Mit 36 einen 88 von 70

Das erste eigene Auto ist etwas ganz Besonderes.
Leserin Claudia D. hatte sich diesen Moment aufgehoben, bis sie 36 Jahre alt war: Dann stand vor der Tür ein ausgewachsenes Full-Size-Car aus dem Hause GM – ein Oldsmobile Delta 88 von 1970

Begleitetes Fahren mit 17, superhohe Versicherungsbeiträge und notorischer Geldmangel kennzeichnen normalerweise die Landschaft der bundesdeutschen Erstautobesitzer. Deswegen muss es meistens zuerst eine billige, kleine Karre sein – damit erstmal die Prozente der Haftpflichtversicherung sinken. Oder man fährt auf Muddis Kappe. Wenn Ausbildung oder Studium dann geschafft sind und der Chef später Geld raustut, kann man sich ja noch immer was Größeres, Besseres kaufen oder leasen. Oder?
Erste Autos sind deshalb meistens kleine VW, Opel, Ford, Toyota oder Kia. Nicht so im niedersächsischen Düdenbüttel – zumindest nicht bei Hausfrau und Mutter Claudia D. Sie, schon immer ein bisschen anders als ihre Altersgenossinnen, besaß Jahre nach dem Führerschein überhaupt kein eigenes Auto. Sie kannte genug Menschen, die ihr eines geben konnten, wenn es nötig war. Aber dann war da dieser Finne in Kalifornien.

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Generell autobegeistert und ziemlich angefixt vom US-Car-Stammtisch in Stade stöberte sie immer wieder mal hier und da im Netz oder in Magazinen nach schönen und besonderen Oldtimern. Auf eBay USA blieb sie im Oktober 2013 bei diesem großen roten Auto mit dem weißen Dach hängen. Ein Oldsmobile Delta 88 aus der vierten Generation – zwar „nur“ mit dem 350cui-Standard-Arbeitstier-V8, aber noch aus der Zeit, bevor die Ölkrisen die PS-Leistungen der amerikanischen Autos fast halbierten.
Ja. Sie wollte. Den und keinen anderen. Genau der sollte ihr erstes eigenes Auto werden. Nach einigen unterhaltsamen Telefonaten quer über die Kontinente (der Finne drüben in Kalifornien klang exakt wie Samu Haber, dem Sänger der finnischen Rockband Sunrise Avenue) und ein paar Mails war der Deal perfekt, und Importeur „Berlin Motors“ schickte den Olds per Bahn und Schiff im Container nach Rotterdam.
Der Eighty-Eight hatte während seiner 50-jährigen Modellgeschichte viele Veränderungen und Beinamen be­-
kommen. Ab 1949 stand die erste 8 für die Größe des Wagens (es gab auch einen noch größeren 98) und die zweite für die Anzahl der Zylinder.

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Bis 1977 blieb man diesem System treu, dann schlichen sich heimlich ein paar Sechszylinder unter die Hauben. Mit den Nummern hatten es die Amis allerdings nicht so, im Kopf blieben eher so griffige Namen wie „Golden Rocket“, „Dynamic“, „Jetstar“, „Delta“, „Delmont“ oder bis zum Schluss Ende der 90er der „Royale“ hängen. Und damit waren sie besser geeignet für Werbekampagnen.
Die Aufgabe in den Pflichtenheften der Ingenieure war klar und einfach umrissen: Macht das Auto groß, und macht es komfortabel. Von Energieeffizienz war noch keine Rede, Benzin gab es reichlich und preiswert, und alles was man an geduldigem Hubraum aufbringen konnte und was sich indirekt über elektrische Helferchen betreiben ließ, wurde in den 88 eingebaut. Die Marke war seit jeher bekannt für technische Innovationen und hohe Qualitätsansprüche, schließlich baute man schon lange vor Ford Automobile in kommerzieller Serienproduktion.

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Die Motoren galten als standfester gegenüber anderen Aggregaten, was auf einen höheren Nickelanteil im Guss zurück geführt wurde. Starb in den 60ern und 70ern ein Chevy-V8 bei mangelnder Pflege gern schon nach 100.000 Meilen, wusste man von Oldsmobile-Motoren zu berichten, welche die dreifache Laufleistung hinter sich hatten, davon lange Strecken mit verstopften Ölkanälen oder ohne alle Flüssigkeiten. Fakt oder Legende? Zumindest war Oldsmobile in jener Zeit eine der erfolgreichsten Marken in den USA und baute insgesamt mehr als 35 Millionen Fahrzeuge.

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