Ein Opel für Ford: Opel Diplomat B V8 Langversion 1975

Tatsächlich saß der ehemalige US-Präsident Gerald Ford einst im Fond dieses extra langen Opel Diplomat V8. Jetzt reisen wir damit herum. Und genießen das fette Drehmoment.

Was für ein Supertanker. Kantig, sachlich, aber nicht langweilig. Das dunkle Blau spiegelt Backsteine und Gitter, wer dieses Auto polieren will, muss sich eine Menge Zeit nehmen. Wir wollen den Opel Diplomat V8 erfahren, ihn spüren und sind uns sicher, etwas wieder zu finden, was aktuelle Autos nicht mehr ausstrahlen. Sicher auch in 40 Jahren nicht.

Das hier sind die 70er. Kraftfahrzeuge haben außen Kanten und Chrom, innen Plüsch und Holz und unter der Haube einen Motor, der sich nicht unter Kapselungen und bedrucktem Plastik verstecken muss. Das Raumgefühl vorne ist imposanter als im Vorzimmer des Kanzleramtes. Die Kinder der 90er oder der 2000er werden auf den ersten Blick gar nicht wissen, was das eigentlich für ein Auto ist: nix Multimedia oder Bluetooth Connect. Ein ambientbeleuchteter Matiz der großen Schwester Chevy passt vorne quer hinein, und allein der Anlasser hat mehr PS als ein kompletter Smart.

Aber Hand aufs Blech: Vorne in diesem um 15 Zentimeter gestreckten Diplomat steckt wirklich ein Chevy. Und zwar ein 5,4 Liter dicker Achtzylinder mit einem zischelnden Doppelregister-Vergaser aus der Zeit, als ein Chevy noch ein Chevy war und kein Altglascontainer mit vier kleinen Rädern. Als das Triebwerk grollend seine Zündfolge aus zwei Auspuffrohren blies.

Ein Opel. Einer aus der Oberklasse. Aus der KAD-Reihe – Kapitän, Admiral, Diplomat. Ja, das ist lange her. Mit verklärtem Blick gucken Fans und Freunde der Marke auf Kapitän, Admiral und Diplomat zurück, die in den Augen vieler die letzten echten Oberklasselimousinen aus Rüsselsheim waren. Warum keine Nachfolger kamen, hat bis heute fast niemand verstanden. Technisch standen die amerikanisch anmutenden Dickschiffe der Konkurrenz von BMW und Mercedes in nichts nach. Eine stabile Fahrgastzelle und Knautschzonen vorne und hinten, vordere Einzelradaufhängung mit trapezförmigen Querlenkern, Stabilisator, Schraubenfedern und Teleskop-Dämpfern. Dazu eine De-Dion-Hinterachse – technisch gesprochen: eine spur- und sturzkonstante Doppelgelenkachse mit homokinetischen Gelenken, Stabilisator, Schraubenfedern und Teleskop-Dämpfern. Damals fast Hightech – unter den anderen Oberklassen pendelten noch Starrachsen mit Differenzialen. Die waren zwar im Schnitt 20 Kilo leichter, hatten aber wegen zu viel gefederter Masse nicht annähernd diese guten Fahreigenschaften.

Wichtige Karosserieteile wurden beim Diplomat erstmals verzinkt und somit einigermaßen gegen Korrosion geschützt. Wer nicht den auch angebotenen Reihensechser, sondern den V8 von GM wählte, bekam außerdem (und das war auch gut so) vier innenbelüftete Scheibenbremsen mit aufs Tablett, da waren die elektronische Scheibenantenne und die Scheinwerferreinigungsanlage fast schon unauffälliges Beiwerk. Das Basismodell kostete rund 30 Prozent weniger als ein vergleichbarer Mercedes, zu der Zeit die reinkarnierte Oberklasse. Opel hatte zumindest auf dem Papier damals alles richtig gemacht, der Diplomat V8 war eine der schnellsten Reiselimousinen seiner Zeit und fast schon eines Präsidenten würdig.

US-Präsident Gerald Ford saß in unserem Foto-Diplomat bei seinem Staatsbesuch in der Hauptstadt Bonn im Juli 1975 hinten rechts. Ja, Kinder, damals war das kleine Bonn die Hauptstadt der Bundesrepublik, Berlin war weit weg und von der DDR umgeben. Die ohnehin üppige Beinfreiheit wurde bei der Langversion noch mal um 15 Zentimeter verlängert, und gefühlt müsste man eine Gegensprechanlage nach hinten legen, um mit jemandem sprechen zu können. Ford belegte mit nur 895 Tagen die kürzeste Präsidentschaft alles US-Präsidenten (die nicht im Amt verstorben sind), wurde aber im Gegenzug 93 Jahre alt. Das wiederum hat auch keiner von den anderen geschafft. Der große Opel teilt ein bisschen das Schicksal des großen Mannes aus Amerika: Heute kann sich nämlich kaum noch jemand an ihn erinnern.

