Schneewittchens Shooting Brake: 60 Jahre Volvo P1800

Vor 60 Jahren setzte Volvo statt auf grundsolide Kombis plötzlich auf ein emotionales Coupé – die bildschöne Schweden-Ikone P1800 setzt auch heute noch Maßstäbe

Es war ein regelrechter Schock, als der vom schwedischen Nachwuchsdesigner Pelle Petterson gezeichnete Volvo P1800 als seriennaher Prototyp 1960 auf der Brüsseler Automesse debütierte. Ein Volvo, begehrenswert wie ein italienischer Gran Turismo und so charismatisch wie britische Kultsportwagen, ganz ohne den gewohnt kantig-robusten Auftritt, der die Schweden sonst auszeichnete. Bereits die Anfänge dieses ersten Großserien-Coupés von Volvo waren glamourös: Petterson entwarf den P1800 ab 1957 in den italienischen Designateliers von Frua. Die Optik, das Flair, die Eleganz, die innovative Sicherheitstechnik und langlebige 1,8­lVierzylinder mit 90 PS aus dem P120 Amazon machten den Volvo P1800 zum spektakulärsten schwedischen Sportcoupé und zu einer Marken-Ikone mit außergewöhnlicher Karriere, die erst in den 1970er-Jahren endete.

Schon seit den 1930er Jahren lieferte Volvo Fahrgestelle für Coupé­Aufbauten an Karossiers. Der P1800 sollte neue Märkte, vor allem in Nordamerika und Asien, erschließen. Globale Ambitionen, zu denen die internationalen Fertigungsprozesse des Volvo P1800 passten: Das in Italien designte Coupé mit bewährter schwedischer Technik und in Schottland gepresster Karosserie wurde ab 1961 beim englischen Sportwagenspezialisten Jensen Motors montiert.

Trotzdem wurde es ein Start mit Hindernissen, denn die englische Manufaktur fertigte das Coupé in so miserabler Qualität, dass schon die ersten 250 Autos vor Auslieferung nach Göteborg zur Nachbesserung ins Werk mussten. Gelöst wurde das Problem erst 1963, als die Produktion des Gran Turismo komplett ins schwedische Werk Lundby umzog. Damit kam der Verkauf des fortan Volvo 1800 S – „S“ für Schweden – genannten und auf 96 PS erstarkten Sportlers weltweit in Fahrt. Den Sprint auf 100 km/h absolvierte das Coupé in 12,1 Sekunden, ein bis heute souveräner Wert. Visionär war auch das Sicherheitskonzept des schnellen Schweden, der als weltweit erstes Sportcoupé serienmäßig über Sicherheitsgurte für alle vier Passagiere verfügte.

Die Stabilität dieses Rückhaltesystems demonstrierte Volvo Deutschland 1961 bei einer spektakulären Show im Hamburger Hafen: Dort schwebte ein P1800, alleine gehalten von den Dreipunkt­Sicherheitsgurten, an einem Kran über der Hafenanlage.

Seine rassigen Formen mit langgestreckter Motorhaube und gestreckter Silhouette blieben auch bei Filmproduzenten nicht unbemerkt. So stieg der Schwede in der englischen TV­Krimiserie „The Saint“ zum Dienstwagen des Titelhelden Simon Templar aka Roger Moore auf. Der auch aus James­ Bond­ Filmen bekannte Schauspieler war von den Qualitäten des Sportcoupés derart überzeugt, dass er auch privat einen polarweißen Volvo 1800 S fuhr. Auch Schwedens König Carl XVI. Gustaf fuhr ab seinem 18. Geburtstag nacheinander mehrere Modelle des sportlichsten aller Schwedencars.

Regelmäßige kleine Modellpflegen genügten, um den 1957 gezeichneten P1800 über Jahrzehnte optisch frisch zu halten. 1964 kam ein geglättetes Stoßstangendesign, das die anfänglichen Kuhhörner ersetzte, sowie regelmäßig aktualisierte Kühlergrills. Karossiers wie Volvoville in den USA bauten begehrte Cabrio­-Kleinserien und italienische Stardesigner wie Fissore oder Coggiola präsentierten Fastback­Studien. Eine sensationelle Weiterentwicklung des Sportcoupés stellte Volvo 1971 selbst vor: Den Volvo 1800 ES als Vorläufer aller modernen Shooting­Brakes. Dank der gläsernen Heckklappe wurde dieser Sportkombi in Deutschland unter dem Namen „Schneewittchensarg“ berühmt. 1972 rollte das letzte Coupé – ein Volvo 1800 E – vom Band, ein Jahr später verabschiedete sich der 1800 ES. Insgesamt wurden 47.855 Einheiten gebaut, davon 39.778 Coupés. Seinen Ikonenstatus demonstriert der P1800 in der Klassikerszene unter anderem durch den stilprägenden Einfluss auf Volvo neuerer Generation, etwa das Concept Coupé aus dem Jahr 2013.

Text: Marion Kattler-vetter – Fotos: Volvo

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