug Muggis Stunde: sein Freund verkaufte ihm den roten Renner und der Moparfreak ging ans Werk.

Der originale 383-cui-Motor (6,3 l) kam raus, ein 440-cui (7,2 l)Hemi rein, die TorqueFlite-Automatik kam raus, ein Schaltgetriebe rein, selbstredend begleitet von diversen Upgrades an Fahrwerk, Lenkung und Bremsen. Doc Stinger halt – das Beste oder gar nichts … Der Air Grabber, eine  grimmige Lufthutze auf der Motorhaube, deutet an, was Sache ist: Fürs Flanieren ist der Roadrunner nicht gedacht. „Er ist schön und schnell zu fahren“ bilanziert Muggi bescheiden und lässt das Prachtexemplar überwiegend bei schönem Wetter fliegen, so ihm denn sein Eheweib den Vortritt lässt. Sabine Mugrauer, in Dragsterkreisen bekannt als „SaBEEne“, fährt nicht nur alles, was in der Mopar Garage rollt, sondern steht auch sonst voll hinter ihrem Ausnahmegatten samt seinen spinnerten Ideen.

Man kann es nachvollziehen: Im Rodarunner kommt Freude auf. Das schwarze Rallye-Instrumentenbrett mit runden Anzeigen, der legendäre Mittelschalthebel, der tief unten aus dem Fußraum heraus nach oben wächst, in einem hölzernen „Pistolgrip“ endet und schnelle Gangwechsel ermöglicht, die breite Front-Sitzbank und der Big-Block unter der langen Motorhaube – Genuss pur. Der Motor brabbelt dumpf im Stand, das riesige Coupé zittert, das weit hervorstehende Kupplungspedal verlangt beherzten Zutritt, das gewaltige Lenkrad braucht Muckis, denn Servolenkung ist was für Warmduscher, und dann: Knallharter Antritt vom Fleck weg. Das flüssig zu schaltende Getriebe, standfeste Bremsen und das irre Drehmoment helfen dabei, auf der kommod gepolsterten Sitzbank Haltung zu bewahren. Ein Auto mit knorrigem Charakter, das die Muscle-Ära verkörpert und lebt – ganz wie sein Besitzer.

Ex-Besitzer. Michael hat den moulin-rouge-roten Roadrunner gerade verkauft. Nach drei Tagen im Netz war er weg. Und nun dürfen Sie mal raten, wo der schräge Vogel jetzt sein Unwesen treibt: Steiermark? Nö. Bayern? Nö. Der treue Piepmatz kehrte zu seinem Vor-vor-Besitzer in Norddeutschland zurück, dem Mann, der Muggis Freund den Schrotthaufen seinerzeit verkaufte. Ob es sentimentale Gründe sind, das Wissen, einen astrein restaurierten Survivor zu bekommen oder einfach der Sparstrumpf, der vernünftig angelegt werden will? Man weiß es nicht. Auf jeden Fall muss Liebe im Spiel sein …

Technische Daten Plymouth Roadrunner

Baujahr: 1971
Motor: V8 Hemi
Hubraum: 440 cui / 7.206 cm3
Leistung: 331 kW / 450 PS
Drehmoment: 664 Nm
Antrieb: Hinterräder
Getriebe: 4-Gg.-Schaltung
Maße L/B/H: 4.743 / 1.899 / 1.270 mm
Leergewicht: 1.597 kg
Wert ca.: 50.000 Euro

Text: Marion Kattler-Vetter, Fotos: Daniel Murgg

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