Egal – es ist Zeit das Auto aus einem anderen Deutschland, fast aus einer anderen Welt, ausgiebig zu fahren. Hier drinnen ist alles ein bisschen weitläufiger. Elektrische Fensterheber sind nicht wegzudenken. Nicht, weil sie zum guten Ton einer Oberklasse gehören, sondern weil der Weg vom Lenkrad zum Fenster in der Beifahrertür unerträglich weit wäre. Die gerade Schrankwand mit den holzfurnierten drei Rundinstrumenten steht übersichtlich vor unseren Augen, man möchte unbewusst nach der Minibar suchen.

Mit einer weit nach rechts ausladenden Bewegung lässt sich die Fahrstufe einlegen. Der rechte Fuß liegt respektvoll auf dem Bremspedal in den Dimensionen eines Zeichenblocks aus der Grundschule. Das fleckenlose blaue Velours umschmeichelt den Po in der Jeans wie Omas Ohrensessel und vermittelt zusammen mit dem nicht sparsam eingesetzten Holz ein Gefühl von Geborgenheit. Hach.

Der Fuß wandert vom Bremspedal auf das am Boden eingehängte Gaspedal. Der Diplo kriecht langsam los. Der rechte Fuß tritt respektvoll drauf. Und hey – sollte der Geist von Gerald Ford noch über den Rücksitz mäandern, wird er sich in diesem Moment festhalten müssen. Die Motorhaube erhebt sich wie ein Schnellboot aus den Wellen, das Heck drückt sich in Richtung Asphalt und die 1,7 Tonnen toben voran wie die Benzinpreise in den 70ern. Die Drehzahl des Achtzylinders scheint dabei nur marginal anzusteigen – belegbar ist das nicht, ein Drehzahlmesser war in der Schrankwand nicht vorgesehen.

Die Servolenkung spielt mit den breiten Vorderrädern so gelassen wie eine Katze mit einem Wollknäuel, die Fuhre ballert spurtreu immer weiter und bei mehr als 80 km/h legt sich dann sogar die zweite Fahrstufe ein. Wer so viel Wohnzimmer mit so einem Druck und solcher Leichtigkeit nach vorne treiben kann, bekommt ungewollt das Gefühl, Herr über die Physik zu sein. Ganz anders als damals in der Schule.

Nach nicht enden wollenden Runden stellen wir den langen Diplomaten wieder in seine Parklücke. Plötzlich ist es ungewöhnlich leise, nur der verstummte V8 knistert und knackt leise und warm. Das iPhone ist auf der großen blauen Mittelablage beim Gasgeben nach hinten gerutscht und liegt jetzt so deplatziert rum, dass es sich am liebsten selbst ausschalten möchte. Ja, Opel konnte zusammen mit GM mal Autos bauen, die eines Präsidenten würdig waren. Als 1973 die Ölkrise viele Käufer verschreckte und 1977 der neue 7er-BMW vorgestellt wurde, brachen die Verkaufszahlen fast komplett ein, und die KAD-Reihe wurde für immer eingestellt. Die Nachfolger Senator und Monza waren deutlich europäischer und auch deutlich kleiner und werden von den Fans eher in der gehobenen Mittelklasse verortet. Und mit dem Senator B verschwand 1993 auch der allerletzte große Wagen mit dem Blitz im Kühlergrill.

Von den KAD-Modellen gibt es in Deutschland nur noch ein paar Hundert Stück, sie werden langsam zur exotischen Legende. Aber wer weiß, eines Tages wagt sich Rüsselsheim vielleicht wieder ins Oberklassesegment? Sie konnten das mal sehr gut.

Und die Nackenhaare brauchen heute mal wieder ein bisschen länger, um sich zu legen …

TECHNISCHE DATEN

Opel Diplomat B V8

Baujahr: 1975
Motor: V8
Hubraum: 5.354 ccm
Leistung: 170 kW (230 PS) bei 4300/min
Max. Drehmoment: 435 Nm bei 3.000/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5.070/1.852/1.445 mm
Leergewicht:  1.717 kg
Beschleunigung 0–100 km/h: 9,0 s
Top-Speed: ca. 205 km/h
Neupreis: 36.600 Mark

Text: Jens Tanz – Fotos: Andreas Liebschner, Jens Tanz

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